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Wirtschaftsforscher Marterbauer: Die 4-Tage-Woche ist das bessere, innovative Modell der Kurzarbeit

Patricia Huber Patricia Huber
in 4-Tage-Woche
Lesezeit:5 Minuten
24. Juli 2020
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„Es raubt mir den Atem, dass so wenig am Arbeitsmarkt passiert ist“ – und das im fünften Monat der Corona-Arbeitslosigkeit, sagt der Volkswirt und Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer (AK) Markus Marterbauer. Gezielte Programme für ältere und junge Arbeitslose hält er für ebenso wichtig wie eine 4-Tage-Woche. Denn bereits bei der Kurzarbeit sieht man, dass die geförderte Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze sichert. Für Kurzarbeit, aber gegen die 4-Tage-Woche zu sein, findet Marterbauer daher unsinnig.

Kontrast.at: Wir erleben eine Rekordarbeitslosigkeit. Kann eine freiwillige 4-Tage Woche helfen, sie zu reduzieren?

Marterbauer: In der Covid-Krise fehlen uns hunderttausende Arbeitsplätze. Um das zu bewältigen, müssen viele verschiedene Instrumente eingesetzt werden. Ganz wichtig sind mehr Ausbildungsplätze, vor allem für junge Leute.

Eine Verkürzung der Arbeitszeit ist eines der mächtigsten Instrumente, um Beschäftigung in der Krise zu stabilisieren. Deswegen ist dieser Vorstoß ganz, ganz wichtig.

Die Kurzarbeit ist ja auch eine geförderte Form der Arbeitszeitverkürzung. Warum ist die akzeptiert, aber gegen die 4-Tage-Woche rennen ÖVP und Wirtschaftskammer Sturm?

Marterbauer: Kurzarbeit und 4-Tage Woche folgen dem gleichen Prinzip. Die 4-Tage Woche ist eine innovative Weiterentwicklung der Kurzarbeit. Das heißt: Man kann nicht für Kurzarbeit und gegen die 4-Tage Woche sein. Das wäre eine inkonsistente Position.

Man kann auch nicht sagen, Arbeitszeitverkürzung ist ein Jobkiller. Die Kurzarbeit zeigt ja gerade, dass Arbeitszeitverkürzung in der Lage ist, Jobs zu sichern. Und auch alle Arbeitszeitverkürzungen, die in den letzten Jahren in den Kollektivverträgen ausverhandelt wurden, haben immer auch Beschäftigung gesichert und den Wohlstand gesteigert.

Ich würde glauben, die grundsätzliche Ablehnungsposition ist eine erste Ansage der Wirtschaft, aber wenn man dann ins Reden kommt, wird man sich rasch einigen. Wie man sich in der Vergangenheit über alle Arbeitszeitverkürzungen geeinigt hat.

Wir haben ja eine Vielzahl von innovativen Arbeitszeitverkürzungsmodellen in einzelnen Branchen. Denken wir an die Freizeitoption in der Elektroindustrie, die seit 2013 jährlich umgesetzt wird, wo ein Teil der Lohnerhöhungen in kürzere Arbeitszeiten umgewandelt werden kann. Denken wir an das Modell der Solidaritätsprämie in den Schichtbetrieben. Denken wir daran, dass am Flughafen Wien eine zusätzliche Urlaubswoche eingeführt wurde. Denken wir daran, dass in der Sozialwirtschaft jüngst die 37-Stunden-Woche eingeführt wurde.

Es gibt in den letzten Jahren eine Vielzahl von Arbeitszeitverkürzungen, die primär das Ziel haben, den Wohlstand der ArbeitnehmerInnen zu steigern – und nebenbei stabilisieren sie die Beschäftigung.

Kritiker sagen, das können sich Betriebe nicht leisten. Ist das was dran?

Marterbauer: Am Beginn der Verhandlungen können sich die Unternehmen weder Lohnerhöhungen noch Arbeitszeitverkürzungen leisten. Und wenn man dann konkret ins Reden kommt, dann zeigt sich, dass die Firmen in den letzten Jahren hunderttausend zusätzliche Jobs geschaffen haben, dass sie auf den Weltmärkten extrem erfolgreich waren und dass Österreich eine der erfolgreichsten Wirtschaften der EU ist. Warum ist das möglich?

Weil in Österreich die Produktivität laufend steigt. Das heißt: Pro eingesetzter Arbeitsstunde erzeugen wir immer mehr Güter und Dienstleistungen. Wir können also die Löhne erhöhen oder die Arbeitszeit verkürzen, ohne dass die Kosten je erzeugtem Stück steigen. Wenn man also konkret über die Dinge redet, dann kommt man auch immer zu einer Lösung.

In vielen Kollektivverträgen ist in den letzten Jahren die Arbeitszeit verkürzt worden – mit guten Ergebnissen.

Die Belastung ist ja für unterschiedliche Branchen tatsächlich sehr unterschiedlich, wie kann man da für einen Ausgleich sorgen?

Marterbauer: In den letzten Jahrzehnten war es so, dass in der Industrie große Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen über den stärkeren Einsatz von Maschinen und Produktivitätssteigerungen abbildbar waren. Im Dienstleistungssektor wurden die höheren Kosten in höhere Preise überwälzt. In der Gesamtwirtschaft hat sich dadurch ergeben, dass in Österreich sowohl die Produktion als auch der technische Fortschritt, und auch die Beschäftigung gestiegen sind und die Arbeitszeit gleichzeitig verkürzt wurde.

Das heiß, die unterschiedlichen Branchen haben unterschiedliche Möglichkeiten, sich an diese neuen Herausforderungen anzupassen. Das ist aber überhaupt nichts Neues.

Wie sieht es mit der Wettbewerbsfähigkeit aus, wenn in Österreich kürzer gearbeitet wird?

Marterbauer: Die österreichische Wirtschaft ist natürlich sehr stark am internationalen Markt orientiert: Ein gutes Drittel der gesamten Nachfrage kommt aus dem Ausland. Das heißt, es ist relevant, wie wettbewerbsfähig die österreichischen Betriebe sind.

Wir hatten damit in den letzten Jahrzehnten nie ein Problem. Im Gegenteil, wir haben enorm an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Der Exportanteil ist enorm gestiegen, die Industrieproduktion steigt viel rascher als in Deutschland. Die Firmen investieren hier viel. Warum sollten sie an einem Standort investieren, der nicht wettbewerbsfähig ist? Denken wir an die kleinen und mittleren Betriebe, die Weltmarktführer sind in ihrem Bereich.

Unser Problem ist sicher nicht die Wettbewerbsfähigkeit. Man muss darauf achten, ja. Aber Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit mit Sicherheit nicht – wenn sie im Konsens geschehen.

Wie ist das jetzt mit den Milliarden an Wirtschaftshilfen: Wer kriegt was? Nach welchen Kriterien wird verteilt? Warum weiß man da so wenig?

Marterbauer: Ich bin grundsätzlich ein großer Befürworter der Hilfen für die Unternehmen in der Krise. Denn wenn es keine Unternehmen mehr gibt, dann gibt es auch keine Jobs und keine Produktion – der Wohlstand würde sinken. Es ist sinnvoll, den Unternehmen zu helfen. Es müssen aber gewisse Bedingungen erfüllt sein. Selbst minimale Bedingungen, etwa dass man Gewinne nicht in Steuersümpfe verschieben darf, werden aus meiner Sicht zu wenig kontrolliert. Die Managergehälter und Dividenden-Ausschüttungen müssten reguliert werden. Aber was langfristig noch viel wichtiger ist: Wir brauchen öffentliches Wissen und Transparenz darüber, wer wieviel bekommen hat.

Es kann nicht sein, dass die Steuerzahler Milliardenhilfen an Unternehmen geben und nicht einmal darüber informiert sind, wer das Geld bekommt. Wenn man große Hilfen von den Steuerzahlern bekommt, muss man das auch offenlegen und dazu stehen.

Und die Steuerzahler werden sagen: Das ist eine sinnvolle Hilfe und wir sehen, das Unternehmen hat sich positiv weiterentwickelt. Wenn man es versucht zu verstecken, dann wird auch die öffentliche Unterstützung für diese an sich sinnvolle Hilfen verschwinden.

Marterbauer: Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung hat es laufend gegeben. Sie sind kein Nachteil für die Wettbewerbsfähigkeit.

Abseits der Arbeitszeitverkürzung: Was sind die wichtigsten Impulse, die der Staat jetzt setzen sollte?

Marterbauer: Wir haben ja eine Reihe von Konjunktur- und Hilfspaketen gehabt. Aber was mir wirklich den Atem raubt, ist, dass so wenig am Arbeitsmarkt passiert ist. Wir sind jetzt am Beginn des fünften Monats der Corona-Arbeitslosigkeit und es fehlen spezifische Maßnahmen für die Arbeitslosen.

Wir brauchen viel mehr Ausbildungsplätze für die Jungen. Wir brauchen viel mehr Umschulung aus Branchen, die keine so gute Zukunftsaussicht haben in Richtung Zukunftsjobs. Wir brauchen viel mehr gemeinnützige und geförderte Jobs für die Älteren oder Leute, die es nicht so leicht haben am Arbeitsmarkt, wie Langzeitarbeitslose.

Wir brauchen aber auch viel mehr Verständnis, dass uns internationale Solidarität hilft. Es ist kein Wettkampf, ob es uns besser geht als den Italienern oder ob wir mehr Geld bekommen als die Spanier. Wenn die Italiener mehr Zuschüsse aus Brüssel bekommen, dann nutzt das der österreichischen Wirtschaft. Ich meine, wir sollten Hilfe alleine deswegen leisten, weil wir den Italienern und Italienerinnen helfen wollen, aber es nützt auch uns selbst.

Was mir fehlt in der österreichischen Wirtschaftspolitik, ist ein Verständnis für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge. Wir brauchen Solidarität über die Grenzen hinaus, mit den Regionen, wo der Wirtschaftseinbruch stark ausgeprägt ist und die Arbeitslosigkeit besonders steigt. Im Interesse des europäischen Zusammenhalts, aber auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse Österreichs.

Markus Marterbauer
Der Volkswirt Markus Marterbauer war Konjunkturreferent am WIFO, seit 2011 ist er Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer (AK). Marterbauers zahlreiche Publikationen befassen sich mit der Budgetentwicklung und Fiskalpolitik Österreichs, mit Fragen der Einkommensverteilung und der Wirtschaftspolitik. Marterbauer ist Vizepräsident des Fiskalrates, Experte im Budgetausschuss des österreichischen Nationalrates und Mitglied im Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen. Auf Twitter ist er hier zu finden.
Parlament Das Thema "Arbeitslosigkeit" im Parlament

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Seit Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit als US-Präsident erlebt die amerikanische Demokratie eine Krise. Radikale Gruppierungen gewinnen zunehmend Einfluss. Im Interview spricht die Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt über die Entwicklung der Republikanischen Partei, die rechten Strömungen, die sie geprägt haben, und darüber, warum es innerhalb der Republikaner heute kaum noch eine Grenze zwischen konservativen Positionen und offenem Rechtsextremismus gibt. Zitat: Rechtsradikale und Rechtsextreme geben bei den Republikanern jetzt den Ton an. Sie streiten sich zwar, welches inhaltliche Sub-Thema sie betonen, aber insgesamt ist diese Partei fest in der Hand von Extremisten. Auch unabhängig davon, wie sich die Partei personell weiter entwickelt - das wird sich so bald nicht ändern. Annika Brockschmidt

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12. Dezember 2025

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