In New York und Pennsylvania treten Sozialistinnen und Sozialisten bei den Vorwahlen der Demokraten an. Sie sprechen über teure Wohnungen, schlechte Löhne und prekäre Gesundheitsversorgung, unter denen die Amerikaner leiden. Und auch über Profitinteressen und Eigentumsverhältnisse. Bhaskar Sunkara ist ein wichtiger Vertreter dieser Bewegung. Bereits 2010 hat er das sozialistische Magazin Jacobin gegründet. Damals war sozialistisch in den USA noch gefürchtet, heute gibt die Mehrheit der US-Jugendlichen zwischen 18-30 an, antikapitalistisch eingestellt zu sein. Was ist passiert? Wir haben Sunkara bei seinem Wien-Besuch im Kreisky Forum getroffen.
Bhaskar Sunkara tourt durch Europa. Er wirkt erschöpft, als wir ihn treffen, sein Reisekalender ist voll – vor seinem Wien-Besuch war er in Berlin, der nächste Stopp ist der Labour-Parteitag in Liverpool. Sunkara hat 2010 das Jacobin Magazin gegründet – ein sozialistisches Magazin in den USA. Damals war er 21 und noch Geschichte-Student, der Redaktionsraum war sein Zimmer im Studentenwohnheim an der George Washington Universität.
Sunkara und seine Kollegen wollten eine sozialistische Perspektive auf Politik und Gesellschaft veröffentlichen – in den USA im Jahr 2011 ein schwieriges Unterfangen. Doch das Magazin wuchs und wuchs, heute hat die Printausgabe eine Auflage von 40.000 und die Online-Reichweite liegt bei einer Million monatlich – die größte Reichweite einer sozialistischen Publikation in den USA seit 50 Jahren, wie Sunkara sagt. Die Kampagne von Bernie Sanders hat Jacobin zusätzlich Auftrieb gebracht: Das Wort Sozialismus erfährt heute in den USA viel Zustimmung – vor 7 Jahren war das noch anders.
Derzeit ist Jacobin dabei, Kontakte zu linken Bewegungen und Parteien in Europa herzustellen. So hat Jacobin kürzlich die altehrwürdige Labour-Zeitschrift The Tribune übernommen. Denn Sunkara versteht Jacobin nicht als Medienprojekt. “Wir wollen uns mit politischen Bewegungen und Parteien vernetzen.”
Kontrast: Jacobin ist seit der Gründung stark gewachsen. Wie geht es weiter bei euch? Was sind die nächsten Ziele?
Bhaskar Sunkara: Jacobin hat im Print momentan eine Auflage von ca. 40.000, und Online erreichen wir über eine Million Menschen im Monat. Theoretisch bin ich also zufrieden, aber sobald man etwas erreicht hat, will man ja meistens mehr.
Eine Publikation wie Jacobin ist nun mal ein Nischenprodukt, weil sich nur ein kleines Segment der Bevölkerung hinsetzt und ein politisches Magazin liest, egal von welcher Art und zu welchem Thema. Als Linke müssen wir also versuchen, nicht nur politische Magazine zu schreiben, sondern auch auf Multimedia setzen: Mehr Videos, mehr verschiedene Wege Menschen zu erreichen.
Die alten sozialdemokratischen Medien hatten theoretische Journale, Tageszeitungen, illustrierte Magazine und noch mehr. Und auch heute brauchen wir dringend mehr Medienkanäle.
Mit Jacobin gibt es eine Publikation, die mehr Menschen erreicht als zum Beispiel ein marxistisch-akademisches Journal, aber weniger Menschen als eine populäre Tageszeitung der Linken. Hoffentlich kommt eines Tages der Zeitpunkt, an dem wir Teil eines größeren, breiteren Projekts sind.
Fürs Erste haben wir aber schon mal die höchste Reichweite einer sozialistischen Publikation in den USA der letzten 50 Jahre.
Doch eines ist klar: Populäre Medien brauchen eine populäre Basis. Und ich glaube nicht, dass Medien diese Basis aus sich heraus bilden können.
Das Bewusstsein kann sich ganz schnell ändern
Kontrast: Für wen schreibt ihr bei Jacobin? Wer sind eure Leser?
Bhaskar Sunkara: Unsere stärksten Leser sind zwischen 25 und 30 Jahren. Es sind vor allem Leute, die in Arbeiter-Berufen tätig sind, die teilweise vom sozialen Abstieg betroffen sind oder hohe Schulden aus den Krediten haben, die sie für ihre Studium aufgenommen haben. Es sind aber auch Menschen aus Arbeiter-Familien, die als Erste in ihrer Familie einen College-Abschluss haben und linken Ideen gegenüber nach wie vor aufgeschlossen sind. Sie machen unsere Basis aus.
Unsere Zielgruppe sollte ein breiteres Spektrum der Bevölkerung sein. Wir wären gerne größer und mehr Mainstream, was unser Publikum angeht. Vorläufig setzt es sich aber vor allem aus Lehrern, jungen Berufstätigen und Arbeiter, Arbeiterinnen aus bürgerlichen Familien zusammen. Alles in allem ist das eine recht vielseitige Zusammensetzung für ein Land, in dem die Linke keine Wurzeln in bestimmten Sektoren hat.
Insgesamt fehlt der Linken in den USA aber die verwurzelte Basis in der Arbeiterklasse. So kommt es oft zu rein rhetorischen Auseinandersetzungen unter mittelständischen, selbsternannten Radikalen. Das versucht Jacobin bewusst zu durchbrechen:
Wir haben mit der Pflege-Gewerkschaft und der Lehrer-Gewerkschaft zusammengearbeitet. Das ist natürlich ein besonders gut gebildeter Teil der Arbeiter-Klasse, aber es ist ein Anfang.
Kontrast: Wie kann man sich das vorstellen, wenn das Magazin Jacobin mit Gewerkschaften zusammenarbeitet?
Bhaskar Sunkara: Als die Lehrer-Gewerkschaft Chicago 2012 streikte, brachte Jacobin eine Informationsbroschüre heraus. Darin haben wir einerseits den Hintergrund der Krise der Schulen und die Kürzungen beleuchtete, andererseits auch Wissen über die Organisation von Bewegungen vermittelt: Wie organisiert man eine Vollversammlung? Welche Rolle spielen Vorwahlen? Wie kann die demokratische Mitglieder-Beteiligung in Gewerkschaften aussehen? Diese Broschüre haben wir im ganzen Land an die Lehrer-Gewerkschaften verschickt und bei deren Vollversammlungen ausgeteilt, um Gewerkschaften demokratischer, offener und schlagkräftiger zu machen.
In den letzten Streiks in West Virginia haben dann auch Lehrerinnen und Lehrer für Jacobin geschrieben, neben den Profi-Journalisten, die über die Streiks berichteten. Wir wollten keine außenstehende Medienvertreter sein.
Wir waren Teil der Sache und konnten miterleben, wie schnell sich das Bewusstsein der Beteiligten verändert hat. Wir haben Menschen kennengelernt, die noch vor sechs Monaten Trump gewählt hatten und jetzt darüber diskutierten, wie sie ihre Gemeinde mobilisieren und wie sie an ihren Arbeitsplätzen mitbestimmen konnten. Die Art, wie sie darüber sprachen, war völlig intuitiv. Es war keine Sprache von außen, die ihnen eingetrichtert wurde. Es war die Sprache von Menschen, die sich jahrelang machtlos fühlten und die jetzt entdeckten, dass sie durch kollektives Handeln Macht erhielten.
Wir lassen auch Lehrer, Pflegerinnen und Arbeiter schreiben
Kontrast: Was ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen linken Medien wie Jacobin und Mainstream-Medien?
Bhaskar Sunkara: Ich tu mir schwer mit dem Begriff Mainstream-Medien, denn wir wollen ja, dass unsere Ideen zum Mainstream werden, nicht wahr? Aber ich glaube, dass der größte Unterschied im Wertesystem liegt.
Unser Ziel bei Jacobin ist es immer, unsere Leserschaft zu vergrößern. Der Umsatz interessiert uns nur deshalb, weil wir Jacobin finanziell erhalten und in neue Projekte investieren wollen, um unser Publikum zu vergrößern.
Wenn es mein Ziel wäre, den Gewinn zu maximieren, könnte ich Jacobin anders leiten. Zum Beispiel mit einem Abo-System, das zwar zu mehr Geld, aber auch zu einem kleineren Publikum führen würde.
Aus diesen Fragen ergeben sich aber auch moralische Entscheidungen: Wen lasse ich in meinem Medium schreiben? Nur Star-Kolumnisten und Menschen, die mit ihrem großen Namen für Aufmerksamkeit sorgen? Oder arbeite ich auch mit Menschen, die keine professionellen Schreiber sind, sondern vielleicht politisch Engagierte oder Betroffene oder Arbeiter?
Wir lassen auch journalistische Laien schreiben, aber das bringt mehr Zeitaufwand für die Redaktion, denn die Texte müssen bearbeitet werden und du musst den Autoren helfen, sie unterstützen.
Abgesehen davon glaube ich, dass die meisten Entscheidungen unpolitisch sind: Du kannst entweder ein gutes Design haben oder nicht, du kannst eine gute Finanzverwaltung haben oder nicht. Da gibt es kein links oder rechts.
In der Linken glauben wir oft, dass wir alles anders machen müssen. Dabei gibt es vieles, was wir von größeren, professionelleren Medien einfach lernen können.
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Wir müssen Trump loswerden und positive Visionen entwickeln
Kontrast: Was sind derzeit die wichtigsten Themen in der US-Politik? Wie kommen sie bei Jacobin vor?
Bhaskar Sunkara: Klarerweise ist das Kernthema, dass Donald Trump an der Macht ist. Ein Großteil seiner Gesetzgebung ist so, wie sie auch jeder andere Republikaner gestalten würden. Eine Sorge ist aber der lange Schatten von Trump: Auch wenn Trump bei den kommenden Mid-Term-Elections oder auch bei den nächsten Präsidentschaftswahlen verliert, was ja wahrscheinlich ist – seine Entsendungen in die Bundesgerichte und den Obersten Gerichtshof prägen die Entscheidungen der Gerichte für die nächsten 20 bis 30 Jahre.
In Amerika werden Fragen wie ein Recht auf Abtreibung ja nicht vom Gesetz, sondern von Gerichtsurteilen bestimmt. Die Gefahr ist also, dass diese Dinge gestürzt werden. Das und Trumps Migrationspolitik sind die wahren Konsequenzen seiner Präsidentschaft.
Unsere unmittelbare Aufgabe muss es sein, ihn loszuwerden. Die wahre Frage ist: Wie bekommt man Donald Trump aus dem Amt?
Ein Großteil der demokratischen Partei würde sagen, dass das Ziel eine breit aufgestellter Protest gegen Trump sein muss. Aber die Schwachstelle dabei ist: Die Demokraten reden vor allem über Russland, die gehackten Wahlen und Trumps tölpelhaftes Verhalten. Sie vernachlässigen aber seine Politik. Uns sie versuchen auch nicht, die Menschen für eine positive Vision einer Welt zu gewinnen.
Dass Trump gewinnt, liegt ja nicht daran, dass eine Mehrheit der Menschen seine Politik unterstützt. 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung gehen wählen, weil sie sich motiviert fühlen, für eine Sache an die Wahlurne zu gehen. Alle anderen fühlen sich nicht genug motiviert, wählen zu gehen. Das ist ein negativer Anreiz. Die Linke muss also alles tun, was sie kann, um Trump loszuwerden, aber auch eine attraktive Alternative anbieten.
Daneben gibt es Dinge wie den laufenden Lehrer-Streik, der sich von republikanischen, ländlichen Staaten auf Städte wie Los Angeles ausbreitet. Da hat die Linke eine wertvolle Aufgabe zu erfüllen, indem sie organisiert und verschiedene Kämpfe vereint. All das reicht fürs Erste, glaube ich. Momentan haben wir viel zu tun, aber das Gute ist: Obwohl wir klein und umkämpft sind, gibt es zumindest überhaupt eine Linke, über die wir reden können. Vor zehn Jahren war das noch nicht der Fall.
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Das Jacobin Magazin hier
How a socialist magazine is winning the left’s war of ideas – Vox.com