Warum leuchtete eine Glühbirne aus dem Jahr 1924 3.000 Stunden und eine aus dem Jahr 2009 nur 750 Stunden? Warum werden Sachen so schnell kaputt und warum kann man sie oftmals nicht reparieren? Dahinter steckt die geplante Obsoleszenz, also die absichtliche Verkürzung der Lebensdauer von Produkten – eine Methode der Wirtschaft, um mehr Gewinn zu machen. Der Schaden für die Allgemeinheit und die Umwelt ist enorm. Ökonomen gehen davon aus, dass wir ohne diese Praxis nur halb so viel arbeiten müssten.
Im kleinen amerikanischen Städtchen Livermore in der Nähe von San Francisco leuchtet in der örtlichen Feuerwache eine viel beachtete Glühbirne. Das besondere an ihr: Sie brennt seit 1901 – durchgehend. Die Glühbirne beleuchtete die kleine Feuerwache schon fünf Jahre vor der Erfindung der Zahnpasta und 68 Jahre vor der Mondlandung. Um das Centennial Light (hundertjährige Licht) sammelt sich eine regelrechte Fangemeinde. 2001 feierten fast 1.000 Menschen den 100. Geburtstag der Lampe in der Feuerwache. Auf einer Webcam kann man ihr beim Leuchten zusehen – sie überlebte seit Aufzeichnungsbeginn drei Videokameras.
Glühbirnen leuchten heute nicht mal halb so lange, wie vor 100 Jahren
Dass eine Glühbirne so begeistern kann, liegt daran, dass sie zu einem Symbol gegen die geplante Obsoleszenz wurde. Also jener Praxis von Unternehmen, die ihre Produkte absichtlich vorzeitig kaputtgehen lassen, um mehr davon verkaufen zu können. Beim Centennial Light handelt es sich zwar nicht um eine übliche Glühbirne: Sie hat einen Kohle- anstelle eines Wolfram-Fadens und hat ihre ursprüngliche Leistung von anfangs 60 auf heute nur noch 4 Watt (ca. der Stärke eines Nachtlichts) reduziert. Doch sie zeigt einen Paradigmenwechsel: Wurden früher Produkte noch so hergestellt, dass sie möglichst lange hielten, ist das heute nicht mehr der Fall.
Die von Thomas Edison im Jahr 1880 patentierte Glühbirne hatte eine durchschnittliche Lebensdauer von 1.200 Stunden. Im Jahr 1924 lag die zu erwartende Brenndauer von Glühbirnen bei 2.500 bis 3.000 Stunden. Doch dann kam es zu einem plötzlichen Abfall der Lebensdauer. Im Jahr 2009, als in der EU der Verkauf von Glühbirnen verboten wurde, brannten diese im Schnitt nur noch 750 Stunden.
Wie kann es sein, dass wir mittlerweile auf dem Mond gelandet sind, das Internet erfunden haben und selbstfahrende Autos entwickeln, aber die Lebensdauer von Glühbirnen immer schlechter wurde?
Die Entstehung des Phoebus-Kartells
Der Beginn dieser Entwicklung lässt sich ziemlich genau datieren, nämlich auf den Weihnachtsabend 1924, erklärt Markus Krajewski im Gespräch mit Kontrast. Krajewski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und hat eine Professur an der Universität Basel. Er untersuchte das Wirken des sogenannten Phoebus-Kartells, eines Zusammenschlusses der führenden Glühlampen-Hersteller wie etwa General Electric (USA), Osram (Deutschland) oder Philips (Schweden). „Die Ausgangslage ist folgende: Die Glühlampen-Produzenten regierten ihre nationalen Märkte praktisch schon als Monopol-Herren. Am 24. Dezember 1924 treffen sich die führenden Köpfe dieser Unternehmen in einem Hotel in Genf und planen nichts anderes, als die Aufteilung des gesamten Weltmarktes der Glühlampenproduktion”, so Krajewski.
“Um ihre künftigen Gewinnaussichten zu verbessern, einigen sie sich auf eine Reduktion der Brenndauer ihrer Lampen. Sie sollen anstelle von rund 2.500 Stunden nur noch 1.000 Stunden leuchten“, erzählt der Experte.
Je schlechter die Glühbirnen – desto mehr Gewinn
Das Kalkül ist ein einfaches: Je schneller Glühbirnen ausbrennen, desto mehr Glühbirnen können verkauft werden. Dabei geht es um Unsummen, wie man in den Unterlagen des Kartells nachlesen kann. So wird etwa über die Bedeutung der Reduktion der Brenndauer Folgendes vermerkt:
“Aus kommerzieller Sicht ist es von großer Bedeutung, die Brenndauer von 1.000 Stunden so wenig wie möglich zu überschreiten, da jede Überschreitung von nur 10 Stunden einen Verlust auf dem Weltkontingent von +/- 1% oder etwa 4.000.000 Einheiten bedeutet. Technisch ist es möglich, eine durchschnittliche Lebensdauer von 1.000 Stunden bis auf wenige Prozente genau zu erreichen, wenn man sehr sorgfältig produziert.”
Strafzahlungen für langlebige Glühlampen
Darum wird die Einhaltung dieser Grenze auch akribisch überwacht. Das neue „Phoebus Kartell“ bekommt auch einen kleinen bürokratischen Apparat. Mitarbeiter kontrollieren in den Jahresbilanzen, ob sich alle an ihre vereinbarten Absatzmengen halten und ob die Brenndauer der Glühlampen überschritten wird. Kommt es zu Verstößen, werden Strafzahlungen fällig, auf die sich die Konzern-Direktoren im Vorfeld geeinigt haben. Immer wieder kommt es auch zu Streitigkeiten zwischen den Firmen, beispielsweise über die genaue Form der Messung der Brenndauer. Alles wurde genau protokolliert und landete später in den Archiven der Firmen. Das ermöglichte es Markus Krajewski, die Geschichte des 1941 offiziell aufgelösten Kartells nachzuverfolgen.
Ingenieure müssen ihr eigenes Produkt verschlechtern
Nach dem Weihnachtsfest 1924 kommen also die Ingenieur:innen der verschiedenen Glühlampen-Hersteller zurück an ihren Arbeitsplatz und stehen plötzlich vor einer völlig neuartigen Aufgabe: Sie sollen ihr Produkt nicht – wie bisher immer – verbessern, sondern: verschlechtern.
„Das ist für Ingenieure auch extrem gegen ihr Arbeitsethos gerichtet. Das etwas, das seit Jahrzehnten, seit 1880, mit sehr systematischer Forschung immer besser geworden ist, nun durch ihr Wissen verschlechtert werden soll“, so Krajewski.
Was folgt, ist ein intensiver Forschungsdiskurs innerhalb der Kartellmitglieder. Was früher undenkbar war, wird plötzlich selbstverständlich: Die eigentlich konkurrierenden Unternehmen teilen ihre Forschungserkenntnisse und helfen einander. Sie tauschen Informationen aus, wie man Wolframfäden dünner machen kann, damit sie früher ausbrennen und diskutieren über mathematische Formeln zur Berechnung der Brenndauer.
Geplante Obsoleszenz wäre in der Planwirtschaft undenkbar
Der Zweite Weltkrieg brachte schließlich das Ende des Kartells, doch die Brenndauer verlängerte sich trotzdem nicht. Die letzten Glühbirnen, die 2009 in der EU verkauft wurden, hatten eine durchschnittliche Brenndauer von 750 Stunden. Unternehmen, die langlebigere Glühbirnen produzierten, wurden von den großen Unternehmen aus dem Markt gedrängt. „Interessant ist aber auch, dass es ökonomische Systeme gibt, die grundsätzlich gegen eine solche Ausrichtung aufgestellt sind. Zum Beispiel die Planwirtschaft im Sozialismus. Die Glühlampen-Produktion der DDR hat im unmittelbaren Vergleich zu Osram in der Bundesrepublik Deutschland ganz anders funktioniert. Der Hersteller Narva, der in einem ehemaligen Osram-Werk in Ostberlin produzierte, hat mit Stolz Glühlampen hergestellt, die langlebiger waren.“ Doch nach der Wende war auch dieser Produzent Geschichte. Die letzten Navra-Glühbirnen finden sich heute in alten DDR-Kühlschränken und leuchten noch immer.
Geplante Obsoleszenz als Mittel gegen die Weltwirtschaftskrise?
Die geplante Obsoleszenz ist keine Idee, die auf Glühlampen beschränkt blieb. Der New Yorker Immobilienmakler Bernard London, auf den der Begriff zurückgeht, wollte damit gar die Weltwirtschaft aus der großen Depression der 1930er heben. Der Konsum sollte angekurbelt werden, indem Produkte ein legales Ablaufdatum bekommen, nachdem sie nicht mehr verwendet werden dürfen.
Bernard London schlug eine Strafsteuer für jene vor, die beispielsweise ein Auto zu lange fuhren. Die ausrangierten, eigentlich noch guten Produkte sollten einfach auf dem Müllhaufen landen.
Londons Vorschlag stammt aus einer Zeit, in der es noch keine Umweltdebatte gab oder gar über den Klimawandel diskutiert wurde. Aus heutiger Perspektive klingt das freilich verrückt. Doch auch heute arbeiten Unternehmen mit der geplanten Obsoleszenz.
Nach Klage musste Apple gratis Akku-Tausch vornehmen
Apple, das sich als junges, progressives Unternehmen vermarktet, verbaute 2001 in seinen ersten iPod einen nicht austauschbaren Akku, der bereits nach 8 bis 12 Monaten den Geist aufgab. Apple wurde geklagt und musste einen kostenlosen Akku-Tausch-Service einrichten. Produkte werden oftmals so gebaut, dass man Einzelteile nicht selbst wechseln kann – das Reparieren von Produkten soll verunmöglicht werden. Das erlebt man oft auch bei Druckern. Eine andere Möglichkeit, die Lebensdauer zu reduzieren, ist das bewusste Platzieren von elektronischen Bauteilen an Stellen im Produkt, an dem die Wärmebelastung höher ist. Unternehmen investieren also Geld, um herauszufinden, wo im Produkt der schlechteste Standort für ein Bauteil ist. Auch einfache Produkte wie Nylonstrümpfe wurden Opfer der geplanten Obsoleszenz. Bei ihrer Markteinführung galten sie noch als Sensation: Laufmaschen waren fast unmöglich. Für das Geschäft mit Strumpfhosen war das aber kein Vorteil
Ohne geplante Obsoleszenz müssten wir nur halb so viel arbeiten
In der Vergangenheit hat sich Widerstand gegen die geplante Obsoleszenz geregt. Man findet im Internet Anleitungen, wie man seinen Drucker doch noch reparieren kann. Alte Fahrradrahmen werden upgecycelt, Reparaturläden erleben einen kleinen Boom und die Politik fördert Reparaturen durch Bonuszahlungen. Zuletzt forderte der Klimarat in Österreich, Hersteller zu verpflichten, dass ihre Produkte reparierbar sein müssen und Produzenten eine Anleitung zur Reparatur mitliefern müssen.
Jedenfalls richtet die geplante Obsoleszenz enormen Schaden in unserer Volkswirtschaft an. Christian Kreiß, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Aalen, beschreibt in seinem Buch, was ohne die absichtliche Verkürzung der Lebensdauer unserer Produkte möglich wäre:
„Bei nur geringfügigen Einbußen von materiellem Wohlstand bräuchten wir bestenfalls nur halb so viel zu arbeiten wie heute. Die 20-Stunden-Woche wäre problemlos machbar. Eine Fülle von freier Zeit, um uns den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu widmen, unseren Kindern, Freunden, künstlerischer, geistiger, ehrenamtlicher Betätigung usw. eröffnete sich.“
Hör-Tipp: Der Podcast “Geschichten aus der Geschichten” schildert in einer Folge die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Phoebus-Kartells.
Gerne vergessen wird, dass aktuelle Glühbirnen heller leuchten und dadurch weniger Energie verbrauchen, dass Kunden den billigsten Drucker haben wollen und dann damit (inkl. Nachbautinte) zehntausende Seiten drucken anstatt sich ein gescheites Gerät zu kaufen, dass es billig sein soll anstatt gut…
So ist es ja mit Kapitalismus, baby