Arbeit & Freizeit

Erfolgreiches Projekt gegen Arbeitslosigkeit spart dem Staat Geld – ÖVP & FPÖ drehen es ab

Foto: Ailura, CC BY-SA 3.0 AT, BKA / Christopher Dunker, Unsplash

In Gramatneusiedl hat das AMS Niederösterreich 2020 ein Projekt ins Leben gerufen, das wegweisend sein könnte: Jede Person, die länger als ein Jahr arbeitslos ist, bekommt einen Job – und zwar garantiert. Zwang, die Arbeit anzunehmen, gibt es keinen. Dafür einen normalen Lohn nach Kollektivvertrag. „MAGMA“ nennt sich das Ganze: Modell Arbeitsplatzgarantie Marienthal. Mehr als 100 Gramatneusiedlerinnen und Gramatneusiedler haben durch das Projekt wieder einen Job gefunden. Einer von ihnen ist Karl Blaha (56). Mit Kontrast spricht er über seine Teilnahme und seinen erfolgreichen Wiedereinstieg ins Berufsleben.

Normalerweise ist es so: Wer arbeitslos wird, muss sich an das anpassen, was die Arbeitgeber von einem fordern. Das AMS hilft zwar dabei, die Menschen in Berufe zu bringen, die zu ihren Erfahrungen und Fähigkeiten passen. Doch eine Garantie auf einen Arbeitsplatz gibt es nicht. In der Ortschaft Marienthal in Gramatneusiedl ist das anders: Wenn das AMS dort keinen passenden Job für eine Person findet, schafft sie einen neuen.

Gemeinnützigkeit an erster Stelle

Die Jobgarantie dreht also die Verantwortlichkeit um: Derzeit liegt es am Arbeitslosen, sich um einen Job zu bemühen. Bei der Jobgarantie ist es der Staat, der zusagt, Arbeitsplätze für Menschen zu finden oder zu schaffen.

Die neu geschaffenen Jobs zielen dabei auf Gemeinnützigkeit. Die Teilnehmer:innen können einer Tätigkeit nachgehen, die dem Ort hilft. Parallel dazu sucht man für sie eine Stelle am regulären Arbeitsmarkt. Dort fördert das AMS in den ersten drei Monaten das volle Gehalt und danach bis zu neun Monate zwei Drittel des Lohns.

“Das klingt spannend, das mache ich!”

In den vergangenen Jahren hat das AMS in Gramatneusiedl mehr als 100 Jobs für Langzeitarbeitslose gefunden oder neu geschaffen. Einer von ihnen ist Karl Blaha. Der 56-jährige führte bis 2019 ein kleines Schuhgeschäft am Hauptplatz von Gramatneusiedl. Doch irgendwann lief das Geschäft nicht mehr. „Die Leute kaufen heute lieber online. Gegen diese Konkurrenz kommt man als kleiner Händler nicht an“, sagt Blaha. Er musste zusperren. Über ein Jahr lang war er arbeitslos. Dann hat ihn das AMS über das Projekt Jobgarantie informiert. Überwinden musste er sich für die Teilnahme nicht: “Ich dachte mir, das klingt spannend, das mache ich!”

Karl Blaha (56) vor seinem ehemaligen Schuhgeschäft in Gramatneusiedl (Foto: Kontrast.at)

Er durchlief mehrere Stufen, angefangen – wie üblich – mit einem Erstgespräch. In Gruppen erzählten die Teilnehmer:innen dann, was sie vorher gemacht haben und was ihre Stärken und Fähigkeiten sind. “Das war das Wichtigste, dass alle dort ein Netz gehabt haben, das sie aufgefangen hat”, erzählt Blaha.  Die Stärken von jedem Einzelnen wurden festgestellt und gezielt gefördert.

Blaha bezeichnet sich selbst als Allrounder. Dementsprechend bekam er vom AMS verschiedene Jobs angeboten. Zuerst arbeitete er als Tischler, später als Archivar bei der Freiwilligen Feuerwehr. “Ich habe da die Geschichte der Feuerwehr Gramatneusiedl aufgearbeitet. Das hat gut gepasst, weil ich auch der Kommandant der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr bin”, so der Gramatneusiedler.

Durch das Programm kam er auch vermehrt in Kontakt mit Leuten, “die man zwar davor schon immer gegrüßt hat, wie den Bäcker im Ort, mit denen ich aber sonst nichts zu tun hatte” Das habe sich auch positiv auf sein Privatleben ausgewirkt.

Oxford-Ökonom zum Projekt: „Die Menschen haben das Bedürfnis zu arbeiten“

Soziale Sicherheit und mehr Selbstwertgefühl seien die stärksten Auswirkungen, die das Projekt Jobgarantie auf die Teilnehmer:innen hatte, sagt Ökonom Lukas Lehner von der Oxford University. Er begleitete das Projekt gemeinsam mit anderen Wirtschafts- und Sozialforscher:innen wissenschaftlich.

“Tatsächlich hat uns überrascht, wie stark die Auswirkungen auf die Teilnehmer:innen waren. Sie waren aktiver, auch in ihrer Freizeit – einfach weil die Tagesstruktur mit Job eine andere war. […] Die Teilnehmer:innen haben einen neuen Sinn an ihrem Leben entdeckt.”

Eines ist Lehner besonders wichtig zu betonen: “Keine Person, die ein Jobangebot bekommen hat, hat dieses abgelehnt, zumindest nach der zweimonatigen Vorbereitungszeit. Das zeigt, dass es den Menschen wirklich ein Bedürfnis ist, zu arbeiten.”

Job in der Privatwirtschaft nach wenigen Monaten

Für Karl Blaha dauerte es nicht lange und er bekam einen Anruf vom Chef eines Logistik-Unternehmens. “Der hat irgendwo ein Foto von mir gesehen, wo ich gerade Tischlerarbeiten mache. Der hat jemanden gesucht, der handwerklich begabt ist und ein kleiner Managertyp ist, wie ich es bin. Wir haben dann gesprochen und er hat mich eingestellt”.

Seitdem arbeitet Blaha als Facility Manager, wo er sich hauptsächlich um Brandschutz kümmert. Den Wiedereinstieg in die Privatwirtschaft hat er erfolgreich geschafft. Das zeigt: Ein Neustart mit 50 plus ist nicht unmöglich. Es braucht nur die richtigen Rahmenbedingungen. Vor allem braucht es einen Arbeitsmarkt, der in erster Linie auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist.

Karl Blaha glaubt, dass davon letztlich alle profitieren: “Die Jobgarantie schaut ja wirklich darauf, dass man vermittelt wird und es kommen auch viele Firmen, die nach Personen mit bestimmten Qualifikationen suchen. Ich glaube, dass beide Seiten davon profitiert haben.”

Job-Projekt günstiger als Arbeitlosigkeit

Und nicht nur das: Langzeitarbeitslosen einen Job zu garantieren, ist für den Staat sogar billiger als sie in der Arbeitslosigkeit zu belassen. Eine durchschnittliche Jobsuche kostet den österreichischen Staat rund 30.000 Euro. “Diese Kosten beinhalten das ausbezahlte Arbeitslosengeld, Schulungen, Beratung, aber auch entgangene Lohnsteuern und Versicherungsbeiträge”, rechnet Ökonom Lehner vor.

Im Projekt Jobgarantie belaufen sich die Kosten pro Teilnehmer:in auf etwa 29.000 Euro. Sie liegen also knapp darunter. Hinzu kommt, dass ein Teil davon als Lohnsteuer und Sozialbeiträge wieder zurück an den Staat fließt.

Trotz Erfolg: ÖVP & FPÖ stellten das Projekt ein

Wegen diesem großen Erfolg hätte das Projekt auch in anderen Gemeinden ausgerollt werden sollen. Das forderte zumindest die SPÖ-NÖ nach der Landtagswahl 2023. Die ÖVP erteilte dem aber eine Absage. Seit März 2023 koaliert sie mit der FPÖ. Ein Jahr später, im März 2024, ließ die schwarz- blaue Landesregierung das Projekt auslaufen. Begründung: keine.

Statt dem Projekt Jobgarantie läuft in Gramatneusiedl seit April 2024 wieder ein reguläres Job-Beschaffungsprogramm mit dem Namen “Jobwerk”. Die niederösterreichische Landesregierung verkauft es als “neues innovatives Projekt für Langzeitarbeitslose in der Region“. Doch eine Garantie auf einen Arbeitsplatz soll es nicht mehr geben.

Jobgarantie Marienthal als internationales Vorzeigemodell

Heute gilt das Projekt “Jobgarantie Marienthal” als europäisches Vorzeigemodell. 2023 wurde es in Warschau mit dem europäischen „Innovation in Politics Award“ ausgezeichnet. Das Projekt setzte sich gegen neun weitere eingereichte Projekte im Bereich „Local Development“ durch. Für Karl Blaha keine Überraschung. Er ist überzeugt: “Woanders würde das Projekt auch funktionieren”

Karl Blaha ist einer von mehr als 100 Gramatneusiedlern und Gramatneusiedlerinnen, die durch die Jobgarantie wieder einen Job gefunden haben

Die Idee der Jobgarantie gibt es schon länger

Entwickelt wurde die Marienthaler Jobgarantie vom damaligen Chef des AMS-Niederösterreich Sven Hergovich, jetzt SPÖ-NÖ-Chef, und Wissenschaftler:innen der Oxford University sowie der Universität Wien.

Doch die Idee der Jobgarantie gibt es schon länger. In den USA forderten in den letzten Jahren immer mehr Wissenschaftler und Politikerinnen ähnliche Projekte. Zuletzt die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders. Auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz spricht sich seit Langem für eine Jobgarantie aus.

In Österreich gab es vor dem Projekt Jobgarantie in Gramatneusiedl schon mal eine ähnliche Maßnahme: die Aktion 20.000. Auch hier wurden Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose gezielt gefördert – und zwar bundesweit. Die Aktion wurde 2018 von der damaligen rot-schwarzen Regierung gestartet.

Die FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein drehte die Maßnahme jedoch ab. Die Ergebnisse, ob sich das Projekt positiv auf die Teilnehmer:innen ausgewirkt hat, hielt sie lange unter Verschluss. Mittlerweile ist bekannt, dass durch die Aktion 20.000 nicht nur tausende Menschen wieder einen regulären Arbeitsplatz gefunden haben, sondern dass sich der Staat damit auch Arbeitslosengeld in Millionenhöhe erspart hat.

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