Die Regierung stimmt ein neues Epidemiegesetz im Gesundheitsausschuss ab. Der Inhalt: Die genaue Untersuchung von einzelnen Regionen – sogenannt Screenings – sollen das Coronavirus gezielt bekämpfen, jede Form von Zusammenkunft kann eingeschränkten Personengruppen ermöglicht werden. Der Haken: Die neuen Regelungen gehen mit massiven Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte einher – und sollen ohne Expertenbegutachtung durchs Parlament.
„Coronavirus-Bekämfpung ja, Blankoschecks für Eingriffe in Grundrechte der Bevölkerung nein“, stellt SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher nach dem Gesundheitsausschuss am Donnerstag fest. Die Opposition ist empört: So weitreichende Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte über einen Ausschuss ohne Begutachtung durchs Parlament zu bringen, sei undenkbar. Normalerweise können zu einem Gesetzesvorhaben zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschafter und Expertinnen Stellung beziehen. Das soll nicht passieren. Besonders heikel: Das Gesetz hat kein Ablaufdatum, ist also über die Krise hinaus Rechtslage.
Die Kritik an den Maßnahmen ist weitreichend: An sich sehen ExpertInnen kein Problem mit den regionalen Screenings – aber der Teufel steckt im Detail. Denn das Gesetz ermöglicht eine Ausdehnung der Datensammlung, deren Übermittlung und Verarbeitung.
Der Hauptgrund für Kritik: Bestimmten Personengruppen kann die Teilnahme an Veranstaltungen untersagt werden. Die Opposition befürchtet, dass hinter den Bestimmungen zu Datenverarbeitungen und Screenings von Bevölkerungsgruppen und der Einschränkungen für bestimmte Personengruppen eine Vorbereitung auf eine indirekt verpflichtende Corona-App lauert. Eine “Verpflichtung über die Hintertür” könnte demnach kommen, indem diejenigen, die die App nicht haben, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden: Nur, wer sie hat und “unbedenklich” ist, dürfte dann an Veranstaltungen teilnehmen. Das neue Epidemiegesetz schreibt das zwar nicht vor, legt aber die rechtliche Grundlage dafür.
Was passiert mit den Daten?
Die Screenings sollen ermöglichen, kleine Regionen auszuwerten und gezielt Maßnahmen zu setzen. Allerdings kommt es dabei in der vorgeschlagenen Form zur massiven Datenweitergabe. Denn von den betroffenen Personen können nicht nur Gesundheitsdaten gespeichert werden, sondern auch Personendaten, Bewegungsmuster, Infos zur Berufsausübung, etc. zusätzlich zur Viren-Probe. Diese werden in ein zentrales Register eingespeist, wo die Daten nach Vorliegen des Testergebnisses pseudonymisiert – das heißt: nicht anonym, sondern rückverfolgbar – werden. Diese Daten gehen dann vom Gesundheitsministerium über die Landeshauptleute und die Bezirksverwaltungsbehörden bis hin zu neu eingerichteten Sachverständigen und sonstigen befähigten Personen.
Man befürchtet, dass die die Teilnahme an einem Screening weitreichende Folgen haben könnte: Die Ausübung des Berufs, Betretungsverbote oder Ausgangssperren oder die Teilnahme an Veranstaltungen könnte von einer Teilnahme abhängig gemacht werden.
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Epidemiegesetz Neu durch Ausschuss geboxt
Die Gesetzesvorlage schafft die rechtliche Grundlage dafür, jede Art von Zusammenkünften mehrerer Personen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Das bedeutet einen massiven Einschnitt in die Grund- und Freiheitsrechte. In der Vorlage heißt es:
§ 15. Veranstaltungen, die ein Zusammenströmen größerer Menschenmengen mit sich bringen, sind zu untersagen, oder ist deren Abhaltung auf bestimmte Personengruppen einzuschränken oder an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen oder Auflagen zu binden, sofern und solange dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist.“
Auffällig ist vor allem, dass das neue Gesetz in keiner der über 60 Pressekonferenzen Erwähnung findet. Auch in der Nationalratssitzung am Mittwoch kam es nicht in Lesung. Stattdessen brachte die Regierung das neue Epidemiegesetz in den Gesundheitsausschuss. Das Ansuchen der Opposition auf Ausschussbegutachtung wurde dabei abgelehnt. Man holt also nicht, wie sonst üblich, die Meinung von Experten, Wissenschafterinnen und NGOs ein. Mit den Stimmen von ÖVP und Grünen wurde dieser Antrag beschlossen. In der selben Sitzung lehnte die Regierung den SPÖ-Antrag für einen Masterplan zum Hochfahren des Gesundheitssystems ab und vertagt die Anträge von Neos und FPÖ.
Der Hang der ÖVP zur Verpflichtung ist bekannt. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sprach sich offen für eine Verpflichtung aus. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler äußerte im Verfassungsausschuss, sie könne eine verpflichtende Verwendung der App beim Grenzübertritt “nicht ausschließen”. Eine entsprechende Marktdurchdringung sei wichtig, damit die App funktioniert, so die Ministerin.
SPÖ: “Blankoscheck zur Einschränkung der Freiheitsrechte”
Die Formulierung des neuen Epidemiegesetzes könnt nun eine “Verpflichtung durch Hintertür” bringen, so die SPÖ. Die Opposition läuft Sturm gegen das neue Gesetz. Die SPÖ kündigt an, dem Gesetz nicht zuzustimmen, wenn es zu keiner Begutachtung durch das Parlament und Expertinnen und Experten kommt. Es gebe schlicht zu viele offene Fragen:
„Screening-Programme, ja, aber was geschieht mit diesen Daten? Wer ist alles betroffen? Was folgt daraus? Wer bekommt aller diese Daten? Menschen könnten mit Berufsverbot, Betretungsverboten, Ausgangssperren belegt werden. Das Recht, sich zu versammeln, soll weiter eingeschränkt werden, indem gewisse Personengruppen von Veranstaltungen ausgeschlossen werden können, bzw. nur Personen mit bestimmten Voraussetzungen teilnehmen dürfen. Bedeutet das, sie müssen eine App installiert haben?”, so Philip Kucher, Gesundheitssprecher der SPÖ. Auch die NEOS wittern eine “App-Pflicht durch die Hintertür”. Die FPÖ brachte bereits letzte Woche eine Anzeige bei der Datenschutzbehörde wegen der Corona-App ein.
#tuerkisgruen will im "Geheimen" durchsetzen, dass Menschen ausgeschlossen und benachteiligt werden können, wenn sie 1 Tracking-App nicht installieren. Das hat nichts mit Freiwilligkeit zu tun. Davor haben wir immer gewarnt u das werden wir mit aller Kraft bekämpfen. #Coronavirus
— SPÖ (@SPOE_at) April 24, 2020
Skepsis in der Bevölkerung wächst
Während die Regierung betont, wie wichtig eine breite Verwendung der App ist, ist die Ablehnung in der Bevölkerung groß. Laut einer Marketagent-Umfrage lehnt ein Drittel der ÖsterreicherInnen die Entwicklung ab. Nur rund drei von zehn Befragten halten die App für sinnvoll. Ein weiteres Drittel sieht nur einen teilweisen Nutzen. Der Grund für die Ablehnung ist in erster Linie der Datenschutz. Zwei Drittel finden den Eingriff in die Privatsphäre zu hoch. Mehr als die Hälfte findet eine Installation unnötig, da man die Sicherheitsbestimmungen einhält.
Beschwichtigung nach Kritik
Auch der Bundespräsident schaltet sich mahnend ein. Die Grundrechte sieht er “dramatisch eingeschränkt”. Dies sei “nur durch die außergewöhnliche Situation gerechtfertigt”. Er betont: Die Einschränkungen dürften nur so lange gelten wie unbedingt nötig: “sie müssen also mit einem Ablaufdatum versehen sein”, so Van der Bellen am Freitag. Neben den angekündigten Maßnahmen sorgte das Demonstrationsverbot für Kritik. So hält der Verfassungsexperte Heinz Mayer die Untersagung einer in Wien angemeldeten Demonstration durch die Polizei für “nicht zulässig”.
Die Regierungsparteien betonen nach dem heftigen Gegenwind, es handle sich um eine Ausweitung der Freiheiten. Die jetzige Gesetzeslage lässt nur zu, Veranstaltungen gänzlich zu untersagen. Die neue Regelung erlaube wenigstens Veranstaltungen mit eingeschränktem Publikum, wie etwa Vereinsmitglieder, so Anschober: “Die Regelung dient dazu, mehr Freiheiten zu schaffen als das bisher möglich ist.” Man betont: “In keiner Weise ist damit die verpflichtende Verwendung einer App oder der Ausschluss von Risikogruppen gemeint.” Eine entsprechende Klarstellung im Gesetz fehlt allerdings bislang.
…niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen….
Kucher hat uns nicht erklären können, warum ein solches Gesetz auch in der Nach-Corona Zeit, die ja bald kommen soll, gültig sein soll. Die Kontrast Redaktion übernimmt das dankend. Der Leser bleibt uninformiert zurück.