Jahrelang wurde über das Gesetz über die Wiederherstellung der Natur (EU-Renaturierungsgesetz) in Europa verhandelt. Die EU will damit die zunehmende Zerstörung der Lebensräume und das damit verbundene Artensterben verhindern. Trotzdem könnte ausgerechnet die Grüne Umweltministerin Gewessler das Vorhaben auf den letzten Metern blockieren. Denn sie beruft sich auf eine ablehnende Stellungnahme der Bundesländer. Doch Wien und Kärnten haben diese inzwischen infrage gestellt und würden dem neuen Entwurf zustimmen. Wenn ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner eine Sitzung einberufen würde, wäre der Weg frei für eine Zustimmung.
Am 17. Juni entscheidet der Rat der EU-Umweltminister:innen, ob das Gesetz über die Wiederherstellung der Natur in Europa kommt – oder nicht. Es wird ausgerechnet von der Entscheidung der Grünen Umweltministerin Leonore Gewessler abhängen. Stimmt sie dafür, gibt es eine Mehrheit, enthält sie sich oder stimmt dagegen, scheitert das Gesetz. In der Vergangenheit hat sie nicht dafür gestimmt, mit der Begründung, dass die Bundesländer mit einer einheitlichen Stellungnahme ihr die Zustimmung verbieten würden.
Doch in den letzten Monaten wurde viel verhandelt und viele Bedenken der Bundesländer konnten entkräftet werden. So gibt es etwa mehr Spielraum bei der Umsetzung und statt Verpflichtungen für Landwirte die Aufforderung an Mitgliedsstaaten Anreize zu schaffen. Das hat Wien und Kärnten dazu bewogen, dem neuen Entwurf doch zuzustimmen. Damit steht auch die einheitliche Stellungnahme infrage. Jetzt müsste nur noch ÖVP-Landeshauptfrau und Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz Mikl-Leitner eine Sitzung mit allen Bundesländern einberufen, um dies festzustellen. Damit würde einer Zustimmung der Umweltministerin endgültig nichts mehr im Weg stehen.
Wien und Kärnten fordern nun Mikl-Leitner genau dazu auf. Dort soll festgestellt werden, “ob die Länder dem vorliegenden Vorschlag nicht doch zustimmen können – natürlich in Verbindung mit der Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel seitens des Bundes”, sagt Wiens Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky.
EU-Renaturierungsgesetz soll zerstörte Lebensräume wiederherstellen und aussterbende Tierarten schützen
Mit dem Vorhaben will die EU das Artensterben sowie die Klima- und Biodiversitätskrise bekämpfen. Denn nur noch etwa 19 Prozent der natürlichen Lebensräume in der Europäischen Union sind in einem guten Zustand. Der Rest ist gefährdet oder bereits stark beschädigt. Flüsse, Seen, Moore und Böden trocknen aus. Das Ökosystem Wald ist an sich bedroht. Durch die zunehmende Zerstörung der Lebensräume sterben immer mehr Tierarten aus. Darunter auch Arten wie Bienen oder Hummeln, die etwa Nutz- und Wildpflanzen bestäuben.
Insgesamt ist ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.
Mit dem Gesetz über die Wiederherstellung der Natur will die EU nicht nur die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt retten, sondern auch die Widerstandsfähigkeit der geschädigten Lebensräume wiederherstellen. Vor allem gegenüber Hitzewellen, Dürreperioden, Überschwemmungen und sonstigen negativen Auswirkungen des Klimawandels. Rund 20 Prozent der Landes- und Meeresflächen sollen als natürliche Lebensräume wiederhergestellt werden, um die sinkende Biodiversität – also das Aussterben von unzähligen Tier- und Pflanzenarten – zu stoppen.
- Wiederherstellung von 25.000 Km frei fließender Flüsse: Nur 40 Prozent der europäischen Gewässer sind schätzungsweise in einem guten Zustand. Nicht-nachhaltige Landwirtschaft, Wasserkraft, Dämme und Schifffahrt gelten als die Hauptbelastungen.
- Schutz und Wiederherstellung der Artenvielfalt der Wälder: Etwa 90 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten der Welt sind in Wäldern zu Hause. Der Wald ist damit das Ökosystem mit der höchsten Biodiversität. Zusätzlich speichert er CO₂ und reinigt die Atemluft.
- Verbesserung der Lebensqualität in Städten: Große Städte sollen mehr begrünt werden: d.h. mehr Parks, Bäume und Pflanzen im Stadtgebiet. Das senkt die Temperatur, den Energieverbrauch durch Kühlanlagen und trägt somit zum Klimaschutz bei.
Die EU möchte ihren Mitgliedsstaaten dafür rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
ÖVP lobbyierte dagegen – stimmte sogar im EU-Parlament dagegen
Jahrelang gab es auf EU-Ebene und in den Nationalstaaten Verhandlungen über die Ausgestaltung des EU-Renaturierungsgesetz. Im Sommer 2023 gab es schließlich eine Mehrheit im EU-Parlament – gegen die Stimmen der ÖVP-Fraktion. Die Volkspartei hat gemeinsam mit den Agrarkonzernen gegen dieses Vorhaben lobbyiert. Auf den letzten Metern könnten sie damit nun doch noch Erfolg haben.
Eine Möglichkeit hätte Leonore Gewessler allerdings, selbst wenn eine offizielle Feststellung nicht mehr rechtzeitig zustände käme: Sie könnte sich auf einen „zwingenden integrationspolitischen Grund“ berufen und damit dem Gesetz zustimmen. Es geht schließlich um nichts weniger als einen Meilenstein für den Naturschutz, die Rettung bedrohter Ökosysteme und das Abwenden der Klima- und Biodiversitätskrise – das allein mit der Stimme Österreichs steht oder fällt.
ÖVP in Brüssel: Gegen Naturschutz, für Glyphosat und kein Klimaplan