In der Corona-Krise sieht man, wie wichtig der Sozialstaat ist. Selbst Länder wie die USA führen jetzt sozialstaatliche Maßnahmen ein – zumindest für die Dauer der Krise. Österreich hat durch seinen ausgebauten Sozialstaat jetzt einen Vorteil – obwohl Konservative und Rechte ihn schon lange zusammenkürzen wollten. Jetzt erkennen sie: Ein starker Sozialstaat ist für die gesamte Gesellschaft wichtig – spätestens in Krisenzeiten.
Kaum jemals zuvor konnten wir so deutlich sehen, wie grundvernünftig ein starker Sozialstaat ist. Das heißt im Fall von Corona vor allem: Ein gutes öffentliches Gesundheitssystem und eine gewisse soziale Absicherung für die allermeisten Menschen im Land – ermöglicht durch Arbeitslosenversicherung, bezahlten Krankenstand, öffentliche Krankenversicherung und starke Gewerkschaften. Noch nie in der zweiten Republik wurde der Ruf nach einem starken sozialen Auffangnetz so schnell so laut wie diese Woche. Österreich konnte aufgrund seiner sozialpartnerschaftlichen Tradition und des starken Sozialstaats rasch handeln. Das heißt aber auch: Wo es keinen Sozialstaat gibt, wo das Gesundheitssystem kaputt gespart wurde – dort wird es Tote geben, die man verhindern hätte können.
Sozialstaat bedeutet Sicherheit in individuellen Krisen
Grundsätzlich ist der Sozialstaat eine Absicherung für den Krisenfall. Wer seinen Job verliert oder krank wird, steht in Österreich nicht vor dem Nichts. Es gibt Krankenversicherungen und Arbeitslosengeld; nicht jedes individuelle Unglück führt in den finanziellen Ruin. Wen eine schwere Krankheit erwischt, der wird langfristig gewisse Abstriche beim Einkommen verzeichnen – aber das Ersparte und Erarbeitete zerrinnt nicht innerhalb weniger Wochen zwischen den Fingern.
In Ländern ohne Sozialstaat ist das anders: In den USA haben 30 Millionen Menschen überhaupt keine Krankenversicherung – das sind viermal so viele Menschen, wie es in Österreich Einwohner gibt. Eine schwere Krankheit ist dann nicht nur ein gesundheitliches Problem, sondern auch ein finanzielles Desaster. Doch durch die Corona-Krise wird deutlich: Ein schwacher Sozialstaat bringt nicht nur individuelles Leid – letztlich trifft es alle:
Das Gesundheitssystem der USA ist von Privatisierungen und Kürzungen so zerstört, dass Krankenhäuser schon jetzt melden, zu wenig Betten, Personal, Beatmungs- und Atemschutzgeräte zu haben – noch bevor das Coronavirus richtig zugeschlagen hat.
Da hilft auch die beste Privatversicherung nichts.
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Der Sozialstaat schützt nicht nur einzelne, sondern uns alle
In der Krise sehen wir also, dass der Sozialstaat nicht nur einzelne Menschen in Krisen schützt, sondern uns alle in großen Krisen rettet. Und das ist wichtig.
Jahrelang haben Neoliberale versucht, uns glauben zu machen: Wer den Sozialstaat braucht, ist faul oder schwach. Überhaupt ist alles, was staatlich oder öffentlich ist, nicht so leistungsfähig wie alles, was privat ist und einer Profitlogik folgt. Nichts ist falscher – wie uns jetzt die Corona-Krise mit aller Gewalt zeigt.
Denn ein Gesundheitssystem, das nicht bedingungslos auf die Versorgung alle Menschen in einem Land ausgerichtet ist, tötet in großen Krisen viele arbeitende Menschen. Das zeigt sich jetzt in Spanien, das nach Italien am zweitstärksten von der Corona-Krise in Europa betroffen ist. Dort ist das öffentliche Gesundheitssystem jahrelang zugunsten des privaten Systems kaputt gespart worden. Während die öffentlichen Spitäler aus allen Nähten platzen, gibt es in privaten Krankenhäusern noch ausreichend Betten und Beatmungsgeräte. Die spanische Regierung von Pedro Sanchez hat daher alle Privatspitäler für die Zeit der Krise de facto verstaatlicht: Private Krankenhäuser und ihre gesamte Ausstattung stehen jetzt unter öffentliche Kontrolle. Der Staat darf auf ihre Betten, ihre Schutzmasken, Covid-19-Tests und anderes Material frei zugreifen.
Kürzungen im Gesundheitssystem wird so schnell niemand mehr fordern
In den nächsten Monaten und vielleicht sogar Jahren wird sich vermutlich kein Neoliberaler mehr trauen, Kürzungen im Gesundheitssystem zu fordern. Bis vor wenigen Wochen ging es auch der österreichischen Gesundheitsversorgung an den Kragen:
Die schwarz-blaue Reform der Krankenkassen hatte laut Gesetz das Ziel, “die Rahmenbedingungen für private Anbieter” zu verbessern. Die Privatspitäler sollten mehr Geld bekommen; dem Gesundheitssystem hat Sebastian Kurz hundert Millionen entzogen, um großen Unternehmen Geld zu schenken.
Das haben viele neoliberale Regierungen in ganz Europa Jahrzehnte lang so gemacht. Deren Systeme sind jetzt so kaputt, dass völlig unklar ist, wie sie die tausenden Corona-Kranken behandeln sollen.
Macron: Gesundheitssystem muss Menschen unabhängig vom Einkommen versorgen
Selbst der französische Präsident Emmanuel Macron warnt jetzt vor einem privatisierten Gesundheitswesens. Bis vor wenigen Wochen trat er noch gern gegen den öffentlichen Sektor auf, angesichts der Corona-Krise fordert er aber:
“Das Gesundheitssystem des Staates, das Menschen unabhängig von ihrem Einkommen, ihrer Herkunft und ihrem Beruf versorgt, darf man nicht als ‘Kosten’ betrachten, sondern als wertvolles Gut, das unabdingbar ist, wenn das Schicksal zu schlägt.”
“Wir müssen die Kontrolle wieder in unsere Hände nehmen”, sagt Macron – man dürfe nicht alles dem Markt überlassen. Die Erkenntnis: Der Markt schützt uns nicht. Das kann nur der Staat.
Österreich kommt dank Sozialstaat gut durch die Krise
Doch es ist nicht allein das Gesundheitssystem: Es sind auch die Einkommen und die sozialstaatliche Absicherung der Menschen, die beim Kampf gegen Corona schlagend werden. Die Frage ist schlicht:
Wer kann es sich leisten, auf ein oder zwei Wochengehälter zu verzichten – im Fall einer Ausgangssperre oder bei Corona-Verdacht?
In Österreich sind die Arbeitsverhältnisse im Vergleich gut, 98 Prozent der Beschäftigten sind durch einen Kollektivvertrag abgedeckt und haben langfristige Verträge. Wer arbeitslos wird, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wer krank wird, bekommt Krankengeld. Das ist nicht selbstverständlich: Die ÖVP hat des Öfteren versucht, diese Eckpfeiler des Sozialstaates anzugreifen. Unter der letzten schwarz-blauen Regierung drohte die Notstandshilfe abgeschafft zu werden, die Mindestsicherung wurde gekürzt und Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose sollten verschärften werden.
Ohne Absicherung bedeutet Quarantäne das finanzielle Aus
Gewerkschaften und die Sozialdemokratie konnten in der Zweiten Republik viele Angriffe auf den Sozialstaat abwehren. Wie wichtig es war, den Sozialstaat vor den Ideen der Neoliberalen und Konservativen zu schützen, unterstreicht auch Isolde Charim in der Wiener Zeitung:
“Das gute Krisenmanagement hierzulande baut auf dem auf, was hier schwer erkämpft wurde: dem öffentlichen Gesundheitswesen. Zumindest dem, was davon noch übrig ist. Es zeigt sich, wie relevant solche sozialen Errungenschaften sind: Wir zehren noch heute von deren Resten. Das, was uns heute rettet, das sind die Restposten des alten Sozialstaats.”
Der Neoliberalismus konnte sich aber in anderen Ländern durchsetzen. Etwa die USA haben den Arbeitsmarkt so liberalisiert, dass die Amerikaner von Monat zu Monat leben – ohne verlässliches Einkommen und ohne Ersparnisse. 40 Prozent der Amerikaner haben so wenig Geld am Konto, dass sie sich keine Ausgabe über 400 Dollar leisten können. Ein Coronatest kostet etwa 1.300 Dollar.
Das sind Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen, aber prekär beschäftigt sind. Wenn nur ein Wochengehalt ausfällt, sind sie bankrott. In der Gesundheitskrise heißt das auch: Sicher sind nur Reiche, wenn man es den Markt regeln lässt.
USA beschließt bezahlten Krankenstand von zwei Wochen
Sogar US-Präsident Trump hat erkannt, dass die Corona-Krise in gewohnter Manier nicht bewältigt werden kann: Millionen Amerikaner können sich keine Tests und keinen Spitalsbesuch leisten. Viele könnten an Corona erkranken, sich nicht testen lassen und zur Arbeit gehen, weil sie keine zwei Wochen ohne Einkommen überleben können. Der US-Senat hat daher jetzt Dinge beschlossen, die in den USA vor wenigen Wochen noch undenkbar waren. Bald gibt es einen bezahlten Krankenstand von zwei Wochen und eine bezahlte Familienfreistellung (67 Prozent des Gehalts) von 12 Wochen für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen. Dinge, die in den USA zuvor als “kommunistische Utopien” belächelt wurden.
Dazu kommt ein Quasi-Grundeinkommen für April und Mai von rund 1.000 Dollar für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in den USA – dafür nimmt die US-Regierung 500 Mrd. in die Hand. Ohne diese Maßnahme könnten sich viele Amerikanerinnen und Amerikaner die Ausgangssperre nicht leisten. Denn dort gilt: Wer nicht in der Arbeit erscheint, wird nicht bezahlt. Das führt nicht selten zu Verarmung und Obdachlosigkeit.
Krisengeld kann Sozialstaat nicht ersetzen
Die USA schütten also sehr viel Geld aus, um den Sozialstaat kurzfristig zu ersetzen: Statt Arbeitslosen- und Krankenversicherung gibt es Helikopter-Geld für alle. Das ist für den Moment gut, löst das Problem aber nicht. Wichtig wäre gerade jetzt, Arbeitslosenversicherung, bezahlten Krankenstand und Gesundheitsversicherung für jeden Amerikaner einzuführen. Doch dagegen sträuben sich die neoliberalen Kräfte samt Präsidenten Donald Trump: Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass es garantierte Rechte für Arbeitnehmer gibt, die sie vor der totalen Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber bewahren würden. So bestand McDonalds sogar auf Ausnahmen vom bezahlten Corona-Krankenstand, weil das zu teuer wäre. Tatsächlich gelang es Konzernen, breite Ausnahmen für große Firmen ab 500 Mitarbeitern zu verhandeln.
Die allgemeine Krankenversicherung ist in den USA nach wie vor weit entfernt. Auch in Österreich gibt es noch kein Bekenntnis, den Sparkurs im öffentlichen Sektor umzukehren und langfristig mehr Geld für Spitäler, Ärztinnen und Pflegerinnen zur Verfügung zu stellen.
“Der Sozialstaat ist manchmal besser als sein Ruf”, sagt jetzt der deutsche Finanzminister Olaf Scholz.
Er ist auch manchmal besser als seine Finanzierung, wie wir in Österreich sehen: Denn trotz Sparkurs und Krankenkassen-Debakel funktioniert das österreichische Gesundheitssystem ausgezeichnet.
Pflegekräfte, Behindertenbetreuer und Krankenhauspersonal brauchen jetzt mehr als Dankesworte
Die Beschäftigten im Sozialbereich wurden in letzter Zeit nicht gut behandelt. Sie sind Menschen, die alles geben, aber wenig verdienen. Anstrengende Berufe wie die Pflege wurden bisher schlecht bezahlt – jetzt könnten Pflegerinnen aus östlichen Nachbarländern wegbrechen, und wir hoffen auf freiwillige Zivildiener, um das System am Laufen zu halten. Auch andere Berufe im Sozialbereich sind jetzt mehr den je gefordert.
Sie können nicht von zuhause aus arbeiten, gleichzeitig brechen Arbeitskräfte durch Betreuungspflichten und Krankheit weg. Die Übrigen schieben eine Überstunde nach der anderen. Sie sind überarbeitet in die Krise gestartet und werden noch viel überarbeiteter aus der Krise gehen. Sie werden dann Erholung brauchen – und nicht nur Dankesworte. Vor wenigen Wochen weigerten sich die Arbeitgeber und die ÖVP noch, der Forderung einer 35-Stunden-Woche für Sozialberufe nachzukommen. Das muss sich nun ändern.
Interessante Aussage – wenn konservative es auch einsehen – was unterscheidet sie dann von den Sozialdemokraten?