In Österreichs führender internationalen Kommunikationsagentur, Grayling, arbeiten die 35 Beschäftigten seit September nur noch 32 Stunden pro Woche – bei vollem Lohn. Die 4-monatige Testphase war so erfolgreich, dass die 4-Tage-Woche seit Jänner dauerhaft eingeführt wurde. Denn: Mitarbeiter:innen und Kund:innen sind begeistert, während gleichzeitig der Umsatz steigt. Auch andere Standorte überlegen, dem österreichischen Vorstoß zu folgen – darunter Großbritannien, Frankreich und Deutschland, wie CEO Sigrid Krupica und Managing Director Moritz Arnold gegenüber Kontrast erzählen.
@kontrast.at Die Ausrede ist immer dieselbe: Bloß kein #Fortschritt, denn das schadet der Wirtschaft. #4tagewoche #worklifebalance #österreich #zeitreise #geschichte #1980s #1960s #1920s #politik ♬ Comedy Scenes – Comical, stupid, silly, loose, comical, farce(1295330) – Ponetto
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die 4-Tage-Woche einzuführen?
Sigrid Krupica: Wir haben vor circa drei Jahren einen sogenannten New Thinking Prozess begonnen, bei dem wir uns überlegt haben, wie wir die Agentur fit für die Zukunft machen können. Da war auch die Arbeitszeit ein Thema. Natürlich haben wir auch das Pilotprojekt in Großbritannien und die guten Erfahrungen in einigen anderen Ländern, z.B. in Skandinavien mitbekommen. Schließlich wollten wir nicht mehr länger zuwarten, sondern eine Vorreiterrolle einnehmen. Und haben den Versuch dann im Sommer letzten Jahres gestartet.
Wie ist dann der Versuch abgelaufen?
Moritz Arnold: Wir haben mit ersten Gesprächen und Umfragen gestartet und viel Zeit in die Planung investiert. Gespräche mit vielen verschiedenen Personen folgten, z.B. aus der Arbeitspsychologie und mit anderen Unternehmerinnen, die sich dazu bereits Gedanken gemacht haben. Wir haben wirklich versucht, Erfahrungswerte zu sammeln, um sie dann auf unser eigenes Modell umzulegen.
Sigrid Krupica: Von September bis Dezember haben wir schließlich ein Pilotprojekt gestartet. In dieser Zeit haben wir laufend Mitarbeiterbefragungen und Evaluierungen durchgeführt, um den Piloten zu adaptieren, uns anzupassen und Reality Checks zu machen. Wir haben uns dieses Zeitfenster zum Ausprobieren gegeben und gesagt: “Wenn es gut funktioniert, werden wir ab Jänner damit fix durchstarten.” Und erfreulicherweise war das Ergebnis sehr positiv.
Gab es in diesem Prozess auch Probleme oder Widerstände?
Sigrid Krupica: Was wir relativ rasch erkannt haben, war das Thema der Teilzeitkräfte. Da war rasch klar, dass wir uns hier individuelle Angebote überlegen müssen. Da haben wir schnell reagiert für jede und jeden sehr individuelle Lösungen gefunden. Der eine wollte beispielsweise von 20 auf 32 Stunden aufstocken, also Vollzeit arbeiten. Die andere wollte ihr Aufgabengebiet nicht vergrößern, aber versuchen, die Arbeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Wieder ein anderes Teammitglied wollte keine Änderung.
Moritz Arnold: Und das großartige ist, dass jene, die ins Vollzeitmodell wechselten, zumeist alleinerziehende Mütter und Väter sind. Weil sie so eine kleinere oder gar keine Pensionslücke haben und trotzdem ihre Care-Arbeit und ihre Familienarbeit unter einen Hut bringen.
Und was uns enorm stolz macht ist, dass jetzt viele in unserer Belegschaft eine bessere Work-Life-Balance haben. Die gehen laufen, machen eine Runde Yoga oder engagieren sich in einem Sozialverein – das ist total toll.
Was hat Sie dazu bewogen, im Jänner dauerhaft die 32-Stunden-Woche einzuführen?
Sigrid Krupica: Am Ende des Versuchs haben wir unsere Mitarbeiter:innen gefragt, ob sie das neue Modell beibehalten oder zurück ins alte Modell wollen. Und da hatten wir 100 % Zustimmung zum neuen Modell.
Moritz Arnold: Ja, das hat uns sehr überrascht.
Wirklich alle wollten das neue Modell behalten – also auch jene, die vielleicht nicht von Anfang an überzeugt waren. Wir haben einfach gesehen, dass es gut funktioniert. Es wurden auch keine Schwächen sichtbar: Wir sinken nicht in der Qualität, wir sinken nicht in der Effizienz.
Sie folgen dem Modell 100:80:100, also 100 Prozent Bezahlung, 80 Prozent Zeit und 100 Prozent Produktivität. Besteht damit nicht die Gefahr, dass das mehr Stress und Druck für die Mitarbeiter:innen bedeutet, weil sie mehr in kürzerer Zeit schaffen müssen?
Moritz Arnold: Ja, das ist ein guter Punkt. Auch das war Teil unserer Befragungen. Viele haben tatsächlich gesagt, dass innerhalb der vier Tage die Workload größer wurde. Aber gleichzeitig haben trotzdem alle gesagt, dass es das wert ist, um dafür drei Tage frei zu haben.
Sigrid Krupica: Genau. Aber wichtig ist, dass der Workload in den vier Tagen natürlich nicht um 20 Prozent steigt, sondern um weniger. Wir haben versucht, an gewissen Stellschrauben zu drehen und in effizienteres und fokussiertes Arbeiten zu investieren. Dafür haben wir uns etwa unsere Meetingkultur, berufliche Trainings, Doppelgleisigkeiten beim Onboarding und unser Wissensmanagement angeschaut. Das ist ein laufender Prozess, in dem wir uns auch jetzt noch befinden. Denn mit Effizienz-Techniken kann man schon sehr viel erreichen.
Können Sie jetzt schon sagen, wie sich das auf den Umsatz auswirkt bzw. wie Ihre Kunden und Kundinnen reagieren?
Sigrid Krupica: Also unsere Prämisse war, dass sich die Umsatzsituation auf keinen Fall verschlechtern darf – im Gegenteil. Wir sind auf Umsatzwachstum programmiert und haben auch unsere Profitabilitätsvorgaben als Teil eines internationalen Netzwerks. Und da sind wir weiterhin auf Plan.
Bei den Kunden hatten wir ehrlicherweise etwas Sorge, wie sie reagieren werden. Aber das war wirklich verblüffend, denn der überwiegende Großteil fand unseren Versuch ganz toll. Manche meinten sogar, dass sie das auch gerne hätten. Manche waren eher abwartend, wie es funktioniert.
Moritz Arnold: Heute vergeht kaum ein Jour fixe, bei dem die Kunden nicht fragen, wie es uns mit dem neuen Modell geht. Da ist ein interessanter Austausch entstanden, bei dem wir auch Impulsgeber sein dürfen.
Denken Sie, dass eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohn auch in anderen Unternehmen und in anderen Branchen möglich wäre?
Sigrid Krupica: Ja, ganz eindeutig. Es gibt sicherlich Herausforderungen bei Jobs, wo Präsenzen notwendig sind. Aber auch hier denke ich, dass es mit innovativen Vorschlägen und Ideen und in Kombination mit neuen Technologien möglich ist.
Wenn man will, so glaube ich, kann man das in fast jeder Branche machen.
Was halten Sie dann von der Idee einer Vier-Tage-Woche, bei der man die Vollzeit-Stunden auf vier Tage aufteilt?
Sigrid Krupica: Wir sprechen da von der falschen Vier-Tage-Woche, weil sich das aus meiner Sicht natürlich negativ auswirkt. Diese Tage werden dann einfach zu lang und zu intensiv und man kann sich davon nicht entsprechend erholen.
Moritz Arnold: Ergänzend ist hier noch wichtig, dass man ein neues Arbeitszeitmodell nicht aus Opportunitätsgründen einführen sollte. Es ist eine Frage der Einstellung, man muss es aus absoluter Überzeugung machen – aus diesem visionären, tieferen Grund, wie man Leistung und wie man Arbeit bewertet.
Viele sagen, dass damit Leistung oder Wertschöpfung verloren geht, aber das Gegenteil ist der Fall: Bei uns geht es tatsächlich fast ausschließlich um das gewünschte Resultat der Arbeit und um nichts anderes. Ich denke, diese Sichtweise fehlt ein bisschen in der Debatte.
Was würden Sie Unternehmen raten, die sich überlegen, ebenfalls eine 4-Tage-Woche mit kürzeren Arbeitszeiten einzuführen?
Sigrid Krupica: Erstens muss man zu 100 % davon überzeugt sein und es nicht nur deshalb tun, weil es jetzt alle anderen tun. Das kann sonst sehr schnell nach hinten losgehen. Zweitens ist es wichtig, dass das Team, mit dem man das machen möchte, eine gewisse Stabilität aufweist. Wenn sich das Unternehmen gerade in einem massiven Umstrukturierungsprozess befindet, sich die Leute nicht so gut kennen, das Vertrauen auch noch nicht richtig aufgebaut ist und ich dann eine 32-Stunden-Woche darüberstülpe, kann das aus meiner Sicht nur scheitern.
Man muss sich aufeinander verlassen können, das schmiedet dann auch eng zusammen. Das wirkt wie ein Klebstoff, der sehr, sehr wertvoll ist. Aber wenn es zu viel Unsicherheit gibt, ist es statt Klebstoff eher Zündstoff.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach groß angelegte Versuche wie jener in Großbritannien?
Sigrid Krupica: Ich finde solche Versuche wichtig und auch richtungsweisend. Weil man erkennt, wie das in der Praxis in den verschiedensten Bereichen und Branchen ausschaut und davon lernen kann.
Moritz Arnold: Versuche wie in Großbritannien und Skandinavien wären tatsächlich auch in Österreich schön. Damit wir uns dieses Know-how auch selbst ins Land holen und nicht immer nur über den Teich oder in ein anderes Land schauen müssen. Und dabei diese mutigen Unternehmen, die das gerade ausprobieren, wissenschaftlich, qualitativ und quantitativ begleiten, um ganz spezifische Rückschlüsse für Österreich zu ziehen.
Sigrid Krupica: Überlegenswert wäre auch ein Modell, das die besondere Situation in Österreich berücksichtigt, also etwa mit einem Schwerpunkt auf Tourismus. Besonders hier ist der Fachkräftemangel ja mittlerweile ein existenzbedrohliches Thema.
Das heißt, Sie gehen davon aus, dass z.B. im Bereich Tourismus, wo viele Unternehmen von einem Fachkräftemangel berichten, eine Vier-Tage-Woche eher dazu führen würde, dem entgegenzuwirken, anstatt ihn zu verstärken?
Sigrid Krupica: Auf jeden Fall. Aber: Die Vier-Tage- oder 32-Stunden-Woche nicht das Allheilmittel für alle Probleme. Da gehört noch viel mehr dazu, etwa eine grundsätzlich positive Einstellung zu den Arbeitskräften. Und auch das gesamte Feld der Gesundheit am Arbeitsplatz und natürlich Themen wie Gehalt und Mitarbeiterführung.
Es geht um die zentrale Frage: Wie mache ich mich als Arbeitgeber attraktiv – und dazu zählt eben mehr als nur die flexible Arbeitszeit.