Wolfgang Brandstetter VfGH (VfGH/Achim Bieniek (CC BY-SA 3.0 AT)

Kommentar

Konsequenz nach ÖVP-Chats: Höchstrichter Brandstetter verlässt das Amt

Es ist ein neuer Höhepunkt im Skandal um Handy-Nachrichten, die sich ranghohe Politiker und Beamte aus dem Umfeld der ÖVP zusenden. Am Donnerstag nahm Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter seinen Hut, nachdem auch von ihm Chats an die Öffentlichkeit gekommen waren. In den Handy-Nachrichten äußerte sich vor allem der suspendierte Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, äußerst herabwürdigend gegenüber anderen HöchstrichterInnen und dem Gericht. Brandstetter sekundiert ihm dabei. Mit seinem Rücktritt ist er wohl einem Ausschluss aus dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) zuvorgekommen.

Österreich kommt aus dem Staunen nicht heraus: Aus den Ermittlungen rund um die mutmaßliche Käuflichkeit der ÖVP-FPÖ-Regierung (Ibiza-Affäre) gelangen immer wieder private Gesprächsverläufe an die Öffentlichkeit, die ein eigenartiges Bild zeichnen: Die ÖVP-Granden an den wichtigsten Stellen des Landes behandeln die Republik wie einen Selbstbedienungsladen („Kriegst eh alles, was du willst“), missachten den Rechtsstaat („VfGH nach Kuba abschieben“), verachten Frauen („Scheiß Quote“) und Menschen, die nicht weiß sind (und als „Putzfrau“ statt als Richterin arbeiten sollten). Für fast alle Beteiligten bleibt das ohne Konsequenzen – vorerst. Denn die Justiz ermittelt, die Urteile werden noch gesprochen werden. Ex-ÖVP-Vizekanzler Wolfgang Brandstetter und der suspendierte ÖVP-Mann im Justizministerium, Christian Pilnacek, tragen nun – gewollt oder ungewollt – die Konsequenzen.

„Uns fehlt ein Trump“

Ein Blick in die privaten Gedanken der Würdenträger ist entlarvend. Pilnacek lässt sich offen über die Justiz, vor allem über Frauen und im Speziellen über solche mit Migrationshintergrund aus. Die WKStA nennt er “missraten”, gegen die man Akten sicherstellen und entschieden vorgehen müsse. „Uns fehlt ein Trump“, schreibt Pilnacek Brandstetter über die WKStA-Ermittlungen in der ÖVP-Schredderaffäre.

Am 11. Dezember entschied der VfGH zum Verbot der Beihilfe zu Suizid und zum Kopftuchverbot an Volksschulen. Beide wurden aufgehoben. Noch vor der Verkündung der Erkenntnisse schrieb Brandstetter an Pilnacek: „Heute ab ca. 17h öffentliche Urteilsverkündung bzgl. Sterbehilfe und Kopftuchverbot. Die Mehrheit hat entschieden. Ist zu überlegen, wen man dort hinschickt, geht ja nur um die Verkündung ,ohne Widerrede‘“. Pilnacek urteilt: „Wieder Niederlage für den Rechtsstaat.“

Doch Brandstetter zeigt sich kampfeslustig: „Man muss trotzdem weitermachen! ‚Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen‘ (Albert Camus).“ Die Berichterstattung rund um die Erkenntnisse nennt er „großes Medien Theater.“ Pilnacek, damals einer der mächtigsten Beamten der Justiz, ist sich sicher: „Einem vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat kann man nicht mehr dienen.“

„Als Putzfrau nach Kuba“

Pilnacek und Brandstetter verabschieden sich per Chat gerne mit „Venceremos“ („Wir werden siegen“), einem sozialistischen Kampfspruch aus Chile. Die Floskel ist als spaßhafte Anspielung auf eine gemeinsame Reise nach Kuba zu verstehen.

Kuba spielt auch sonst eine Rolle. Gemeinsam mit den ausrangierten Müllfahrzeugen, die Österreich nach Kuba geschickt hatte,  solle man gleich den gesamten VfGH nach Kuba exportieren, sollte man nicht gewinnen, schrieb Pilnacek als Replik auf Brandstetters Nachricht: „VINCEREMOS! (sic!) (Nicht nur in Kuba!)“. Die Kubaner seien sicher stolz auf Verena Madner. Die Vizepräsidentin des VfGH ist auf grünem Ticket die erste schwarze Höchstrichterin des Landes. Claudia Kahr gebe „eine gute Müllfrau ab“, meint Pilnacek. Kahr ist eine rote Bestellung in den VfGH und gilt als Feministin.

Gegenüber dem Kurier bekräftigt der Ex-Minister und nunmehrige Ex-Verfassungsrichter, dass ihm keine der Formulierungen in den Chatprotokollen im Nachhinein leidtue. Bei den Chats handle es sich um „Frustablassen“ zwischen zwei Menschen, „die schon lange freundschaftlich verbunden sind“. Da dürfe man nicht alles auf die Goldwaage legen. Einsehen und Reue klingen anders.

Der VfGH in einer Sitzung.

Brandstetter kommt Amtsenthebung zuvor

Die Vorsteherin der Richtervereinigung zeigte sich entsetzt, die Opposition forderte Konsequenzen. Justizministerin Zadić kündigte auf Twitter an, Angriffe auf die Justiz und Richterinnen und Richter nicht zuzulassen. SPÖ und Neos fordern mehr als Worte von der Ministerin: Sie müsse den Rechtsstaat vor dem Druck der ÖVP schützen und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit mehr Ressourcen versorgen. Hier hinkt Zadić hinterher. In Sachen Brandstetter war der Handlungsspielraum der Ministerin allerdings tatsächlich ausgeschöpft: Richterinnen und Richter werden in Österreich auf Lebenszeit bestellt, unversetzbar, unabhängig, weisungsfrei und unabsetzbar. Brandstetter hätte nur durch einen Beschluss von zwei Dritteln seines Kollegiums des Amtes enthoben werden können.

Tatsächlich ist ein Mitglied des VfGH, dessen Chats mit dem Spitzenbeamten des Justizministeriums, Pilnacek, Verachtung für den Rechtsstaat, sexistische Äußerungen und Herabwürdigung von KollegInnen und Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen offenbaren, nicht länger würdig, Mitglied des Höchstgerichts zu sein, stellt der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried fest. Das war Brandstetter wohl selbst klar, als er den Entschluss fasste zurückzutreten.

„Herabwürdigende Äußerung über Menschen aus Gründen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder ihrer beruflichen Tätigkeit haben in einer demokratischen Debatte keinen Platz und in einer demokratischen Gesellschaft sollte dafür kein Raum sein“, stellte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter am Freitag im Ö1-Interview klar. Für den selben Tag wäre ein klärendes Gespräch mit Brandstetter vereinbart gewesen. Dem kam dieser nun zuvor.

ÖVP schickte Brandstetter von der Regierungsbank an den VfGH

Die SPÖ hatte Kanzler Kurz massiv kritisiert, als er den Ex-Justizminister  und Ex-ÖVP-Vizekanzler auf ÖVP-Ticket zum VfGH-Richter bestellte. Formal ist der Gang von einem Regierungsamt direkt in den VfGH nur Gerichtshof-Präsident:innen und deren Stellvertreter:innen verboten. Doch auf Gegenliebe stoß der Wechsel nicht: Brandstetter war somit Teil des Gremiums, das Gesetze kontrollierte, die Brandstetter als Minister bzw. Regierungsmitglied mitbeschlossen hatte. Wurde darüber entschieden, wurde der Ex-Minister zwar ersetzt. Einen schlanken Fuß machte die Befangenheit des Richters trotzdem nicht.

Brandstetter wirft seither nicht zum ersten Mal ein schiefes Licht auf seine Amtsführung. Seine enge Beziehung zu Pilnacek steht bereits unter Verdacht, Amtspflichten zu widersprechen.

Pilnacek bereits suspendiert

Für Christian Pilnacek gibt es für die beleidigenden Nachrichten keine neuen Konsequenzen. Der Sektionschef im Justizministerium wurde bereits im Frühjahr suspendiert. Er steht unter Verdacht, 2019 eine Hausdurchsuchung vorab an Brandstetter verraten zu haben. Auch als Verfassungsrichter hatte Brandstetter den Investor und Jugendfreund Michael Tojner, dem die Untersuchung bevorstand, rechtlich beraten. Auch gegen Brandstetter wird in der Sache ermittelt. Beide bestreiten ein Fehlverhalten.

Es ist nicht der einzige Verdachtsmoment gegen Pilnacek als ÖVP-Leck im Justizministerium. Laut Medienberichten sollen sich auf Pilnaceks Telefon Informationen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) über die anstehende Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) befunden haben. Auch hier wird wegen Geheimnisverrats ermittelt; Pilnacek hätte nicht informiert sein dürfen.

Zu den Ermittlungen gegen Blümel hatte Pilnacek – zur Erinnerung: Justizbeamter der Republik – eine eindeutige Meinung. Er schrieb eine Nachricht an Blümels Kabinettschef Clemens-Wolfgang Niedrist, in der er einen Untersuchungseinsatz im Finanzministerium als „Putsch“ bezeichnete.

Mit seiner Suspendierung verlor die ÖVP einen engen Vertrauensmann – und allem Anschein nach auch eine wichtige Informationsquelle – im Justizministerium. Mit dem Rückzug von Ex-Vizekanzler Brandstetter geht eine weitere wichtige Machtposition für die türkise Mannschaft im Match um die Kontrolle über die Justiz verloren. Man kann den Rechtsstaat fast schon aufatmen hören.

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Franz
Franz
7. Juni 2021 22:04

Das ist die Flucht nach vorne mehr nicht. Bevor er von den eigenen abgesägt wir geht er selber. Supi !! Eine fette Rente nach dem anderen wird es doch sicher geben. Hoffentlich hat es weiter Konsequenzen für Ihn und seinen Kumpe Pilnacek……Beide sind wie es in den Medien steht für ihre Jobs untra

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