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Steuerhinterziehung erklärt: So betrügen uns Konzerne & Superreiche um 170 Mrd. € jedes Jahr

Konzerne und Superreiche nutzen Gesetzeslücken und komplexe Netzwerke von Briefkastenfirmen, um Steuern zu hinterziehen. Das haben spätestens die Enthüllungen der Panama Papers und der Paradise Papers bewiesen. Sie verschieben ihre Gewinne in Steueroasen wie Malta, Irland oder Liechtenstein. Insbesondere Mega-Konzerne wie Google, Meta, Amazon, Starbucks, Nike etc. haben in der Vergangenheit kaum Steuern in der EU gezahlt. Laut Schätzungen entgehen den EU-Staaten dadurch bis zu 170 Milliarden Euro im Jahr. Mit diesem Geld könnte die EU und ihre Mitgliedstaaten wichtige Projekte finanzieren: zum Beispiel den Ausbau des Gesundheitssystems oder die Energiewende. Wie genau die Steuertricks der Unternehmen funktionieren und was die EU dagegen unternimmt, erfährt ihr hier.

Was ist Steuerwettbewerb?

Die Länder in der EU (und außerhalb) konkurrieren um Unternehmen, weil es Vorteile bringt, wenn sich Unternehmen im Land ansiedeln. Etwa weil es dadurch mehr Arbeitsplätze oder eine höhere Wirtschaftsleistung gibt. Um attraktiv für Unternehmen und Investitionen zu sein, können die Regierungen der Länder besonders niedrige Gewinn-Steuern festlegen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Unternehmen dort niederlassen. Denn niedrige Steuern auf den Gewinn eines Unternehmens bedeuten mehr Profit für die Eigentümer des Unternehmens.

Zum Beispiel zahlen Unternehmen in Portugal 28,4 % Gewinn-Steuer, in Holland 24,5 %, in Österreich 23 % oder in Ungarn 9 %. Dieser Zusammenhang nennt sich Steuerwettbewerb. Im Vergleich zu den übrigen EU-Ländern  ist die Unternehmenssteuer in Österreich recht niedrig. Das letzte Mal wurde sie 2023 von ÖVP und Grünen von 25 % schrittweise auf die aktuell geltenden 23 % gesenkt.

Doch nicht allein die Steuern beeinflussen, wo sich ein Unternehmen niederlässt. Auch der Bildungsstand der Bevölkerung, das Lohnniveau, die Nähe zu Zulieferern und Kund:innen, sowie der Schutz von Eigentum (Fabriken, Maschinen, Patente für Erfindungen) oder gute Infrastruktur und Sicherheit spielen eine Rolle.

Viele Unternehmen sind deshalb bereit, höhere Gewinnsteuern in Kauf zu nehmen, wenn es in einem Land dafür gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine gute Infrastruktur und hohe Sicherheitsstandards gibt. Trotzdem geht es ihnen am Ende um den größtmöglichen Profit. Das heißt: Wenn es Steuerschlupflöcher gibt, dann nutzen sie diese auch.

Wie vermeiden Unternehmen Steuern in der EU?

Ein weit verbreitetes und gängiges Steuerschlupfloch ist die Gründung von Briefkastenfirmen. Diese Firma sitzt meist in einem Land, das niedrige oder gar keine Steuern verlangt. Dorthin werden dann die Gewinne eines Unternehmens hinverschoben und „versteuert“.

Definition: Was ist eine Briefkastenfirma?

Eine “Briefkastenfirma” ist ein „Unternehmen“, das hauptsächlich zur Steuervermeidung gegründet wird. Sie besteht lediglich aus einem Briefkasten. Diese Firma hat oft keine physische Präsenz, keinen aktiven Geschäftsbetrieb und wenig bis keine Mitarbeiter:innen in dem Land, in dem sie registriert ist. Meist sind das Länder mit niedrigen Unternehmens-Steuern, wie Irland, Luxemburg und Malta. Über Lizenzgebühren werden die Gewinne aus Ländern mit hohen Steuersätzen in diese Steueroasen überwiesen.

Steuervermeidung einfach erklärt

Wie funktioniert eine Briefkastenfirma? Ein Beispiel: Eine US-amerikanische Firma macht Gewinne in Österreich. Eigentlich sollten die Gewinne in Österreich versteuert werden. Doch um das zu vermeiden, überweist die Firma den Großteil ihrer Gewinne als Lizenzgebühr an ihre Tochterfirma in Irland. Dort gilt ein wesentlich niedrigerer Steuersatz als in Österreich. Obwohl die Firma ihre Gewinne in Österreich macht und somit von der Kaufkraft und der Infrastruktur in Österreich profitiert, drückt sie sich um ihre Steuerzahlungen.

Doch es geht noch weiter. Denn auch den niedrigen irischen Steuersatz von 12,5 Prozent will sich das amerikanische Unternehmen sparen. Also überweist die irische Tochterfirma die Gewinne aus Österreich nochmals. Diesmal an eine Tochterfirma in den Niederlanden. Dort müssen normale Gewinne zwar höher versteuert werden, Lizenzgebühren aber gar nicht. So hat das Unternehmen nochmals Steuern gespart.

Dieses Hin und Her-Verschieben von einem Land zum anderen kann das amerikanische Unternehmen beliebig weiterführen. Denn in jedem Land gibt es andere Gesetzeslücken. Und das Unternehmen möchte von all diesen Gesetzeslücken profitieren. Auf diese Weise schaffen es große internationale Unternehmen, beinahe überhaupt keine Steuern zu zahlen.

Bekannte große Firmen wie Amazon, Apple, Google, Meta, Nike, IKEA, Starbucks, oder McDonalds nutzen solche Steuervermeidungs-Tricks.

Den Großteil des Steueraufkommens zahlen Arbeitnehmer:innen

Die Unternehmen profitieren also von gut ausgebildeten und gesunden Mitarbeiter:innen, oder dem rechtlichen Schutz ihres Eigentums in einem Land. Aber sie sind nicht bereit, dort Steuern zu zahlen. Und das, obwohl Steuern die Grundlage für all diese Vorteile sind.

Darunter leiden letztlich alle Mitgliedstaaten der EU. Denn Schätzungen zufolge entgehen der EU durch Steuervermeidung bis zu 170 Milliarden Euro an Einnahmen. Das ist mehr Geld als das gesamte EU-Budget. Geld, das dann wiederum im EU-Haushalt fehlt. Geld, das für wichtige Investitionen z.B. in Bildung, den Klimaschutz oder das Gesundheitssystem fehlt.

Der Großteil des Steueraufkommens in allen europäischen Ländern kommt dagegen von den Arbeitnehmer:innen. Sie zahlen ihre Steuern über die Lohn- und Mehrwertsteuer. Steuern auf Unternehmens-Gewinne und große Vermögen machen in den meisten europäischen Staaten nur einen geringen Anteil am Steueraufkommen aus. Insbesondere in Österreich machen vermögensbezogene Steuern einen sehr kleinen Anteil an den gesamten Steuereinnahmen aus.

Irland, Luxemburg & Malta: Die größten Steuersümpfe der EU

Steuersümpfe, auch bekannt als Steueroasen, sind Länder oder Gebiete mit sehr niedrigen Steuersätzen und/oder anderen Steuervorteilen. Die größten Steuersümpfe sind: Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, die Niederlande, die Karibik, Bermuda, Singapur, Puerto Rico, Hongkong und die Schweiz.

Grundsätzlich sind solche Praktiken (noch) nicht verboten. Aber sie gehen auf Kosten aller anderen Menschen, die ihre Steuern zahlen. Denn sie müssen dann für diese fehlenden Steuereinnahmen aufkommen. Zum anderen schränkt das den Handlungsspielraum der einzelnen Staaten ein. Denn mangels Steuereinnahmen können sie nicht so viel investieren.

Foto: Micaela Parente /Unsplash

Malta ist seit 2004 in der EU. Es ist unter den Mitgliedsstaaten mit den niedrigsten Steuern in der EU. (Foto: Micaela Parente /Unsplash)

Durch Steuervermeidung sparen sich Unternehmen Milliarden

Schätzungen zur Folge hat Österreich 2023 1,3 Milliarden Euro an Einnahmen durch Steuerverschiebung verloren. Für die EU ist der Betrag um ein Vielfaches höher: ca. 170 Milliarden Euro. In der Vergangenheit waren die Schätzungen auf EU-Ebene sogar noch höher. Früher soll die EU jährlich 1000 Milliarden Euro durch Steuerflucht verloren haben. Eindeutige Aussagen lassen sich aufgrund fehlender und verlässlicher Daten aber nur schwer treffen.

Am Beispiel von Amazon lässt sich das Ausmaß jedoch gut erkennen: Der Handelsriese zahlte im Pandemie-Jahr bei einer Umsatzsteigerung auf 42 Milliarden Euro, gar keine Gewinnsteuern in der EU. Im Gegenteil, Amazon hat es geschafft eine Steuergutschrift von 52 Millionen Euro zu ergattern. Um diesen Betrag werden zukünftige Steuern für Amazon verringert.

2024: EU führt weltweite Mindeststeuer für Unternehmen ein

Die EU und ihre Mitgliedstaaten arbeiten seit Jahren daran, Steuerschlupflöcher zu schließen. Dazu wurden bereits einige Maßnahmen umgesetzt, z.B. die Einführung einer gemeinsamen, weltweiten Mindest-Steuer für Unternehmen. Sie gilt seit Januar 2024. Die zugrunde liegende EU-Richtlinie sieht zwei wesentliche Punkte vor:

  1. Gewinne sollen in dem Land besteuert werden, in dem sie gemacht werden. Das heißt: Gewinne, die in Österreich gemacht werden, müssen auch in Österreich versteuert werden.
  2. Der Steuersatz muss mindestens 15% betragen.

Das Gesetz soll verhindern, dass große Unternehmen weniger als 15 % Steuern zahlen können. Länder können die Differenz zwischen dem lokalen (niedrigeren) Steuersatz und dem Mindeststeuersatz von 15% zusätzlich als Steuern verlangen. Konkret würde das z.B.: für Ungarn (9% Gewinnsteuer) bedeuten, dass es 6% höhere Steuereinnahmen generieren kann. Das Unternehmen zahlt dann die globale Mindeststeuer von 15%. Der Wirtschaftswissenschaftler und Experte zu Steuerhinterziehung, Jakob Miehte, nennt dieses Ergebnis etwa einen „großen Erfolg“ – auch wenn es noch Probleme bei der Umsetzung gibt.

Kritik: Mindeststeuer für Unternehmen zu niedrig

Denn es gibt auch Kritik an der Regelung: Der Steuerwettbewerb unter den Ländern werde dadurch nicht eingedämmt. Denn zwischen 23% Gewinnsteuer in Österreich und 15% Mindeststeuer ist genug Spielraum für Länder, sich gegenseitig im Steuerwettbewerb zu unterbieten. Zusätzlich betrifft das neue Gesetz nur wirklich große Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz. Außerdem wurde bisher nur der zweite Punkt des Gesetzes umgesetzt. Der weitaus wichtigere erste Punkt (Gewinne werden in dem Land versteuert, in dem sie gemacht werden) ist bislang noch nicht umgesetzt.

Mehrere zivilgesellschaftliche Akteur:innen wie die unabhängige Kommission für die Reform der Internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT), Attac oder das Tax Justice Network treten deshalb für eine globale Mindeststeuer in der Höhe von 25% ein und fordern einen Gesamtunternehmenssteuer.

Zusätzlich wurde die Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie von der EU beschlossen und gilt ebenfalls seit dem 1.1.2024. Sie soll verhindern, dass Unternehmen mit Briefkastenfirmen Steuern sparen. Die Richtlinie soll es den Mitgliedstaaten vereinfachen, Briefkastenfirmen zu identifizieren und einen Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Gewisse Steuererleichterungen, wie die Verwendung von Lizenzgebühren, sollen also wegfallen. Ob die neuen Maßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen, wird wohl erst in Zukunft absehbar sein.

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