Jedes 5. Kind in Österreich wächst in Armut auf oder ist armutsgefährdet. Während ÖVP-Zuckerl wie der Familienbonus nur gut verdienenden Eltern nützt, setzt die Kindergrundsicherung der Volkshilfe bei armen Familien an. Kosten würde sie dasselbe – aber sie würde dafür sorgen, dass kein Kind in Österreich mehr in Armut aufwachsen muss. Wir haben mit Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe, und Judith Ranftler, Expertin für Kinderarmut der Volkshilfe, gesprochen. Sie erzählen, wie der Alltag der Kinder aussieht, was sie sich wünschen und warum unser Bild von armen Familien oft nicht der Realität entspricht.
Kontrast: Aktuell sind über 350.000 Kinder von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Vor 15 Jahren lag diese Zahl noch um einiges darunter, da waren es 250.000. Was ist da passiert? Warum sind um ein Drittel mehr Kinder von Armut betroffen?
Erich Fenninger: Die Quantität ist krass, ja. In einem der reichsten Länder der Welt ist jedes 4. Kind von Armut betroffen. Das hat wohl mehrere Ursachen. Zum einen hat sich die sozioökonomische Situation verändert. In den unteren Einkommensgruppen gab es reale Einkommensverluste, weil die Einkommen stagnieren, aber die Kosten steigen. Zum anderen gleichen die Transferleistungen für Familien das nicht aus. Die federn Armut nicht ab. Von der Höhe liegen wir zwar im Mittelfeld der OECD-Staaten. Aber diese Transferleistungen sind nicht so konzipiert, Kinderarmut abzuschaffen.
Die Republik verabsäumt es, ihre Leistungen so zu entwickeln, dass sie gegen Kinderarmut wirken. Im Gegenteil: Das, was jetzt als „Familienbonus“ verkauft wird, kommt nur Besserverdienenden zugute.
Wie misst man eigentlich Armut – wie definiert man das?
Judith Ranftler: Wenn wir von Armut sprechen, meinen wir relative Armut. Da orientiert man sich am Durchschnittseinkommen im Land – und wie weit jemand davon entfernt ist. Nun geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Ein paar wenige werden immer reicher und dadurch verstärkt sich die Ungleichheit. Folglich gibt es immer mehr, die weit unter der Schwelle für Armutsgefährdung liegen.
Erich Fenninger: Zusätzlich dazu gibt es in Österreich aber auch absolute Kinderarmut. In der Kinderarmutsforschung, die wir schrittweise publizieren werden, ist dieser Befund eindeutig.
Wie lässt sich diese absolute Armut nachweisen?
Erich Fenninger: Für Kinder und Jugendliche in Österreich bedeutet das etwa, dass an den letzten Tagen des Monats nicht genügend Geld für Essen zur Verfügung steht. Da ist der Kühlschrank regelmäßig leer. Ein 14-Jähriger hat erzählt, bei ihm zu Hause ist das die Toastbrot-Zeit. Weil es nur noch Toast zu essen gibt. Was hier spannend ist, ist, wie die Kinder die Leistung der Mutter oder des Vaters anerkennen, noch aus „nichts“ etwas zu kochen. Aus Wurstresten wird ein Wurstsalat und so weiter.
Das heißt, die Kinder und Jugendlichen wissen und spüren ganz genau, dass sie mit ihrer Familie in Armut leben.
Erich Fenninger: Richtig. Das ist etwas, das mich und uns immer beschäftigt: Wie die Kinder das wahrnehmen. Da zeigt sich: Alle Kinder erkennen ihre Lebenslage als eine Armutslebenslage an. Sie wissen ganz genau, dass ihre Existenz nicht ausreichend gesichert ist. Und sie haben das Gefühl, dass das zwar eine einschränkende Situation ist, aber eine alternativlose.
Was heißt das für die Beziehung zu den Eltern? Was macht das mit der Selbstwahrnehmung?
Erich Fenninger: Die Kinder und Jugendlichen nehmen ihre Eltern als sehr aktiv wahr, also innerhalb der Familie. Denn die strampeln sich permanent ab, um die Familie zu versorgen und die Existenzunsicherheit zu stabilisieren. Das sieht man von außen ja gar nicht. Die Gesellschaft erkennt die Leistung armutsbetroffener Eltern nicht. Die Familien sind isolierter, weil sie nicht gleich am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Man sieht sie im öffentlichen Raum weniger. Das zeigt auch unsere Studie – da geht niemand mehr in ein Kaffeehaus oder in ein Gasthaus essen. Sie haben de facto nur wenige Freunde, und die wiederum treffen sie nur in Privathaushalten.
Man sieht die armutsbetroffenen Familien nicht – und man sieht nicht, wie viel sie leisten, um den Alltag zu bewältigen. Die Kinder aber sehen das sehr wohl. Die erleben, wie die Eltern auch aus nix noch etwas machen, und dass die Eltern bei sich sparen, um dem Kind zumindest noch eine Kleinigkeit zu ermöglichen.
Arme Menschen werden als passiv abgestempelt, aber das ist grundfalsch. Sie sind höchst aktiv – sie müssen es sein.
Die Volkshilfe hat untersucht, wie sich die Corona-Krise auf armutsbetroffene Familien ausgewirkt hat. Was waren die Ergebnisse?
Erich Fenninger: Was mich umhaut, ist, dass 50 Prozent der Befragten ihre Lebensqualität im Schulnotensystem als nur genügend oder sogar nicht genügend empfinden. Das ist dramatisch. Jede 5. Familie findet, dass sie keine Lebensqualität hat. Die Eltern merken, dass ihre Kinder Zukunftsängste haben, dass sie sich Sorgen um die Schule machen. Das belastet die Eltern natürlich auch.
Judith Ranftler: Bei den Erwachsenen haben wir auch gemerkt, dass sie nicht das Gefühl haben, wahrgenommen oder gehört zu werden – überhaupt: Sie haben das Gefühl, nicht relevant zu sein. Deswegen war uns diese Studie auch so wichtig, die ganz speziell armutsbetroffene Familien befragt hat. Denn andere Studien bilden deren Lebensrealität nicht ab. Es gibt beispielsweise eine Umfrage von der Uni Salzburg über die empfundene Belastung von Kindern. Da kam heraus, dass 2 von 10 Kindern in der Krise trauriger sind als zuvor. In unserer Studie haben wir dieselbe Frage gestellt. Doch bei uns sind es 6 von 10 Kindern. Also drei Mal so viele Kinder. Da sieht man, was es für einen Unterschied macht, ob ich den Durchschnitt der Bevölkerung anschaue oder speziell Armutsbetroffene frage, wie es ihnen geht. Dass mehr als jedes zweite Kind trauriger ist – das hat uns sehr schockiert.
Da sieht man, was der Blickwinkel ausmacht.
Judith Ranftler: Genau. Wir haben auch nach dem Schlafverhalten und dem Stressniveau gefragt. Auch da zeigt sich, dass es den Kindern schlechter geht. 40 Prozent der Kinder schlafen schlechter als vor der Krise. Und 55 Prozent der Kinder sind unruhiger oder gestresster. Das ist insofern dramatisch, weil wir wissen, dass armutsbetroffene Kinder ohnehin mehr unter Druck stehen, gestresster und öfter krank sind. Die Krise hat all das noch mal gesteigert. Das finde ich besorgniserregend, auch für die weitere Entwicklung der Kinder.
Ihr habt schon das Thema Ängste angesprochen. Gibt es da Unterschiede bei den Kindern und Jugendlichen – also zum Beispiel je nach Alter?
Erich Fenninger: Wenn es um Ängste geht, haben die jüngeren und älteren Kinder eines gemein: Den Wunsch nach Sorgenfreiheit. Sie sehnen sich danach, sich keine Sorgen um die Existenz ihrer Familie machen zu müssen. Sie sehnen sich danach, dass einfach genug Geld für Essen und Miete da ist, dass es ausreichend Gewand zum Anziehen gibt und dass sie am normalen Leben draußen teilhaben können.
Das sind alles keine „großen Wünsche“, sondern bescheidene.
Erich Fenninger: Richtig. Die Kinder und Jugendlichen verhalten sich extrem sozial kooperativ innerhalb der Familie. Was heißt das? Sie passen ihre Wünsche an das finanziell Mögliche an. Sie erkennen die Armutslage der Familie. Sie wissen genau, was möglich ist und was nicht. Sie richten also von Haus aus ihre Bedürfnisse und Wünsche nach der Frage aus, ob es finanzierbar ist. Sie schränken sich also selbst ein.
Die Wünsche und Träume von armen Kindern enden dort, wo jene der anderen Kinder erst anfangen.
Das ist, glaube ich, eine der fundamentalsten Erkenntnisse, die wir jetzt neu erhoben haben. Wir sehen das auch bei den Zukunftsfragen. Diese Kinder wollen Sorgenfreiheit. Einen Job, der die Wohnung sichert. Ohne Existenzängste leben. Sie trauen sich also gar nicht, darüber nachzudenken, wie sie sich selbst verwirklichen wollen, wo man sich sportlich oder kulturell engagieren könnte. Keine Existenzängste zu haben, ist ihnen das wichtigste.
Judith Ranftler: Es ist eine komplette Selbstlimitierung.
Erich Fenninger: Und zwar aus einer Zwangslage heraus, für die sie nichts können. Eine Zwangslage, die durch ungerechte Verteilung von Wohlstand hervorgerufen wird. Die Kinder wissen um diese Lage, haben aber keine Alternative. Sie können ihre Lebensbedingungen nicht verändern. Sie wissen natürlich, dass andere anders leben und teilhaben können. Aber sie sehen die Möglichkeiten für sich selber gar nicht. Wenn man diese Kinder fragt, was sie tun würden, wenn sie mehr Geld hätten, was sie sich kaufen würden, dann sagen sie: Ich will, dass die Wohnung erhalten bleibt. An Luxus, an Urlaub oder sowas denken sie gar nicht. Das zeigt, wie Armut im Kind wirkt. Und warum es letztlich existenzorientiert handelt und nicht interessensgeleitet ist, gar nicht zukunftsorientiert sein kann. Weil es gar nicht die Voraussetzungen hat, sich in dieser Unsicherheit nach vorne zu entwickeln.
Das heißt, die Kinder trauen sich gar nicht, sich etwas zu wünschen, wenn sie wissen, dass sich die Eltern das nicht leisten können. Weil sie die Eltern nicht belasten wollen?
Erich Fenninger: Genau. Sie wollen sie nicht verletzten. Armutsbetroffene Kinder agieren da sowohl sehr rational als auch sehr sensibel. Sie wollen ihre Eltern nicht mit unrealistischen Wünschen kränken. Und die Kinder sehen auch ganz einfach im Alltag, wie sehr die Eltern kämpfen, um die Existenz der Familie zu sichern – und dass also bestimmte Wünsche zusätzlich dazu unerfüllbar sind. Ich kann mich an ein Gespräch erinnern, in dem eine Mutter sagt:
„Es wäre für mich oft einfacher, wenn meine Tochter sich auf den Boden haut und strampelt. Ich hätte dann einen guten Grund, ‚Nein’ zu sagen, weil sie sich so unmöglich verhält. Aber das macht sie eben nicht. Sie akzeptiert und nimmt unsere Situation zur Kenntnis und verlangt auch nicht mehr. Und das tut noch viel mehr weh.“
Judith Ranftler: Wir haben in unserer Studie auch die Gründe für die Sorgen von Kindern erhoben. Über 50 Prozent sind besorgt, dass es durch die Pandemie in der Schule zu Problemen kommen könnte. Die Kinder sind sehr darauf bezogen, was von ihnen verlangt und erwartet wird. Erst viel später geht es um soziale Kontakte, die sie sich wünschen würden. Das sagt viel darüber aus, in welcher Lebenssituation sich die Kinder befinden. Dass mögliche Schulprobleme sie am meisten belasten.
Ihr habt euch ja auch mit der Frage beschäftigt, wie das Home Schooling bei armutsbetroffenen Familien funktioniert. Oder eben nicht funktioniert.
Judith Ranftler: Es scheitert oft an den technischen Geräten, die die Kinder fürs Arbeiten brauchen würden. Wir haben mit Familien gesprochen, wo Hausaufgaben nicht über einen Laptop oder einen Computer funktionieren, sondern wo Kinder das am Handy machen müssen, weil kein Geld für einen Computer da ist. Es gibt Eltern, die haben Schulden gemacht, um dem Kind einen Laptop für die Schule zu besorgen. Internetkosten sind ein Problem. Dann die fehlende Vertrautheit mit den Geräten und der Software – dass man nicht weiß, wo man die Aufgaben findet und auch die Eltern nicht weiterhelfen können.
In dieser Pandemie am Unterricht teilnehmen zu können, setzt so viel technische Ausstattung und Kompetenz voraus, dass das für arme Familien oft zu viel ist.
Daher ist es auch nicht überraschend, dass Kinder aus armen Familien für Lehrerinnen und Lehrer schwer zu erreichen sind. Die sind einfach so sehr mit dem Überleben beschäftigt, dass diese anderen Probleme zusätzliche Hürden darstellen. Es fehlt ein Konzept, wie Kinder nicht nur technisch ausgestattet werden können, sondern auch wie sie diese Kompetenzen in einer sehr kurzen Zeit erwerben können.
Und dann ist da noch die Wohnsituation. Wir wissen, dass Armutsbetroffene in sehr prekären Wohnsituationen sind. Da leben oft viele Menschen auf engem Raum. Das heißt, es fehlt nicht nur an der Ausstattung und an den Zugangsmöglichkeiten, sondern es fehlt auch ein Rückzugsort, wo man sich konzentrieren kann, um die Aufgaben zu erledigen. Da spielen unterschiedliche Probleme zusammen, die den Schulalltag für Kinder aus armutsbetroffenen Familien noch mal erschweren.
Nun könnte man das Problem ja an der Wurzel packen – und die Volkshilfe hat genau hierfür ein Modell erarbeitet: die Kindergrundsicherung. Eine Transferleistung, mit der man Kinderarmut in ganz Österreich beenden könnte.
Erich Fenninger: Die Kinder und auch ihre Eltern haben sich ihre Armut nicht ausgesucht. Die Idee ist, dass wir allen Kindern, die in Österreich leben, bis zur Volljährigkeit eine Kindergrundsicherung von 200 Euro für jedes Kind zahlen. Ähnlich der Familienbeihilfe, wie es sie jetzt gibt. Und dann kommt in unserem Modell noch ein einkommensbezogener Teil dazu. Kinder und Jugendliche, die in armen Familien aufwachsen, bekommen jeweils noch maximal 425 Euro pro Monat, gestaffelt nach Haushaltseinkommen der Familie. Die durchschnittliche Höhe der Kindergrundsicherung läge bei 330 Euro im Monat.
Wir haben das berechnet: So eine Transferleistung würde treffsicher wirken und Kinderarmut abschaffen. Auf lange Sicht finanziert sich die Kindergrundsicherung auch selbst, weil die Kinder ihre Armut nicht ins Erwachsenenalter mitnehmen müssen. Weil sie gute Ausbildungen machen, Jobs finden, konsumieren können.
Das heißt, die Kindergrundsicherung funktioniert genau anders herum wie der sogenannte „Familienbonus“?
Erich Fenninger: Ja, der „Familienbonus“ verfolgt ein komplett anderes Ziel. Der hat das Ziel, besserverdienende Erwachsene, die Kinder haben, zu entlasten und mehr Einkommen zu garantieren. Folglich funktioniert der ganz anders. Uns ist es wichtig, dass Kinder als Kinder leben, und sorgenfrei aufwachsen können.
So funktioniert die Kindergrundsicherung |
Geht es nach der “Volkshilfe”, sollen alle in Österreich lebenden Kinder bis zur Volljährigkeit eine Kindergrundsicherung erhalten. Die Höhe der 12 Auszahlungen jährlich orientiert sich am Einkommen der Eltern. Grundsätzlich erhalten alle Kinder die universelle Komponente von 200 Euro. Diese Höhe ergibt sich aus dem monatlichen Grundbetrag der Familienbeihilfe für ein Kind ab 10 Jahren (141,50 Euro) sowie aus dem monatlichen Kinderabsetzbetrag (58,40 Euro) und ersetzt diese pauschalen Leistungen.
Zusätzlich wird eine einkommensgeprüfte Komponente von maximal 425 Euro ausbezahlt: Bis zu einer Untergrenze von jährlich 20.000 Euro steuerpflichtigen Familieneinkommens wird die gesamte Höhe ausbezahlt, danach folgt eine Einschleifung bis zu einer Obergrenze von 35.000 Euro. Das bedeutet, dass Kinder in Haushalten unter 20.000 Euro Familieneinkommen jährlich 625 Euro monatlich bekommen, Kinder aus Haushalten mit einem jährlichen Einkommen von über 35.000 Euro einen universellen Betrag von 200 Euro. |
Judith, ihr habt die Kindergrundsicherung ja auch in einem Feldversuch ausgetestet.
Judith Ranftler: Wir haben einen Feldversuch mit einer Familie pro Bundesland gestartet. Es waren Alleinerziehende dabei, Mehrkindfamilien, Familien mit Migrationserfahrung. Wir haben dieses Forschungsprojekt vor mehr als zwei Jahren gestartet und die ausgewählten Familien mit Geld in der Höhe unserer Kindergrundsicherung ausgestattet. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber wir beobachten, was sich in den Familien tut. Die erste Rückmeldung von den Familien ist, dass diese Verlässlichkeit, diese Planbarkeit der Unterstützung, eine große Hilfe ist. Weil sie erstmals in ihrem Leben Pläne machen können.
Es ist ein ganz neuer Modus, in dem die Familien leben. Sie sind nicht mehr nur mit dem Überleben beschäftigt und dem Vergleichen von Angeboten, wo sie was möglichst günstig kriegen, was ja auch sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Jetzt können sie auch mal essen, worauf sie wirklich Lust haben.
Das sind schon Beispiele, die uns sehr motivieren, weiterzukämpfen, damit die Kindergrundsicherung nicht nur ein Forschungsprojekt bleibt, sondern für alle Kinder in Österreich Realität wird.
Erich Fenninger: Die gesundheitlichen Beschwerden, die die Kinder hatten, wurden signifikant weniger. Sie haben seltener Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Übelkeit. Die Existenzsicherung ist vorhanden, und schon erleben wir eine signifikante Reduktion dieser Leiden. Sie gehen mehr in die Schule, weil sie den Existenzdruck nicht mehr so spüren, können sie sich unbeschwerter bewegen.
Mit welchen Gegenargumenten seid ihr beim Thema Kindergrundsicherung konfrontiert?
Erich Fenninger: Es gibt natürlich jetzt viele Leute, die sagen: „Na, wenn es so etwas gäbe, dann würden die Leute ja nur zu Hause bleiben und in der Hängematte liegen.“ Oder es gibt auch kritische Stimmen, die sich sorgen, dass dann Frauen keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen – mit allen negativen Konsequenzen. Aber unsere Forschung beweist genau das Gegenteil: Die Familien bleiben eben nicht nur zu Hause, sondern sie finden zurück in den öffentlichen Raum, gerade in Richtung Erwerbstätigkeit. Denn auch bei den Erwachsenen tut sich was, die finanzielle Sicherheit macht sie selbstbewusster, sie suchen und finden wieder Anschluss. Da ist wieder mehr Dabeisein, mehr Selbstwertgefühl. All das motiviert uns durch und durch.
Wir wollen Armut aufheben. Weil wir sehen, was sich in der Praxis dadurch ändert – wie sich die Menschen ändern.
Was würde die Kindergrundsicherung für alle Kinder in Österreich kosten?
Erich Fenninger: Zwei Milliarden Euro. Das ist finanzierbar. Der Familienbonus kostet nicht wesentlich weniger, und der wurde ohne Gegenfinanzierung eingeführt. Die Kindergrundsicherung würde sich auf lange Sicht selbst finanzieren. Aus der Langzeitarmutsforschung in Deutschland wissen wir, dass ein Großteil der in Armut aufwachsenden Kinder später selbst prekär beschäftigt oder arbeitslos ist. Die sind also später auf Transferleistungen und Versicherungsleistungen angewiesen. Diese Ausgaben könnte man verhindern. Sogar konservative Finanzleute, mit denen ich spreche, glauben, dass– volkswirtschaftlich gesehen – die Kindergrundsicherung innerhalb kurzer Zeit nicht mal mehr etwas kostet.
Wenn man jetzt von der Kindergrundsicherung überzeugt wurde, wie kann man das Vorhaben unterstützten?
Erich Fenninger: Wir starten am 15. Juni eine Petition und laden jeden und jede ein, zu unterschreiben. Wir sind sicher, dass Menschen in Österreich Kinderarmut abschaffen wollen. Und gemeinsam können wir das auch durchsetzen. Wir sprechen natürlich auch mit Parteien darüber und stehen im Dialog. Aber wir müssen es als Bürgerinnen und Bürger, als Kinder, Jugendliche, Eltern, Opas, Omas erkämpfen. Wir müssen die Parteien zwingen, eine Lösung zu finden. Und ich glaube, dass wir das können. Befreien wir Kinder und Jugendliche in diesem Land aus der Armut!
Judith Ranftler: Ich wünsche mir, dass ganz viele Leute erkennen, dass ein Ende von Kinderarmut nicht nur eine Utopie ist, die sich gut anhört. Sondern, dass das realistisch und machbar ist. Unser Modell zeigt das.