Der deutsche Ökonom Achim Truger warnt im Interview mit Kontrast vor einem Sparpaket und damit verbundenen Kürzungen. Das würde die Wirtschaft abwürgen, die ja gerade in der Krise steckt. Stattdessen empfiehlt er der kommenden Regierung, in die Wirtschaft zu investieren. „Bei der Bahn, beim Straßenbau oder bei öffentlichen Gebäuden kann man ganz viel machen.“ Auch Erbschafts- und Vermögenssteuern hält er für sinnvoll.
Kontrast: Herr Truger, Österreichs Wirtschaft steckt in der Krise. Große Industriebetriebe wie KTM gehen in Konkurs und die Arbeitslosigkeit steigt. Was würden Sie der kommenden Regierung raten, wie sie mit dieser Wirtschaftskrise umgehen soll?
Truger: Ich glaube, das Wichtigste ist jetzt erstmal, dass die Regierung nicht finanzpolitisch auf die Bremse tritt. Es gibt ja parallel in Österreich das Problem, dass das Budgetdefizit höher ist, als es laut EU-Fiskalregeln sein darf. Aber da jetzt hektisch zu versuchen, zu kürzen, würde die Konjunktur noch tiefer in die Krise drücken. Dann würde man das Budgetdefizit nicht gedrückt bekommen und der Schuldenstand würde noch größer werden. Die Regierung sollte besser expansive Maßnahmen beschließen. Ein Beispiel wären deutlich günstigere Abschreibungsmöglichkeiten, also dass Firmen neue Einkäufe leichter von der Steuer abschreiben können. Das entlastet und regt relativ zuverlässig die Investitionen an.
Geplante Bauvorhaben bei Bahn, Straßenbau und öffentlichen Gebäuden vorziehen
Außerdem braucht es staatliche Investitionen. Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich natürlich schon ein deutlich höheres Niveau an öffentlichen Investitionen und auch die Infrastruktur ist in einem deutlich besseren Zustand. Aber man kann auf jeden Fall schon geplante und eigentlich baureife Vorhaben vorziehen. Bei der Bahn, beim Straßenbau oder bei öffentlichen Gebäuden kann man ganz viel machen.
Kontrast: Wie soll der Staat investieren, wenn er gleichzeitig so hohe Schulden hat? Sollte man nicht zuerst das Budget konsolidieren?
Truger: Das Budget konsolidiert man am besten über Wachstum. Und Wachstum kriegt man nicht, wenn man jetzt harte einschneidende Maßnahmen beschließt. Stattdessen sollte man aus meiner Sicht auf die Einnahmenseite schauen. Ein Grund, warum das Budgetdefizit in Österreich ziemlich hoch ist im internationalen Vergleich, ist, dass es hier kräftige Steuer- und Abgabensenkungen gegeben hat, die nicht gegenfinanziert waren. Zum Beispiel bei der Körperschaftssteuer für Unternehmen und bei Sozialabgaben. Das hat natürlich das Loch aufgerissen. Diese Steuern und Abgaben könnte man wieder erhöhen und so Einnahmen generieren. Perspektivisch könnte man auch eine Erbschaftssteuer einführen, mit der besonders Vermögende mehr zur Staatsfinanzierung beitragen würden.
Das Budget zu konsolidieren, ist “kein Hexenwerk”
Aber wichtig ist wie gesagt auch, dass man jetzt akut Investitionen vorzieht und durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten die Unternehmensinvestitionen ankurbelt. Man kann auch noch mehr machen in Richtung Klimaneutralität, etwa die Förderprogramme für Sanierung im Energiebereich.
Natürlich muss man perspektivisch darauf achten, nicht zu viel Geld auszugeben. Gleichzeitig sollte man die Steuern etwas anheben. Wenn man das moderat macht, und darauf schaut, dass die Wirtschaft wächst, kriegt man dieses Defizit auch wieder in den Griff. Es ist jetzt auch kein Hexenwerk.
Kontrast: Weil Sie die Erbschaftssteuer erwähnt haben: Wie stehen Sie generell zu vermögensbezogenen Steuern, z.B. einer Vermögenssteuer für Millionäre?
Truger: Ich habe das für Deutschland immer vertreten. Ich denke, mit der Erbschaftssteuer kann man anfangen, das ist sicherlich die unumstrittenste. Und ansonsten würde ich mich der Vermögenssteuer-Idee des französischen Ökonomen Thomas Piketty anschließen, der eine Reichensteuer für besonders große Vermögen vorschlägt. Ob diese Steuer jetzt bei einer Milliarde oder bei 100 Millionen fällig wird, darüber kann man reden. Aber ich glaube, das wäre ein sinnvoller Schritt.
Kontrast: Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland stecken große Industriebetriebe in der Krise, Stichwort VW. Haben diese Unternehmen einfach nur schlecht gewirtschaftet oder gibt es da einen größeren Zusammenhang?
Truger: Die konjunkturelle Schwäche oder Krise ist sowohl in Deutschland als auch Österreich von zwei Faktoren abhängig: Das eine ist, dass der private Konsum schwach ist, und zwar deutlich schwächer, als er nach der Realeinkommensentwicklung eigentlich sein sollte. Das deutet darauf hin, dass die Menschen verunsichert sind, möglicherweise Arbeitsplatzabbau befürchten und sich in der neuen Hochpreiswelt noch nicht eingefunden haben. Die Preisschocks waren ja in Österreich deutlich härter, weil die Regierung hier im Gegensatz zu Deutschland keine abfedernden Maßnahmen beschlossen hat.
Darum stecken Deutschland und Österreich in der Krise: schwache Nachfrage im Inland, wenig Exporte & Konkurrenz aus China
Der zweite Faktor ist eine Industrie- und Exportschwäche. Die ist insofern ungewöhnlich, weil sich normalerweise beide Volkswirtschaften, wenn die Weltkonjunktur anzieht, über den Export und besonders über die Industrie-Exporte recht schnell wieder erholen. Aktuell erholen sich Deutschland und Österreich aber nur sehr schwach. Das hat verschiedene Ursachen. Erstens sind die Energiepreise höher als vor anderen Krisen. Das belastet die preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens ist die Investitionskonjunktur auf den Weltmärkten offenbar schwach. Das heißt, Firmen investieren gerade wenig in z.B. neue Maschinen, um ihre Produktion auszubauen. Das trifft insbesondere Österreich, weil man sich hierzulande eher weg von der Automobilzulieferindustrie hin zu mehr allgemeinem Maschinenbau entwickelt hat. Die österreichische Industrie hat sich deshalb in der Vergangenheit deutlich besser entwickelt als die deutsche. Bei geringer Nachfrage nach diesen Maschinen wird das aber zum Problem.
Zu der preislichen Wettbewerbsfähigkeit und zur ungünstigen Investitionskonjunktur kommt jetzt auch noch, dass China als Konkurrent verstärkt in Erscheinung tritt und das eben beispielsweise im Maschinenbau oder in der Automobil-Branche. Also in Bereichen, in denen sowohl die deutsche als auch die österreichische Wirtschaft früher stark war. In Deutschland hat es da bei den Unternehmen sicherlich einiges an Versäumnissen gegeben.
Kontrast: Zurück zum Thema Schulden: In Deutschland wird ja jetzt gerade viel über die Schuldenbremse und ihre mögliche Abschaffung diskutiert. Sogar die Ampelregierung ist an dieser Streitfrage zerbrochen. Wie stehen Sie zur Schuldenbremse?
Truger: Ich war immer ein Kritiker der Schuldenbremse, und das mit zwei Argumenten: Zum einen lässt die Schuldenbremse nicht genug Spielraum für kreditfinanzierte öffentliche Investitionen, obwohl genau die sinnvoll sind. Und das Zweite ist: Die Schuldenbremse lässt nicht genug Spielraum zur Konjunkturstabilisierung, also in konjunkturellen Schwächephasen. Und genau das erleben wir jetzt.
Deutsche Schuldenbremse ist “nicht gemacht für Krisen”
In Deutschland wandelt sich ja gerade die Diskussion rund um die Schuldenbremse. Klar gibt es noch vereinzelte Ökonomen, die an der Schuldenbremse festhalten, aber ansonsten gibt es einen bunten Strauß an Reformvorschlägen. Das halte ich für eine positive Entwicklung. Auch der deutsche Sachverständigenrat, dem ich angehöre, hat sich schon im Januar 2024 für eine stabilitätsorientierte Reform der Schuldenbremse ausgesprochen, die höhere Kreditspielräume lässt. Zwar kann die Regierung mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag die Schuldenbremse auch jetzt schon aussetzen und damit höhere Kredite aufnehmen. Das Problem ist nur: Wenn man sie im nächsten Jahr nicht wieder aussetzt, muss man sofort wieder zurück zur Regelgrenze. Und das ist nicht gemacht für Krisen, die eben etwas dauern und wo man erst einen Anschub braucht, um aus der Krise herauszukommen.
Man kann jetzt nur hoffen, dass wenn die neue Regierung kommt, es im Deutschen Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit gibt, um die Schuldenbremse zu reformieren, denn die steht ja in der Verfassung. In Österreich ist das zum Glück nicht so. Denn wenn erstmal was in der Verfassung steht, kann es ganz schön schwierig sein, das wieder herauszubekommen. Unter Umständen macht sich eine Regierung damit von der Opposition erpressbar.
Kontrast: Sowohl die Gegner als auch die Befürworter der Schuldenbremse argumentieren mit Generationengerechtigkeit. Die Gegner sagen, man dürfe künftigen Generationen kein kaputtgespartes Land hinterlassen. Die Befürworter sagen, man dürfe ihnen keinen Schuldenberg hinterlassen. Wer hat recht?
Truger: Beide zusammen haben recht. Ich kann zukünftige Generationen durch einen sehr hohen Schuldenstand belasten. Ich kann sie aber auch belasten, wenn die Infrastruktur in schlechtem Zustand ist und der öffentliche Kapitalstock miserabel ist. Und glauben Sie mir, in Deutschland bemerken wir gerade, was das heißt. Züge haben bei uns eine Pünktlichkeitsquote um die 60 %. Das heißt: Fast die Hälfte der Züge kommt unpünktlich und dann ja meistens nicht nur sechs Minuten, sondern kräftig unpünktlich. Das ist eine miserable Situation und das belastet natürlich zukünftige Generationen.
“Das, wovon künftige Generationen profitieren, darf und soll durch Schulden finanziert werden”
Vernünftig wäre es, beides zusammenzubringen. Da setzt die sogenannte goldene Regel der öffentlichen Investitionen an. Die Idee der goldenen Regel ist: öffentliche Nettoinvestitionen, also das, wovon auch zukünftige Generationen profitieren, darf und soll durch Schulden finanziert werden. Dann hat man beides im Gleichgewicht. Man hat zwar einen steigenden Schuldenstand. Der ist aber nicht schlimm, weil dem ja ein steigender öffentlicher Kapitalstock gegenübersteht, von dem die zukünftigen Generationen profitieren, zum Beispiel ein gut ausgebautes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln.
In Deutschland waren manche ganz stolz, dass wir die Schuldenbremse übererfüllt haben und eine schwarze Null hatten. Aber leider ist halt unsere Infrastruktur verrottet. Das ist auch eine Belastung für zukünftige Generationen. Es kommt auf die Balance an!