Die Elite-Internate und Unis Großbritanniens bilden die Top-Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker von morgen heran. Doch die tragen aus ihrer Schulzeit psychische Folgen davon. Großbritannien wird von Männern regiert, die ihre Traumata aus Internatstagen nicht aufgearbeitet haben. Zu dem Schluss kommt Psychotherapeut Nick Duffell. Ihre Gefühlskälte und ihre Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, prägen Politik und öffentliche Debatten der letzten Jahre.
Großbritanniens Elite-Internate sind ein Milliardengeschäft. Etwa 500 gibt es, über die Inseln verteilt, etwa 75.000 Kinder besuchten 2017 diese Schulen. Tendenz steigend. Die Eltern wollen nur das Allerbeste für ihre Sprösslinge und greifen dafür tief in die Tasche: Fast 36.000 Euro kostet ein Schuljahr – Uniformen und Sportaktivitäten meist nicht mitgerechnet. Ein Internat sticht besonders hervor, wenn es darum geht, die Elite von morgen auszubilden: Eton. Zu ihren Absolventen zählen auch David Cameron und Boris Johnson.
Kinder zwischen 13 und 18 gehen in Eton zur Schule. Ihre Eltern – von denen die Schüler seit ihrem 7. Lebensjahr getrennt leben und lernen – zahlen dafür gern 40.000 Euro im Jahr. Doch einen ganz anderen Preis zahlen die Kinder selbst: Als Erwachsene kämpfen sie mit psychischen Problemen. Psychotherapeuten und -Therapeutinnen bezeichnen es als das „Boarding School Syndrome“, das „Internats-Syndrom“. Es ist eine gefährliche Kombination aus fehlender Empathie, emotionaler Unreife, der Unfähigkeit, mit Fehlern umzugehen, Eliten-Gehabe bis hin zu Eifersucht und Depressionen.
Drill und Schikanen – und die Eltern weit weg
Warum weisen gerade die Zöglinge von Elite-Schulen solche Züge auf? Die Antworten von Therapeuten und ehemaligen Schülern: Weil sie an den Internaten gebrochen wurden. Die Schulen, deren klingende Namen Erfolg für Absolventen versprechen, sind streng hierarchisch organisiert, fast militärisch geführt. Bis 1999 herrschte sogar noch die Prügelstrafe. Die Schüler wachsen strikt geschlechtergetrennt auf, Schikanen durch Ältere stehen an der Tagesordnung. Und all schon in sehr jungen Jahren und weit weg von den Eltern und ihrer Liebe. Der Romanautor John le Carré hat diese Praxis so zusammengefasst:
„Die Briten sind eh ein bisschen verrückt. Aber was die Verstümmelung ihrer privilegierten Kinder angeht, sind sie schlicht wahnsinnig und kriminell.“
Erst gebrochen, dann zur Elite erzogen
Die Kinder an diesen Schulen legen sich eine „Überlebenspersönlichkeit“ zu, erklärt Psychologin Joy Schaverien. Sie hat schon 2004 zum „Internats-Syndrom“ geforscht und publiziert. Warum so eine Persönlichkeit notwendig ist? Weil Kinder mit 7 Jahren von den Eltern getrennt werden, in eine autoritär organisierte Umgebung kommen und sich erwachsen verhalten sollen. Der Schüler muss abgehärtet sein, um dort zu funktionieren.
„In diesem Kind zerbricht etwas. Weil es mit der Trennung fertig werden muss, verschließt es seine Gefühle vor sich selbst“, sagt Schaverien.
Die Kinder werden gebrochen, ordnen sich unter – während ihnen gleichzeitig vermittelt wird: Ihr seit die Elite von morgen, ihr werdet dieses Land führen. Und dafür ist es notwendig, sich hier an Regeln und Traditionen zu halten und Gefühle auszuschalten. Der Schulalltag ist vom Rest der Welt abgekoppelt. Die Schüler lernen, kalkuliert zu handeln, aber sich andere hineinzuversetzen – das lernen sie nicht.
Natürlich werden aus ihnen Erwachsene, die in ihren Jobs funktionieren. Aber, erklärt Psychotherapeut Nick Duffell, sie haben oft Probleme, intime Beziehungen einzugehen. Sie haben elitäre Ansprüche verinnerlicht und dulden keine Widerrede. Sie geben keine Fehler zu und fühlen sich nur unter anderen Männern wohl, die wie sie zur gesellschaftlichen Elite gehören. Die Geschlechtertrennung aus Kindertagen zieht bis ins Erwachsenen-Alter ein verzerrtes Frauenbild nach sich. „Frauen werden objektifiziert und idealisiert. Aber echten Respekt hat man nur vor Männern“, sagt Simon Patridge, selbst Absolvent der Boarzell School und des Eastbourne College.
Das Problem: Diese Leute landen in der Politik und in Top-Jobs
Nick Duffell forscht seit 32 Jahren zu den Folgen des britischen Internat-Wesens für Kinder und Erwachsene. Er hat sich Karriereverläufe und das Verhalten von Persönlichkeiten angesehen und kommt zum Schluss: Großbritannien wurde und wird von Männern regiert, die traumatisiert sind und sich auch heute noch wie die 7-Jährigen verhalten, als die sie ins Internat gekommen sind: Sie schotten sich ab, schalten Gefühle aus, verfolgen stur ihre Agenda und lehnen Kurskorrekturen ab. Sie denken in Schubladen, lassen keine Widersprüche zu und neigen zu Überreaktionen.
„Internatsüberlebende fokussieren ausschließlich auf einen Aspekt und verleugnen alles andere. Sie sind nicht in der Lage, das große Ganze zu sehen“, fasst Nick Duffell zusammen. Sie haben es nicht anders gelernt.
Diese Eigenschaften wirken sich später negativ auf das Zusammenleben und das Zusammenarbeiten mit anderen aus:
„Von der Neurowissenschaft wissen wir, dass wir ohne Gefühle keine guten Urteile fällen können. Um unser Tun mit unseren Werten abzustimmen und um Menschen richtig einschätzen zu können, brauchen wir Gefühle. Kurz: Empathie. Das wird schwierig, wenn man Ihnen gegenüber als Kind keine Empathie spüren ließ, weil Sie in einer Institution voller Regeln zurückgelassen wurden“, erklärt Nick Duffell.
Dabei sind es gerade Elite-Schul-Absolventen, die später Führungspositionen besetzen und deren Entscheidungen Folgen für viele andere Menschen haben. Der Weg von einer berühmten Privatschule, über eine Uni wie Oxford oder Cambridge hinein in öffentliche Ämter und Chefetagen von Unternehmen: Er ist vorgezeichnet. Eine kleine Elite mit unaufgearbeiteten Traumata für das Land. Absurd, findet Joy Schaverien:
Friedman-Studie: Eliteschüler haben 94 Mal mehr Chancen auf Top-Jobs
Sam Friedman ist Soziologe und hat untersucht, wie Internatsschüler und Absolventen von Elite-Unis ihre privilegierten Stellungen ausbauen. Das Ergebnis: Absolventen der 9 führenden Privatschulen Großbritanniens haben eine 94 Mal bessere Chance, Spitzenjobs in Wirtschaft und Politik zu erreichen als Menschen, die auf einer normalen Schule waren.
Diese Schüler sind nicht zwingend klüger – es sind vielmehr das Auftreten, die Sprache und das Verhalten, mit dem sie hervorstechen. Laut Friedman zeichnen sie sich durch eine „gewisse Glattheit“ und einen „bestimmten Akzent“ aus. Man hört und sieht ihnen an, dass sie auf guten Schulen und Unis waren. Und sie haben etwas gelernt, das Absolventen selbst als „oiling“ bezeichnen. Als das „Einölen“ anderer Menschen: Man gibt sich schmeichelhaft und höflich, verfolgt aber bei Gesprächen streng eine eigene Agenda. Man setzt sich durch, ohne dass das Gegenüber es mitbekommt.
Überall können sich die Absolventen versichern: Sie gehören zur Elite – und bleiben unter sich. Beispielsweise in Privatklubs, in denen man Partys feiert, Kontakte knüpft und Geschäfte macht. Und auch gern man über die Stränge schlägt. Auch das ist für Psychotherapeut Duffell nicht ungewöhnlich:
So ein Denken beeinflusst auch den Führungsstil in der Politik.
Gebrochene Kinder regieren Großbritannien – mit Folgen
„Old Etonians“ regieren die britische Wirtschaft, die Medien und die Politik. 20 Premierminister hat Eton hervorgebracht. Zwei davon: David Cameron und Boris Johnson, beides Konservative. Auch sie sind für Duffell gebrochene Kinder, die später in Machtpositionen gekommen sind.
Cameron peitschte die härtesten Einschnitte im britischen Sozialbudget durch. Labour-Abgeordnete, die seine Politik kritisieren, macht er im Plenarsaal des Parlaments lautstark lächerlich. Als das Oberhaus seine Steuerpläne durchkreuzt, soll Cameron getobt haben. Hätte er sich durchgesetzt, hätten 3 Millionen Geringverdiener im Land jeweils Tausende Euro weniger pro Jahr zum Leben gehabt.
Und Boris Johnson? Er war einst der Hoffnungsträger von Cameron als Johnson 2008 zum Londoner Bürgermeister gewählt wurde. Heute ist er Premierminister und wendet laut Duffell die klassischen Überlebensstrategien aus dem Internat an:
Wie lange diese Strategie für Johnson funktioniert, bleibt offen.