Mehr als 4.000 Wissenschaftler aus 600 Universitäten haben einen Aufruf an die Politik für die Zeit nach Corona verfasst. Sie fordern: Die Demokratisierung von Unternehmen, Maßnahmen wie eine Jobgarantie und ein entschlossenes Vorgehen gegen den Klimawandel. In diesen Maßnahmen sehen sie eine Möglichkeit, um aus der Corona-Krise zu kommen und die Klima-Krise zu bewältigen. Wir haben mit Prof. Brigitte Aulenbacher von der Uni Linz über den Aufruf und über ihre Kritik an dem Umgang der Regierungen mit Corona gesprochen.
Kontrast: Sie haben einen Aufruf zur Neugestaltung der Arbeitswelt unterschrieben – gemeinsam mit 4.000 Wissenschaftler weltweit. Was sind die großen Probleme unserer Arbeitswelt?
Aufgrund der Pandemie ist natürlich Arbeitslosigkeit wieder stark in den Vordergrund getreten. Wir haben eine durchaus vergleichbare Situation wie nach der Finanzkrise 2008/2009. Damals hatten wir es auch mit erheblichen wirtschaftlichen Einbrüchen zu tun.
Neben der Arbeitslosigkeit gibt es aber noch eine Reihe anderer Themen, die unsere Arbeitswelt aktuell prägen. Eines davon ist Working Poor.
Working Poor sind Menschen, die zwar arbeiten, aber deren Einkommen trotzdem nicht zum Überleben ausreicht. Sie fallen entweder unter die Armutsgrenze oder benötigen andere Subventionen. Obwohl sie Vollzeit arbeiten und teilweise mehr als einen Job haben. Diese Menschen können sich also durch ihre Erwerbsarbeit nicht mehr ihre Existenz sichern.
Ein anderes Thema, das uns schon seit etwa 20 Jahren verfolgt, ist die Prekarisierung. Darunter versteht man auch unsichere, befristete Arbeitsverhältnisse, die momentan oder langfristig nicht existenzsichernd sind oder die keine Teilhabe an den Angeboten der Gesellschaft erlauben.
Zugleich stellen wir fest, dass Arbeit extrem ungleich verteilt ist. Auf der einen Seite gibt es jene, die Jobs haben, die extrem arbeitsintensiv sind und mit Überstunden und Überforderung verbunden sind. Auf der anderen Seite dann jene, die in einem Ausmaß beschäftigt sind, die ihre Existenz nicht sichert.
Wir haben also viele Baustellen. Ich fürchte, dass Corona und die hohe Arbeitslosigkeit dazu führen, dass die Kluft innerhalb der Gesellschaft sich weiter vertieft.
Kontrast: Wie könnte sich das ändern? Das Manifest der Wissenschaftler spricht von mehr Mitsprache der Beschäftigten in ihren Unternehmen. Was kann das bewirken?
Es ist ganz interessant, dass sich bei dem Thema betriebliche Mitsprache in letzter Zeit einiges bewegt. In unserem Manifest schlagen wir eine Struktur vor, die Beschäftigten Formen der Mitbestimmung öffnet, die auf der Seite der Arbeitgeber bereits vorgesehen sind. Beispielsweise kann in Analogie zu Aufsichtsräten Gremien geschaffen werden, die die Beschäftigten in die Planung von unternehmerischen Entscheidungen miteinbeziehen.
Jene, die ihre Arbeitskraft einbringen, müssen sowohl das Recht als auch die Pflicht haben, sich in betrieblichen Entscheidungen einzubringen. Besonders da wir mit zahlreiche ökonomischen, ökologischen und sozialen Problemen konfrontiert sind. Arbeitnehmer sollen untereinander und mit den Arbeitgebern über mögliche Lösungen diskutieren können.
Kontrast: Derzeit fließen Milliarden Euro an Steuergeldern an die Unternehmen zur Rettung in der Krise. Wäre das nicht ein Hebel, um Änderungen in der Arbeitswelt durchzusetzen?
Ich denke, das wäre tatsächlich ein Hebel und sogar ein sehr klassischer. Staatliche Subventionen und Förderungen mit Auflagen zu verbinden wäre nichts Neues. Das könnten ökologische Auflagen sein, etwa Bereiche in besonderer Weise fördern, die sich auch für Klimaziele verpflichten. Gleiches könnte man auch bei sozialen Kriterien machen.
Es ist auch nicht so, dass wir da völliges Neuland betreten. Ein Beispiel wären die Sustianable Development Goals, es ist nicht so als wären dort nicht auch Unternehmen beteiligt. Nämlich Unternehmen, die sich freiwillig verpflichten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Sustianable Development Goals Rechnung zu tragen und ihre Produktion diesen Zielen anzupassen. Das sind praktische Wege, die wir bereits kennen. Es wäre durchaus möglich, eine staatliche Wirtschaftsförderung mit solchen Auflagen zu verbinden und dadurch auch ein bisschen kanalisieren, in was investiert wird und was gesellschaftlich wünschenswerte Formen solcher Rettungspakete sind.
Kontrast: Angesichts des Klimawandels bringen Sie und die anderen 4.000 Wissenschaftler auch eine Jobgarantie ins Spiel. Welche Perspektive gibt es für die Beschäftigten in der Erdöl- und Erdgaswirtschaft, in der Autoproduktion und im Flugverkehr, wenn die Wirtschaft tatsächlich klimafreundlich umgestaltet wird?
Also am Anfang möchte ich gleich mal sagen, dass sich die Jobgarantie auf ein Recht auf Arbeit bezieht und nicht ein Recht auf den aktuellen Job. Die Garantie soll Menschen ermöglichen durch ihre Arbeit ihre Existenz zu sichern und mehr noch, sich durch ihre Arbeit am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.
Bei der Umgestaltung von ökologisch-bedenklichen Industrien setzen wir auch nicht bei null an. So hat es etwa im Bergbau radikale Veränderungen gegeben und auch in der Autoindustrie gibt es gerade starke Bewegungen hin zu Elektro-Mobilität. So ein industrieller Umbau ist jedoch kein kurzfristiges Unterfangen, sondern im besten Fall ein mittelfristiges.
Gerade beim Bergbau haben wir gesehen, wie die negativen Auswirkungen auf die Arbeitnehmer abgefedert werden können. So gab es etwa vorgezogene Ruhestände der bereits älteren Beschäftigten, entsprechende soziale Abfederung, Umschulungen und andere Betätigungsfeldern. Es ist also nicht so, dass dieser Umbau zwanghaft Menschen in die Arbeitslosigkeit führt und für andere neue Perspektiven schafft. Ein geplanter industrieller Umbau kann alle mitnehmen. Das wäre für mich auch die Voraussetzung, die geschaffen werden muss, sonst verstärkt man das ohnehin bereits bestehende Problem von sozialer Ungleichheit und Polarisierung weiter.
Kontrast: Corona hat uns im Brennglas auch gezeigt, was der Sparkurs der letzten Jahre mit den Gesundheits- und Sozialsystemen angerichtet hat. Selbst die EU-Kommission hat die Verbesserung der Gesundheitssysteme zu einem ihrer Ziele erklärt, nachdem sie jahrelang auf Einsparungen gedrängt hat. Wie realistisch ist es, dass mehr Geld in Pflege-und Betreuungsarbeit fließt?
Ich halte es aktuell für einen historisch extrem schwierigen Zeitpunkt. Es gibt hier wieder Parallelen zur Situation nach der Finanzkrise. Zunächst hat Corona den Wirtschaftssektor getroffen, das erleben wir jetzt gerade auch, diese führen dann zu einem Einbruch in der Steuerzahlung und gehen deshalb letztlich an die finanzielle Substanz des Sozialstaats. All das, was es bedürfte, um den Sozialstaat zu stärken, ist jetzt, wie damals in 2008/2009, im extremen Ausmaß gefährdet. Das heißt, wir können in nächster Zeit nicht die Steueraufkommen erwarten, die nötig wären. Gleichzeitig geht der Großteil der Investitionen in die Wirtschaft und nicht in den Sozialstaat. Starke Investitionen in den Sozialstaat wären jedoch notwendig.
Kontrast: Sehen sie sowas als realistisch? Ist der politische Wille für einen Ausbau des Sozialstaats da oder war das Klatschen für die Helden der Krise nur Propaganda und jetzt werden ihnen die Jobs gestrichen?
Ich glaube, das Klatschen für die Helden war ernst gemeinte gesellschaftliche Unterstützung. Gleichzeitig wird der Unmut dieser Helden der Krise jetzt zu Recht schon sehr deutlich, wenn diese Leute nämlich nicht sehen, dass ihre Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden. Sie sehen nicht, dass sie ein anderes Einkommen zu erwarten haben als bis jetzt, mit der Ausnahme von einzelnen geringen Bonuszahlungen. Deshalb erwarte ich selbstläufig keine Veränderung der Situation. Wenn, dann wäre es eine gezielte Investitions-Entscheidung.
Aus meiner Sicht der Dinge hängt eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Sozialsektor davon ab, wie sehr aus diesem Sektor heraus Druck aufgebaut werden kann. Wir hatten ja vor der Pandemie in diesem Bereiche starke Auseinandersetzungen über die Arbeitszeitverkürzung, die Finanzierung des Sektors und um Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen verbessern. Wenn aufgrund der Pandemie in diesem Sektor wieder Ruhe einkehrt, würde ich die Chance, dass dort viel durchsetzbar ist, im Moment eher als negativ beurteilen.
Kontrast: In den ersten Wochen der Corona-Krise schien allen klar zu sein, dass ein gutes und gesundes Leben wichtiger sind als die Profitlogik. Am Ende der Krise scheint diese Erkenntnis schon wieder etwas in den Hintergrund geraten zu sein. Glauben Sie als Wissenschaftler an Lerneffekte, die unsere Arbeits- und Wirtschaftswelt langfristig verändern?
Ich würde das nicht vereinheitlichen. Aus meiner Sicht der Dinge sind drei Tendenzen sichtbar. Das eine ist, dass aus der Wirtschaft der Druck aufgebaut wird relativ schnell wieder alles zu öffnen und schnell zur Profitlogik zurückzukehren. Ich glaube, dieses Phänomen sieht man noch deutlicher in der USA als vielleicht in Österreich. Trumps Politik ist ganz stark vom Profitstreben gekennzeichnet – trotz der aktuell nicht kontrollierbaren Auswirkungen der Pandemie.
Die andere Seite ist, dass es für viele Menschen spürbar war, dass wir an gewisse Grenzen kommen. Die Pandemie ist durch die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, mitverursacht worden. Auch ist die Erkenntnis angekommen, dass Corona nicht die erste Pandemie ist und auch vermutlich nicht die Letzte bleiben wird, wenn wir nicht grundsätzlich unser Wirtschaftsmodell verändern.
Eine dritte Ebene ist jene der Erfahrung des Alltags. Die Pandemie war auch eine Erfahrung, dass man auf bisherige Annehmlichkeiten des Lebens verzichten muss aber auch, dass dadurch andere Aspekte in den Vordergrund getreten sind. Beispielsweise hat sich unser Freizeitverhalten und Alltagsverhalten verändert. Es gibt also eine neue Erfahrung davon, was Lebensqualität bedeutet. Es bleibt also nicht bei einem abstrakten Wissen, dass wir aufgrund der ökologischen und sozialen Vernunft neue Wege beschreiten müssen, sondern es gibt auch die Erfahrung, dass neue Wege möglich sind. Insofern bin ich optimistisch was einen Lernprozess angeht.
Brigitte Aulenbacher ist Professorin für Soziologie auf der Johannes Kepler Universität Linz. Die Schwerpunkte ihrer Forschung ist der Sozialstaat, Pflege- und Betreuungsarbeit sowie Arbeit und Industie. Gemeinsam mit Thomas Piketty, Nancy Fraser und 4.000 anderen Wissenschaftlern fordert sie in ein Manifest einen ökologisch und sozial-gerechten Umbau unserer Wirtschaft.