„Durch Corona habe ich erst gemerkt, wie stark unser Leben schon vorher limitiert war. Kino, Restaurant, Frisör, Urlaub – all das fehlt nicht, weil es schon vor Corona für meine Familie unmöglich war. Neu für uns ist, mit den Rechnungen nicht mehr nachzukommen. Das ist der erste Schritt nach ganz unten“, sagt eine alleinerziehende Mutter. Sie erzählt, was Corona tatsächlich für armutsgefährdete Familien bedeutet: Nicht nur das Homeschooling machte ihnen Probleme.
100 armutsgefährdete Familien hat die Volkshilfe im Juni in ganz Österreich zu Corona befragt. Sie alle müssen mit einem Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle auskommen. Die Antworten der Betroffenen zeigen, wie sich die Belastungsfaktoren der Corona-Krise auf ihre finanzielle Lage auswirken – und auf die emotionale.
Welche Emotionen hat ein Lockdown?
Fast 80 Prozent der befragten Eltern machen sich mehr Sorgen um die Zukunft ihrer Familie als vor Corona. Über die Hälfte der Eltern hat Sorge, ihre Kinder werden die Schule nicht gut abschließen. Auch die Emotionalität der Kinder selbst hat sich verändert. 75 Prozent der Eltern erleben ihre Kinder seit dem Lockdown als trauriger, 58 Prozent als einsamer und 53 Prozent als aggressiver. Jeder fünfte befragte Elternteil wiederum berichtet, dass er seine Kinder als fröhlicher erlebte: wegen der wegfallenden Belastungen wie Mobbing, Leistungsdruck oder Streitereien mit anderen Schülern. Für 20% der armutsbetroffenen Familien muss also die Schulsituation davor derart herausfordernd gewesen sein, dass die Maßnahmen als Entlastung wahrgenommen werden.
Natürlich stellt Corona samt der Schließung von Kindergärten und Schulen eine große Herausforderung für alle Familien dar – unabhängig vom Einkommen. Dennoch ist es wichtig, sich die unterschiedlichen Ausgangslagen zu vergegenwärtigen: Armutsbetroffene Familien leben oft auf beengtem Wohnraum, verfügen über niedrige Bildungsabschlüsse und es mangelt an technischer Ausstattung. Das sind schlechte Voraussetzungen für das Zusammenleben in der Krise und für das Homeschooling.
Fast 70 Prozent der befragten Elternteile gaben etwa an, dass ihnen das Wissen fehlt, ihren Kindern beim Homeschooling zu helfen. Insbesondere, wenn diese Kinder im normalen Schulbetrieb spezielle Fördermaßnahmen erhalten, da sie mit einer Lernschwäche oder einer Behinderung leben. Und obwohl sich eine überwältigende Mehrheit der Schulkinder darauf freut, in die Schule zurückzukehren (82 Prozent), macht sich ein Fünftel der Eltern Sorgen, dass ihre Kinder bei der Rückkehr in die Schule Probleme bekommen werden.
70% dürfen nicht ignoriert werden
Immer wieder berichten Befragte auch davon, Schulden aufgenommen zu haben, um ein Tablet oder einen Laptop fkaufen zu können. Und das zusätzlich zu einer ohnehin erhöhten finanziellen Belastung, denn armutsbetroffene Menschen verloren häufiger ihren Arbeitsplatz oder mussten in Kurzarbeit gehen. Auf 70 Prozent der Befragten wirkte sich die Corona-Krise daher auch finanziell negativ aus, auf 28 Prozent sogar besonders stark.
Es zeigt sich also eine Doppelbelastung. Zum einen sind die Haushalte belastet, da armutsgefährdete Familien durch die neuen Lebensumstände den ökonomischen Mangel unmittelbar spüren. Zum anderen werden Bildungsungleichheiten weiter verstärkt. Insgesamt stellt die Umfrage der Volkshilfe eine drastische Verschlechterung der Lebensqualität von armutsgefährdeten Familien fest.
Hat vor der Pandemie der Großteil der Befragten (81 Prozent) ihre Lebensqualität als Gut bis Befriedigend bezeichnet, sind es nun 50 Prozent, die sie mit Genügend bis Nicht Genügend einstufen. Eine enorme Trendwende, die illustriert, wie hart die Familien tatsächlich durch Corona getroffen wurden.
Trotzdem gab es auch positive Stimmen. Mehrere Eltern erzählten, dass sich Corona positiv auf den Familienbund ausgewirkt hat. Andere berichteten von der großen Unterstützung durch Lehrer*innen. Immer wieder wurde auch der gute Zusammenhalt innerhalb der Klassenverbände angesprochen. Diese positiven Einzelbeispiele reichen nur leider nicht aus, um Ungleichheiten aufzulösen.
Ideen gegen Bildungsungleichheit
Was es wirklich braucht, ist eine Garantie für einen mittleren Bildungsabschlusses für alle Kinder, sowie den bundesweiten Ausbau von Schul-Sozialarbeit. Es muss armutssensible Pädagogik in Kindergärten und Schulen implementiert werden, um alle Kinder erreichen und entsprechende Angebote für die Förderung von Kindern setzen zu können. Das verstärkt auch den Zusammenhalt von allen Kindern und hilft letztlich dabei, eine inklusive Gesellschaft zu bilden. Zusätzlich muss der aktuelle Wissensstand von Kindern erhoben werden, um herauszufinden, wie sich der Corona-Lockdown tatsächlich ausgewirkt hat, und um gezielte Angebote setzen zu können.
Ein Bonus allein macht noch keine gerechtere Welt
Die Maßnahmen der Regierung – wie die Einführung der Sozialhilfe neu und die geplante Änderung des Familienbonus Plus – sorgen de facto leider für schlechtere Lebensbedingungen und finanzielle Probleme von hunderttausenden Familien in Österreich. Daher braucht es langfristig eine finanzielle Grundsicherung für alle Kinder.
Judith Ranftler ist Sozialarbeiterin und leitet bei der Volkshilfe als das Projekt „Kinderarmut abschaffen“.
Alle Schulkinder sollten einen finanziellen Ausgleich bekommen, der einer Anschaffung eines Laptops entspricht (€500)