Für Menschen, die Teilzeit arbeiten, prekär beschäftigt sind oder einfach wenig verdienen, schaut beim Arbeitslosengeld wenig raus. Wenn du aber einige Jahre lang Vollzeit gearbeitet und zumindest durchschnittlich verdient hast, kannst du dein Leben lang nicht mehr unter ein gewisses Niveau fallen. Eigentlich müsste man das abfeiern, weil wir hier ein Backup haben, das Druck aus dem Kessel nimmt. Dieses Sicherheitsnetz hat die österreichische Arbeitnehmer:innenbewegung erkämpft. Das Ergebnis ist: Man kann mit Arbeitslosen nicht verfahren wie mit Leibeigenen.
Wieso das soziale Netz unsere Existenz sichert, erkläre ich in „Kowall redet Tacheles”, Folge 15:
Das nachfolgende Transkript des Videos entstammt dem Blog von Nikolaus Kowall:
Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe, Existenzminimum, Mindestpension. Das klingt alles ziemlich kompliziert. Ist es auch. Wie funktioniert die soziale Sicherung in Österreich?
Probieren wir es einmal mit Tacheles
Das soziale Netz bei Arbeitslosigkeit funktioniert grob gesagt folgendermaßen: Zuerst bekommt man Arbeitslosengeld und zwar zwischen fünf und 18 Monate lang. Das richtet sich nach Alter, Gesundheit und Jahren, die man in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Das Arbeitslosengeld beträgt etwas mehr als die Hälfte des Nettoeinkommens. Danach fällt man in die Notstandshilfe, die ein bisschen geringer ist als “die Arbeitslose” und ziemlich genau bei der Hälfte des Nettoeinkommens liegt. Wenn das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe zu gering sind, dann erst greift die Sozialhilfe. Das heißt, man kann auf 950 Euro aufstocken. Das ist das absolute Minimum, unter das man in Österreich nicht fallen kann. Im Durchschnitt liegt das Arbeitslosengeld aber auch nur bei 1.000 Euro. Warum? Weil man schon über 1.800 netto verdienen muss, um überhaupt 1.000 EUR Arbeitslose rauszubekommen.
Und hier sehen wir, wie hoch die Hürden im System sind. Für Menschen, die Teilzeit arbeiten, prekär beschäftigt sind oder einfach wenig verdienen, schaut wenig raus. Die müssen ihr Arbeitslosengeld oder ihre Notstandshilfe eben auf die 950 Euro mit der Sozialhilfe aufstocken.
Das macht aber einen Riesen-Unterschied aus. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind Versicherungsleistungen, die mir zustehen, weil ich in eine Versicherung eingezahlt habe. Die Sozialhilfe ist aber nur eine Fürsorgeleistung, die aus Steuermitteln bezahlt wird. Wenn ich in Niederösterreich Sozialhilfe beziehe, darf z.B. mein Barvermögen nicht höher als 6.000 Euro sein. Alles andere muss ich schon aufgebraucht haben. Die Sozialhilfe gibt den Leuten das Gefühl, Bittstellerinnen und Bittsteller zu sein.
Jetzt sind aber genau die Gruppen, die mit Sozialhilfe aufstocken müssen, weil sie nicht auf die Butterseite gefallen sind, unter den Arbeitslosen besonders stark vertreten. Einrichtungen wie die Arbeiterkammer haben hier zahlreiche sinnvolle Verbesserungsvorschläge auf Lager, um das soziale Netz für sie dichter zu knüpfen. Und es gibt dazu auch gerade ein Volksbegehren, das man unterstützen kann.
Und was ist mit den Leuten, die bessere Jobs hatten, aber länger keinen neuen finden? Das Durchschnittsgehalt von Vollzeitbeschäftigten beträgt in Österreich 2.200 Euro netto. Daraus ergibt sich eine Notstandshilfe von zumindest 1.100 Euro. Der Betrag wird aber nach sechs Monaten gedeckelt. Ist man jünger und hat erst wenige Versicherungsjahre, dann bekommt man maximal das gleiche, das Mindestpensionisten erhalten. Nämlich 1.000 Euro.
Ist man jung, hat aber schon einige Versicherungsjahre: Dann bekommt man maximal das sogenannte Existenzminimum. Also das, was einem auch der Exekutor lassen muss. Das sind zumindest 1.170 Euro. Aber um das zu bekommen, musst du früher schon etwas über dem Durchschnitt verdient haben.
Wenn du über 40 bist und schon etliche Jahre in die Versicherung eingezahlt hast, dann wird deine Notstandshilfe nicht gedeckelt und kann über dem Existenzminimum liegen. Und das bleibt prinzipiell bis zur Pension so.
Kurzum: Wenn du einige Jahre lang Vollzeit gearbeitet und recht gut verdient hast, kannst du dein Leben lang nicht mehr unter ein gewisses Niveau fallen. Natürlich musst du arbeitswillig sein, die Notstandshilfe jedes Jahr neu beantragen und das AMS kann dich in Schulungen schicken und dich mit schlechten Jobangeboten sekkieren. Dennoch gilt die Notstandshilfe unbegrenzt und ist damit ein kraftvolles Instrument der sozialen Sicherung.
Eigentlich müsste man das abfeiern, weil wir hier ein Backup haben, das Druck aus dem Kessel nimmt. Zumindest für die durchschnittlichen Vollzeitbeschäftigten.
Mit diesem Wissen kann man auch mehr riskieren, z.B. bei Gehaltsverhandlungen oder bei einem Jobwechsel. Auch der Wechsel in die Selbstständigkeit ist möglich, weil Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in der Gründungszeit weiter bezogen werden können. Das AMS hat sogar ein eigenes Unterstützungsprogramm für GründerInnen. Deshalb ist hier die Botschaft an alle Durchschnittsverdienerinnen und Durchschnittsverdiener, die schon einige Arbeitsjahre hinter sich haben: Im Prinzip ist deine Existenz in Österreich gesichert, egal was passiert!
Dieses Sicherheitsnetz hat die österreichische ArbeitnehmerInnenbewegung erkämpft. Das ist der Grund, weshalb viele Arbeitslose nicht alles annehmen müssen, was ihnen als Job vorgeschlagen wird. Und dass man mit Arbeitslosen nicht verfahren kann, wie mit Leibeigenen. Das hilft wiederum den Gewerkschaften in den Verhandlungen mit der ArbeitgeberInnenseite. Sie brauchen sich nicht unter Druck setzen lassen und müssen nicht schlechteren Arbeitsbedingungen zustimmen. Im Gegenteil, sie können höhere Kollektivverträge und bessere Arbeitsbedingungen erwirken. Arbeitslosenversicherung, Notstandshilfe und Sozialhilfe sind nicht nur eine soziale Absicherung. Es sind Stützpfeiler, die alle Menschen in Österreich stärken, die von ihrer Arbeit leben müssen.
Vor 17 Jahren wurde in Deutschland durch die Einführung von Hartz IV der stärkste Stützpfeiler, nämlich die Notstandshilfe, abgeschafft. Das planen einige Leute auch für Österreich und darüber müssen wir uns dringend unterhalten. In der nächsten Folge!
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