Die ÖVP macht Sebastian Kurz in der Korruptionsaffäre die Mauer. Kein Wunder, schließlich geht es nicht nur um die Zukunft von Kurz: Auch gegen die ÖVP als Partei ermittelt die Korruptions-Staatsanwaltschaft. ÖVP-Politiker:innen versuchen die Ermittlungen hinunterzuspielen. Doch ihre Relativierungsversuche halten einem Faktencheck nicht stand.
„Die Vorwürfe liegen fünf Jahre zurück!“ |
Im Bericht der Staatsanwaltschaft finden sich Hinweise für das “Beinschab-Österreich-Tool” bis in die jüngste Vergangenheit. Noch 2020 flossen 120.000 Euro aus dem Finanzministerium an das Umfrage-Institut der mittlerweile verhafteten Sabine Beinschab. Bis in den Mai 2021 hinein gab es Umfragen des Beinschab-Instituts „Research Affairs“ in “Österreich”, die deutlich von anderen Umfragen abwichen – im Sinne der ÖVP. 2018 endet lediglich der Chat-Verkehr von Thomas Schmid zum Beinschab-Tool, da dieser dann ÖBAG-Chef wurde. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass Schmid „bloß die Zuständigkeit für das Beinschab-Österreich-Tool an andere Personen abgab“. |
„Es gilt die Unschuldsvermutung“ |
Ja, es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Niemand, außer Gerichte, haben das Recht, Sebastian Kurz (und auch niemand anderen) strafrechtlich zu verurteilen. Vom Regierungschef einer funktionierenden Demokratie darf man aber mehr erwarten, als das rechtlich gerade noch akzeptierte Minimum, bevor man ins Gefängnis muss. Wer die 104 Seiten der Hausdurchsuchung-Anordnung der Staatsanwaltschaft gelesen hat, weiß: Hier wurden zumindest 2 Millionen Euro Steuergelder für frisierte Umfragen und gekaufte Zeitungsartikel verwendet, die den Aufstieg von Sebastian Kurz fördern sollten. Dafür muss es politische Konsequenzen geben – unabhängig von der Täterschaft im strafrechtlichen Sinne. |
„Kurz hat die Wahlen gewonnen!“ |
Die ÖVP behauptet, dass auch jetzt noch eine Mehrheit der Österreicher:innen Kurz als Kanzler wolle – und das legitimiere ihn unabhängig von den Vorwürfen. Es stimmt zwar, dass die ÖVP bei den Wahlen 2017 und 2019 stimmenstärkste Partei war. Eine absolute Mehrheit hat die ÖVP aber bei weitem nicht erreicht: 2017 erhielt Kurz 31 Prozent der Stimmen, 2019 waren es 37 Prozent. Rechnet man Nichtwähler:innen ein, wurde die ÖVP beim ersten Antreten von Kurz nur von jedem fünften Österreicher gewählt – 2019 waren es 25 Prozent der Wahlberechtigten. Das ist keine Mehrheit der Österreicher:innen. Und selbst dieses Ergebnis schaffte die ÖVP nicht auf legalem Weg: 2017 gab die ÖVP 13 Millionen Euro im Wahlkampf aus. Das sind sechs Millionen mehr, als erlaubt waren. Die ÖVP wurde dafür verurteilt und erhielt eine Strafe von 800.000 Euro. Auch bei den Wahlen 2019 hat die ÖVP die Obergrenze für Wahlausgaben massiv überschritten. Mit fast 10 Millionen liegt Kurz abermals weit über den erlaubten sieben Millionen Euro. Stimmt der Verdacht der WKStA, kommen zu der massiven Überschreitung der Wahlkampfkosten-Obergrenze auch noch 2 Millionen Euro missbrauchte Steuergelder aus dem Finanzministerium dazu. Die frisierten Umfragen, die Kurz und sein Umfeld in Umlauf gebracht haben, sollten ebenfalls das Wahlergebnis beeinflussen – auf unerlaubtem Weg. Sebastian Kurz hat also noch nie auf ganz legalem Weg eine Wahl gewonnen. |
„Kurz ist „zur Seite getreten“ für Stabilität“ |
Nein, Kurz wurde von den ÖVP-Landeshauptleuten zum Rücktritt gezwungen. Auch wenn viele türkise Minister:innen in der Regierung bleiben, bedeutet der Rücktritt von Kurz als Bundeskanzler eine massive Entmachtung für ihn. War Kurz bis vor wenigen Tagen noch die ÖVP, so haben die Landeshauptleute ihm gezeigt, dass die ÖVP kein Kurz-Fanclub ist. Auch Stabilität hat Kurz’ Schritt nicht gebracht: Mit Gernot Blümel ist nach wie vor ein Finanzminister im Amt, gegen den wegen Amtsmissbrauch ermittelt wird. Elisabeth Köstinger bleibt Ministerin, obwohl sie als Generalsekretärin für den Wahlkampf zuständig war, in dem es zu den Tathandlungen gekommen sein soll. Auch dass Kurz Parteichef bleibt, Klubobmann der ÖVP im Parlament wird und Bundeskanzler Schallenberg ankündigte “eng mit Kurz” zusammenarbeiten zu wollen, trägt nicht zur Stabilität bei. |
„4-Parteien-Koalition: Herbert Kickl in der Regierung“ |
Es gab nur eine Koalition mit Kickl in Österreich und das war die türkis-blaue Koalition 2017 bis 2019. Damals war Kickl zwei Jahre Innenminister unter Bundeskanzler Kurz – geendet hat das in einem politischen Kampf um den Geheimdienst BVT. Ob es jemals zu einer Übergangsregierung aller Parteien ohne die ÖVP kommen hätte können, wird man nie erfahren. Was man weiß, ist, dass es Gespräche aller Parteien gegeben hat, wie eine stabile Regierung ohne Kurz möglich wäre. Nur die ÖVP beteiligte sich nicht an den Gesprächen, weil sie nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Kurz noch vier Tage lang auf Kurz als Kanzler bestand. Erst als in der ÖVP klar wurde, dass sich SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos ernsthaft über Alternativen unterhielten – sei es eine Expertenregierung oder eine Allparteien-Zweckkoalition zur Aufarbeitung der Skandale -, haben die Landeshauptleute beschlossen, dass sie Kurz als Bundeskanzler nicht mehr mittragen werden. So konnten zumindest die restlichen türkisen Minister:innen in der Regierung bleiben, weil die Grünen nur auf den Rücktritt von Kurz bestanden. |