Weltweit sterben 3 Millionen Arbeiter:innen pro Jahr durch Arbeitsunfälle oder an Krankheiten, die sich aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen einstellen. Betroffen sind nicht nur Branchen wie die Bauindustrie. Risiken gibt es auch im Großraumbüro oder im Homeoffice. Die EU hinkt beim Schutz von Beschäftigten hinterher.
Das Problem sind nicht nur ungesicherte Baustellen
Ist von Risiken am Arbeitsplatz die Rede, so denkt man zunächst an Baustellen oder Chemie-Labore. Doch auch Arbeitsorte, an denen weder mit schweren noch mit giftigen Stoffen hantiert wird, bergen Sicherheitsrisiken für die Angestellten.
Die Internationale Agentur für Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass pro Jahr weltweit rund 2,78 Millionen Arbeiter:innen durch Arbeitsunfälle oder arbeitsbezogene Erkrankungen sterben.
In der EU ereigneten sich im Jahr 2018 200.000 tödliche Arbeitsunfälle – ein Fünftel davon im Bausektor. Das sind 40.000 Fälle.
Wirft man jedoch einen Blick auf die Todesfälle, die in Zusammenhang mit der Arbeit der Verstorbenen stehen, stellt man fest, dass mehr als die Hälfte, nämlich 53%, Krebserkrankungen darstellen. Diese sind oft auf jahrelang wirkende, harmlos klingende Risikofaktoren wie Holzstaub oder UV-Strahlen zurückzuführen.
Laut der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) unterscheiden sich nicht nur die Berufs-Branchen hinsichtlich ihrer Gefahrenlevels. Das Erkrankungs-Risiko der Arbeitenden ist auch abhängig von ihrem Geschlecht und der sozialen Zugehörigkeit. Frauen, MigrantInnen und Personen aus dem LGBTQIA+ Spektrum laufen beispielsweise eher Gefahr, durch Arbeitsrisiken an Muskel- oder Skeletterkrankungen zu erkranken als andere Menschen.
Arbeits-Inspektorate können nicht kontrollieren, weil sie nicht genug Ressourcen haben
Die Journalistin Fleur Descosse vom europäischen News-Magazin voxeurope erklärt, dass ein maßgeblicher Teil des Problems mangelnde Kapazitäten der Aufsichtsbehörden seien. Diese können nicht alle Arbeitgeber kontrollieren und setzen daher auf Informationen zum Arbeitsschutz. Die Behörden erhoffen sich die Einhaltung der Vorschriften auf freiwilliger Basis. Kontrollieren können sie das aber nicht.
In Europa ereignen sich die meisten Unfälle am Arbeitsplatz in Luxemburg und Rumänien, die wenigsten in den Niederlanden. Luxemburg überrascht mit diesem Negativrekord, da es ein wohlhabendes Land ist.
Es gibt große Unterschiede beim Arbeitnehmer-Schutz zwischen den Mitgliedstaaten. Dies zeigt auch das vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI kürzlich präsentierten Paper “Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften: einige Lehren für die EU-Strategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz”
liegt das vor allem an den unterschiedlichen Regelungen und Zuständigkeiten bei der Verwaltung. Sicherheitsbehörden, Inspektionsstellen sowie Gewerkschaften und Versicherungen sind verschieden geordnet und unterscheiden sich in ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme. Deswegen ist auch eine einheitliche EU-Strategie für den Schutz der Arbeitenden nur schwer umzusetzen.
Es braucht Information, aber auch Sanktionen
Innerhalb der EU kommt es tendenziell seit mehreren Jahrzehnten zur „Rationalisierung“ der Gesetzgebung und zu einer Entlastung der Bürokratie für Unternehmen. „Dieser Neoliberalismus entzieht den Arbeitsaufsichtsbehörden die für ihre Arbeit benötigten Mittel“, bedauert Marian Schaapman, Leiterin des EGI-Referats Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. „Das hat zur Folge, dass ein Arbeitsaufsichtsbeamter ein Unternehmen im Durchschnitt nur alle dreißig Jahre prüfen kann“.
Die Forschung zeige, dass „behördliche Überprüfungen, auf die Empfehlungen oder sogar Sanktionen folgen, Unternehmen erfolgreich abschrecken und Verletzungen am Arbeitsplatz verringern”, so Schaapman. Sie ist der Meinung, dass „ein Gleichgewicht zwischen Sanktionen und milden Maßnahmen, wie Informationskampagnen für Arbeitgeber, hergestellt werden muss.
Der Arbeitsmarkt verändert sich schnell – der Arbeitsschutz hinkt hinterher
Die Europäische Kommission veröffentlichte im Juni 2021 einen Strategieplan zu “Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2021 – 2027”. Auch vor dem Hintergrund der Pandemie.
Erklärtes Ziel dieses Plans ist die Prävention von Unfällen, die Vorbereitung auf zukünftig mögliche Krisen sowie das Angehen der “grünen, digitalen und demographischen” Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt.
Diese Vorhaben der EU-Kommission kommen mit massiver Verspätung. Doch immerhin scheint die Kommission nach fast zwei Jahren Pandemie begriffen zu haben, dass neben physischen Arbeitsunfällen auch psychische Belastungen wie Stress, Leistungsdruck und Ähnliches im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzes zu berücksichtigen sind.
Durch das Etablieren von Homeoffice, das gestiegene Gesundheitsrisiko für Pflegekräfte und durch die psychische Belastung der Beschäftigten während der Pandemie hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. Während globale Player wie Amazon, Facebook und Co enorme Gewinne auf dem Rücken ihrer Angestellten verzeichneten, arbeiteten diese in zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen. Nun gilt es Lehren aus der Krise zu ziehen und den Kurs der EU weg vom Schutz der Großen, hin zu umfassenden Maßnahmen zum Schutz der ArbeiterInnen zu lenken.