Genossenschaften gehören zu den ältesten und gleichzeitig modernsten Formen des gemeinschaftlichen Wirtschaftens. In vielen Ländern spielen sie eine wichtige Rolle im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge. Genossenschaften stehen für gemeinschaftliches Wirtschaften, das wirtschaftliche Stabilität, soziale Verantwortung und demokratische Mitbestimmung vereint. Sie bieten eine nachhaltige Alternative zu rein profitorientierten Unternehmen und fördern Solidarität sowie regionale Entwicklung. Aber wie funktionieren Genossenschaften genau und warum gelten sie als so zukunftsfähig?
Was ist eine Genossenschaft? Eine Definition
Eine Genossenschaft ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen oder Organisationen, die gemeinsam wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Ziele verfolgen. Sie basiert auf den Grundprinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. Das Besondere an dieser Rechtsform ist, dass die Mitglieder sowohl Eigentümer als auch Nutzer der Genossenschaft sind. Das mag kompliziert klingen, ist aber eigentlich ganz einfach: Genossenschaften sind eine Rechtsform, die dazu da ist, die Bedürfnisse der Mitglieder zu erfüllen – sei es durch günstigere Dienstleistungen, den Zugang zu Ressourcen oder die Förderung gemeinsamer Interessen.
Bereits im 19. Jahrhundert wurden Genossenschaften in Europa als Antwort auf die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Industrialisierung etabliert. In einer Zeit, in der Arbeiter und Kleinunternehmer unter prekären Bedingungen litten, boten Genossenschaften eine solidarische Alternative. In Deutschland und Österreich wurde die Bewegung durch Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch geprägt, die landwirtschaftliche und gewerbliche Genossenschaften förderten.
„Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.” – Friedrich Wilhelm Raiffeisen
Wie funktioniert eine Genossenschaft?
Genossenschaften zeichnen sich durch eine klare Organisation und demokratische Strukturen aus. Sie sind rechtlich durch das österreichische Genossenschaftsgesetz (GenG) geregelt, das klare Vorgaben zur Organisation und zum Betrieb macht. Grundsätzlich besteht eine Genossenschaft aus den drei Grundprinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung und den zentralen Elementen des Förderungsauftrags für die gemeinsamen Interessen in der Mitgliedschaft und der Finanzierung.
Mitgliedschaft in einer Genossenschaft
Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft ist freiwillig und steht grundsätzlich allen offen, die die Voraussetzungen der jeweiligen Satzung erfüllen. Mitglieder einer Genossenschaft sind gleichzeitig Eigentümer und Nutzer des Unternehmens. Besonders wichtig ist das demokratische Prinzip: Unabhängig von der Höhe der Einlage hat jedes Mitglied genau eine Stimme. Dieses Prinzip fördert Gleichberechtigung und Mitbestimmung. Mitglieder können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen, also sogar Unternehmen, sein, was Genossenschaften flexibel macht und eine breite Beteiligung ermöglicht. Die Mitglieder bestimmen gemeinsam über grundlegende Fragen der Genossenschaft, darunter die Wahl des Vorstands, die Verwendung von Überschüssen und die strategische Ausrichtung.
Finanzierung einer Genossenschaft
Die Finanzierung einer Genossenschaft basiert auf den Einlagen ihrer Mitglieder. Jedes Mitglied leistet eine finanzielle Beteiligung, deren Höhe in der Satzung festgelegt wird. Diese Einlagen bilden das Eigenkapital der Genossenschaft und sind eine wichtige Grundlage für deren wirtschaftliche Stabilität. Zusätzlich können Genossenschaften Fremdkapital in Form von Krediten aufnehmen, was besonders bei größeren Projekten wie dem Wohnungsbau oder der Anschaffung von Maschinen in landwirtschaftlichen Genossenschaften üblich ist. Außerdem haben Genossenschaften in Österreich oft Zugang zu günstigen Krediten oder Fördermitteln, da sie als gemeinwohlorientierte Organisationen gelten.
Auch bei der Gewinnverwendung unterscheiden sich Genossenschaften meist von anderen Unternehmensformen. Wenn eine Genossenschaft Überschüsse erwirtschaftet, werden diese in der Regel entweder an die Mitglieder zurückgegeben, reinvestiert oder zur Förderung des genossenschaftlichen Zwecks genutzt und gehen nicht in die Taschen von Investoren. Im Gegensatz zu kapitalorientierten Unternehmen steht bei Genossenschaften nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern die langfristige Förderung der Mitglieder und der Gemeinschaft.
Warum sind Genossenschaften relevant?
Oft steht die Frage im Raum, warum Genossenschaften die richtige Rechtsform für ein Vorhaben sind. Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat sich erneut gezeigt, warum Genossenschaften einen entscheidenden Vorteil bieten: Ihre Struktur macht sie besonders krisenresistent, da sie auf die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt ihrer Mitglieder setzen. Während der COVID-19-Pandemie konnten viele Genossenschaften flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder reagieren. Zum Beispiel durch die Anpassung von Dienstleistungen oder die direkte Unterstützung der Mitglieder gingen Mitglieder von Genossenschaften ungeschorener aus der Pandemie hervor, was sie im Vergleich zu rein gewinnorientierten Unternehmen widerstandsfähiger machte.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Förderung von Nachhaltigkeit und regionaler Entwicklung. Genossenschaften sind oft Vorreiter in der Unterstützung umweltfreundlicher Projekte, etwa im Bereich erneuerbarer Energien oder nachhaltiger Landwirtschaft. Sie investieren gezielt in regionale Wirtschaftsstrukturen, stärken lokale Produzenten und sorgen dafür, dass wirtschaftliche Vorteile in der Region bleiben. Diese Ausrichtung auf ökologisches und soziales Engagement fördert eine nachhaltige Gesellschaft.
Darüber hinaus leisten Genossenschaften einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen soziale Ungleichheit. Sie bieten ihren Mitgliedern gerechteren Zugang zu Ressourcen, sei es durch bezahlbaren Wohnraum, faire Kredite oder gemeinschaftliche Infrastruktur. Gleichzeitig fördern sie faire Arbeitsbedingungen und setzen auf Mitbestimmung und Chancengleichheit, wodurch sie eine demokratische und gerechte Alternative zu traditionellen Unternehmensmodellen darstellen.
Vorteile und Nachteile von Genossenschaften
Die Frage nach dem Warum zeigt, dass Genossenschaften viele Vorteile bieten: Sie fördern demokratische Mitbestimmung, stärken die Solidarität und verhindern unfaire Machtverhältnisse. Darüber hinaus sind sie flexibel und können schnell auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder reagieren. Im „Praxishandbuch Genossenschaften” wird besonders hervorgehoben, dass Genossenschaften die Stärken von Kleinbetrieben mit den Vorteilen von Großbetrieben kombinieren können und die einzigartige Fähigkeit haben, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Das bedeutet, dass Betroffene Lösungen direkt durch Mitarbeit erarbeiten und so schneller und effektiver positive Veränderungen erzielen können. Außerdem können die Interessen von Kapitalgebern und Kunden vereint werden, da Träger und Nutzer bei Genossenschaften im Prinzip die gleichen Personen sind. Das nennt man das Identitätsprinzip.
Trotzdem gibt es auch Nachteile. Demokratische Entscheidungsprozesse können zeitaufwändig sein, insbesondere in großen Genossenschaften. Zudem ist die Kapitalbeschaffung häufig schwieriger, da, trotz erleichterter Kreditbeschaffung, Genossenschaften für Investoren weniger attraktiv sind, da sie keine hohen Renditen versprechen. Auch die begrenzte Gewinnbeteiligung kann Mitglieder abschrecken, die auf finanziellen Gewinn aus sind. Dennoch sind Genossenschaften im direkten Vergleich mit anderen Strukturen eine der sozialsten wirtschaftlichen Rechtsformen.
Unterschied zwischen einer Genossenschaft und einem Verein
Da Genossenschaften und Vereine beides Gemeinschaftsstrukturen sind, werden sie oft verglichen, unterscheiden sich jedoch enorm. Der zentrale Unterschied liegt in der Zielsetzung. Während Genossenschaften wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Interessen ihrer Mitglieder fördern, verfolgen Vereine in erster Linie ideelle Ziele, etwa im Bereich Sport, Kultur oder Bildung. Gewinne von Genossenschaften können an Mitglieder ausgezahlt oder zur Weiterentwicklung genutzt werden, während die Gewinnerzielung bei Vereinen nicht im Vordergrund stehen darf. Das demokratische Prinzip „eine Stimme pro Mitglied“ gilt in beiden Organisationsformen. Bei Genossenschaften betrifft es jedoch oft wirtschaftliche Entscheidungen wie Investitionen oder Preisgestaltung, während in Vereinen vor allem ideelle Belange im Fokus stehen.
Genossenschaften in Österreich
In Österreich gibt es knapp 1800 Genossenschaften. Sie sind ein fester Bestandteil der österreichischen Wirtschaft und Gesellschaft. In den letzten Jahren ist die Anzahl der gegründeten Genossenschaften in Österreich weiter stetig angestiegen. Auch 2024 war wieder ein Rekordgründungsjahr mit bis dato 149 gegründeten Genossenschaften.
In Österreich stehen Genossenschaften für gemeinschaftliches Handeln und demokratische Mitbestimmung und sind vor allem in den Bereichen Wohnen, Landwirtschaft und Energie fest verankert.
Wohnbaugenossenschaften spielen eine zentrale Rolle bei Österreichs Bereitstellung von leistbarem Wohnraum. Zehntausende Menschen profitieren von der Möglichkeit, unter fairen Bedingungen zu wohnen, während sie gleichzeitig durch die demokratische Struktur der Genossenschaften bei wichtigen Entscheidungen mitreden können.
Landwirtschaftliche Genossenschaften haben eine lange Tradition in Österreich. Sie helfen Landwirt:innen, Produktionskosten zu senken, indem sie Vorräte und Vermarktungswege gemeinschaftlich nutzen. In vielen ländlichen Regionen sind sie das Rückgrat kleiner Betriebe und fördern die regionale Wirtschaft, indem sie faire Preise und nachhaltige Produktionsweisen unterstützen.
Ein Bereich, der in den letzten Jahren stark gewachsen ist, sind Energiegenossenschaften. Diese ermöglichen Bürger:innen, aktiv an der Energiewende mitzuwirken. Mit Projekten in Solarenergie, Windkraft und Biomasse fördern sie den Ausbau erneuerbarer Energien und schaffen regionale Wertschöpfung. Dabei profitieren die Mitglieder nicht nur von günstigem Strom, sondern auch von einer stärkeren Kontrolle über ihre Energieversorgung.
Neben diesen Hauptbereichen gibt es eine Vielzahl kleinerer Einkaufs- und Dienstleistungsgenossenschaften, die ihre Mitglieder in den Bereichen Handel, Bildung und sozialen Dienstleistungen tatkräftig unterstützen.
Schritte zur Gründung einer Genossenschaft
Die Gründung einer Genossenschaft in Österreich ist ein klar strukturierter Prozess. Der erste Schritt besteht darin, die Ziele der Genossenschaft festzulegen und einen Geschäftsplan zu erstellen, der strukturiert, wie die Genossenschaft wirtschaftlich und organisatorisch funktionieren soll. Mindestens zwei Gründungsmitglieder sind erforderlich, die gemeinsam die Grundlagen der Genossenschaft erarbeiten.
Anschließend folgt die Erstellung der Satzung. Diese definiert die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die genossenschaftlichen Ziele und die internen Abläufe, wie etwa die Entscheidungsprozesse und die Verwendung von Überschüssen. Die Satzung bildet die Grundlage für die demokratische Organisation der Genossenschaft und sorgt für rechtliche Klarheit.
Nach der Erstellung der Satzung erfolgt die Anmeldung beim zuständigen Genossenschaftsregister. Mit dieser Eintragung erhält die Genossenschaft ihre rechtliche Grundlage und wird offiziell als eigenständige Organisation anerkannt. Nach allen Formalitäten können die operativen Tätigkeiten aufgenommen werden. Die Mitglieder können ab diesem Zeitpunkt aktiv an Entscheidungen teilnehmen und von den genossenschaftlichen Leistungen profitieren.
Für weitere Informationen und ausführliches Wissen zum Thema Genossenschaften lohnt sich ein Blick in das Buch „Praxishandbuch Genossenschaften” von Christian Pomper (Hrsg). Für ein Beispiel wie Genossenschaften positives für Mitarbeiter bewirken kannst du hier lesen, wie die Belegschaft den französischen Traditionsglashersteller Duralex durch das Gründen einer Genossenschaft retten konnte.
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