Vergangenes Jahr wurden erschreckende Zahlen veröffentlicht. Trotz Verbot des kleines Glücksspiel in Wien verdoppelte sich die Zahl der Hilfesuchenden bei Spielsucht in Österreich im Zeitraum von 2016 auf 2017. Alleine 107.000 Menschen nahmen Kontakt zu der von Casinos Austria und Novomatic mitfinanzierten Seite der Spielsuchthilfe auf.
Das Glücksspiel im Casino macht bei Weitem nicht mehr den Großteil des Problems aus. 70% der Betroffenen sind Online-Spieler. Sie gambeln auf Angeboten von Casinos Austria und Novomatic. Zum Novomatic Konzern gehören auch die Sportwettenanbieter Admiral, Tipp 3, Bwin, Bet at Home und anderen Plattformen im Netz. Die Vorstände der Spielsuchthilfe, der Psychiater Peter Berger und die Psychologin und Psychotherapeutin Izabela Horodecki haben 2018 einen Bericht vorgelegt, der vor allem eines zeigt: “Seit Jahren beobachten wir die kontinuierlich wachsende Bedeutung des Internet als Glücksspielort bzw. Ort des Wettens bei den bei uns Hilfesuchenden.“
Rasante Entwicklung
Von den Hilfesuchenden werden 40 % als „schwer spielsüchtig“ eingestuft. Beinahe 90% aller Personen hatten sich mit ihrer Spielsucht verschuldet. Der Anteil der Online-Spielsüchtigen stieg stark an. 2012, gaben noch 25% aller Hilfesuchenden an, dass das Internet an der Spielsucht schuld ist – heute sind es 70 %.
Kontrast wollte zu diesem Thema mehr wissen und hat sich bei der größten europäischen Suchtklinik, dem Anton Proksch Institut im 23. Wiener Gemeindebezirk umgehört. 1956 unter der Schirmherrschaft des ehemaligen SPÖ-Sozialminister Anton Proksch als „Genesungsheim Kalksburg“ gegründet, ist es heute eine Beratungsstelle und therapeutische Einrichtung für Hilfesuchende unterschiedlichster Suchterkrankungen.
Was genau wird unter pathologischem Spielen verstanden?
Von pathologischem Glücksspiel spricht man, wenn der Spieler völlig die Kontrolle über sein Spielverhalten verloren hat. Ein Ausstieg ist in diesem Stadium ohne therapeutische Unterstützung nicht mehr möglich. Ein typisches Merkmal von pathologischen Spielerinnen und Spielern ist das so genannte „Magische Denken“. Dabei handelt es sich um eine fast unkorrigierbare Überzeugung, im nächsten Glücksspiel zu gewinnen bzw. die Gewinnzahlen „spüren zu können“. Gerade dieses „Magische Denken“ stellt oftmals eine große Hürde dar, wenn sich die Spielsuchterkrankten in Behandlung begeben.
Hohe Schulden als Folge der Spielsucht
Affektive Störungen, besonders Depressionen, finden sich bei rund der Hälfte der Spieler. Nahezu jeder vierte pathologische Spieler berichtet über einen oder mehrere Suizidversuche. Typische Folgen der Spielsucht sind auch Verschuldung und Probleme mit dem Strafrecht: 89 Prozent der Menschen, die in eine Spielerberatung kommen, sind mit einem Betrag von durchschnittlich 40.000 Euro verschuldet.
Vier von 100 Menschen, die Kontakt zur Spielsuchthilfe aufnehmen, sind bereits im Privatkonkurs, zwölf Prozent wurden gepfändet. Bei den strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen stehen Betrug, Unterschlagung und Diebstahl zur Geldbeschaffung im Vordergrund.
Welche Anzeichen für eine mögliche Spielsucht gibt es?
Wenn sich Betroffene immer mehr zurückziehen, weil sie sich nur mehr mit der nächsten Möglichkeit zu spielen beschäftigen. Auch werden sie gereizter oder auch depressiv mit Fortdauer der Spielerlaufbahn. Natürlich sind auch zunehmende Verschuldung oder auch Geldbeschaffungsdelikte mögliche Hinweise für ein Glücksspielproblem.
Wie entsteht Spielsucht überhaupt?
Je schneller ein Spiel abläuft, desto suchtgefährdender ist es. Es sind also vor allem die Ereignisfrequenz und das Auszahlungsintervall, die das Suchtpotenzial des jeweiligen Spiels bestimmen. Entscheidend sind auch gewisse Kompetenzanteile des Spielers: Wird er aktiv (Drücken der Start/Stop-Taste oder Risiko-Taste) in das Spiel miteinbezogen? Wird ihm das Gefühl vermittelt, das Glücksspiel in besonderer Weise beeinflussen zu können? Diese Faktoren steigern die Spielmotivation. Spielautomaten haben einen überdurchschnittlich hohen Anteil an so genannten Fast-Gewinnen, die dem Spieler suggerieren, dass er jeweils nur knapp den Gewinn verpasst hat.
“Je schneller ein Spiel abläuft, desto suchtgefährdender ist es. Es sind also vor allem die Ereignisfrequenz und das Auszahlungsintervall, die das Suchtpotenzial des jeweiligen Spiels bestimmen.”
Hilfe um vom Glücksspiel loszukommen
Wo kann ich mich melden, wenn ich Hilfe benötige?
Das Anton Proksch Institut hat langjährige Erfahrung mit der Therapie von Spielsüchtigen. Ein niederschwelliger Erstkontakt mit der Einrichtung ist in einer der Ambulanzen möglich. Diese befinden sich in Wien-Liesing, Wien-Wieden, Wien-Landstraße, Baden, Mödling, Wr. Neustadt und Neunkirchen.
Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es bei Spielsucht?
Die Behandlung der Spielsucht kann ambulant oder stationär durchgeführt werden. Die häufigsten Probleme in der Behandlung von Spielsuchterkrankten sind suchttypische Abwehr- und Verleugnungsmechanismen, eine pathologische bzw. pathogene Familiendynamik und komorbide Störungen. Von pathologischen bzw. pathogenen Familiendynamiken spricht man wenn Familienstrukturen und –prozesse gestört sind und Menschen dadurch unter persönlichen und zwischenmenschlichen Problemen leiden. Und bei einer komobriden Störung handelt es sich um eine psychische Störung. Jedoch ist diese nicht primär, da zumeist eine andere psychische Störung vorher auftritt, bzw. diagnostiziert wurde. Die Behandlung wird durch eine solche Störung erschwert und das Risiko dass es chronisch wird steigt ebenfalls an. Die psychotherapeutische Behandlung erfolgt in Einzel- und Gruppensitzungen. Einen besonderen Schwerpunkt stellt aufgrund der häufig vorhandenen sozialen Problematik die sozialarbeiterische Beratung und Betreuung dar. Und zwar in erster Linie im Hinblick auf Schuldenregelung, Geldmanagement und das Erstellen eines individuellen Finanzplans. In den meisten Fällen ist es auch erforderlich, die Angehörigen in das Behandlungskonzept mit einzubeziehen.
Gibt es auch Betreuung für Angehörige von Menschen mit Spielsucht?
Die ambulanten Beratungsangebote des Anton Proksch Instituts stehen selbstverständlich auch Angehörigen offen.
“Casino-Spieler sind eher älter und aus eher gehobener Berufssituation, aber spielen meist mit höheren Einsätzen und sind auch deutlich höher verschuldet als z.B. reine Automatenspieler. Sportwetter sind primär männlich und eher jünger.”
Laut offiziellen Zahlen gab es 2017 doppelt so viele Hilfesuchende wie das Jahr zuvor. 70% dieser Menschen spielen online. Hat sich das pathologische Spielen vermehrt in das Internet verlagert und nimmt dadurch das stationäre Spielen ab?
Ja, das Online-Glücksspiel ist ein neuer Bereich, eine neue Möglichkeit für Spieler, jederzeit und an jedem Ort zu spielen. Über das Ausmaß gibt es hier unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir haben weiterhin Spieler in Behandlung, die primär an physischen Automaten spielen oder für die besondere Atmosphäre in einer Spielumgebung auch entscheidend ist. Trotzdem nimmt der Anteil der Online-Spieler zu.
Unterschiedliche Formen der Spielsucht
Was sind die Unterschiede zwischen Menschen, die in einem Casino spielen und die online wetten?
Casino-Spieler sind eher älter und aus eher gehobener Berufssituation, aber spielen meist mit höheren Einsätzen und sind auch deutlich höher verschuldet als z.B. reine Automatenspieler. Sportwetter sind primär männlich und eher jünger. Oft kommen diese auch aus einem Sportberuf oder sind selber aktive Sportler. Dadurch meinen sie, einen höheren Kompetenzanteil im Spiel zu haben, verlieren aber doch zu 95%, weil sie äußerst riskant spielen.
Online kann man bei einem Fußballspiel inzwischen auf die unterschiedlichsten Dinge wetten … Erhöht sich durch diese Vielzahl an Möglichkeiten das Risiko-Potential?
Durch die Vielzahl an Möglichkeiten erhöht sich das Risiko-Potential. Durch diese Mehrfachwetten erhöht sich der „Kick“ für unsere Patienten. Allerdings werden auch die Verluste höher.
PS: Voodoo Jürgens hat sich mit Jazz Gitti zusammengetan & sich dem Thema musikalisch genähert