Sie wollen eine Kehrtwende in der Klimapolitik, eine umweltverträgliche und soziale Wirtschaftsordnung, protestieren gegen Zwangsräumungen und wollen Konzerne demokratisieren: Junge, linke Tabubrecher aus Deutschland, Österreich, Spanien und der Schweiz. Für ihre Ideen schlagen ihnen Kritik, Beleidigungen oder Drohungen entgegen. Wir fassen zusammen, was Julia Herr, Ada Colau, Tamara Funiciello und Kevin Kühner wollen – und warum.
Julia Herr: Ein Green New Deal für Europa
Julia Herr ist Vorsitzende der Sozialistischen Jugend in Österreich und kandidiert bei der EU-Wahl auf Platz 6 der SPÖ. Sie fordert eine radikale Wende in der Klimapolitik und einen Green New Deal für Europa – um die Klimakatastrophe abzuwenden. Mit dem Vorschlag für eine grüne Wirtschaftswende will Herr zeigen: Wir können uns heute entscheiden, so zu wirtschaften, dass wir nicht den Planeten zerstören – wir müssen nur richtig investieren und die richtigen Jobs fördern.
Der Green New Deal lehnt sich begrifflich an den New Deal des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt an. Der New Deal war ein Bündel von Wirtschafts- und Sozialreformen, mit denen die Vereinigten Staaten auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 reagierten. Ziel war es, Not in der Bevölkerung zu lindern, die Wirtschaft mit Investitionen anzukurbeln und Banken zu regulieren.
Die Forderung nach einem Green New Deal ist neu. Im Kern geht es darum, in der Klimapolitik weg von kleinen Einzelstrategien zu gehen – und stattdessen ganze Industriezweige, Verkehrswege und Arbeitslätze ökologisch neu auszurichten. Funktionieren soll das mit Investitionen: Öffentliche Verkehrswege ausbauen; Wohn- und Industriegebäude energie-effizient umbauen; „Öko-Upgrades“ für Unternehmen, damit sie weniger Treibhausgase ausstoßen. Außerdem sollen klimafreundliche Jobs gefördert werden: In der Forschung, in der Pflege oder in der Bildung.
Inspiration von Alexandria Ocasio-Cortez aus den USA
In den USA setzen sich – gemeinsam mit der Graswurzel-Bewegung Sunrise Movement – die demokratische Kongress-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und der ehemalige demokratische Präsidentschafts-Kandidat Bernie Sanders für so einen Deal ein.
Julia Herr hat innerhalb der Sozialdemokratie für einen europäischen Green New Deal geworben – und sich durchgesetzt. Der Green New Deal ist jetzt Teil des SPÖ-Forderungskatalogs: Weg von fossiler Energie, hin zu einem europaweiten Schnellzug-Netz und eine EU-weite CO2-Steuer, die Einnahmen für Klimaschutz bringt.
Neben einer Wende in der Klimapolitik will Julia Herr auch eine Wende in der Wirtschaftspolitik. Denn wie aktuell produziert und Gewinn gemacht wird, ist nicht demokratisch.
„Es arbeiten ganz viele Menschen gemeinsam daran, dass man Wertschöpfung und Gewinne erzielt. Nur diese werden dann nicht auf alle verteilt, sondern die Gewinne landen in den Händen einiger weniger.“ (Julia Herr im Interview mit dem „Kurier“)
Die Forderung des Chefs der deutschen Jungsozialisten, Kevin Kühnert, nach einer Vergemeinschaftung von Großunternehmen sieht Julia Herr positiv – und wurde just vom ÖVP-Kandidaten Othmar Karas attackiert. Der sah allein im Gedanken an Verstaatlichung „Linksextremismus“. Herrs Antwort: Karas soll sich vom „Privatisierungswahn“ distanzieren – und die ÖVP nicht nur für Konzerne Politik machen.
Bürgermeisterin Colau: Gegen Zwangsräumungen – für mehr Wohnraum
Innerhalb von fünf Jahren nach Einbruch der Finanzkrise 2007 mussten allein in Spanien über 400.000 Familien ihre Wohnungen, Häuser und Geschäfte räumen. In 70 Prozent der Fälle war ein Jobverlust in Folge der Krise der Grund, dass Familien die Hypotheken für Immobilien oder Mieten nicht mehr bezahlen konnten.
Ada Colau ist eine Frau, die den Opfern von Zwangsräumungen helfen wollte. 2009 gründete die Spanierin die Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), übersetzt etwa: Plattform der Hypotheken-Opfer. Sie protestierten und haben sich Gerichtsvollziehern in den Weg gestellt, damit Familien nicht obdachlos werden. 2013 hat das Europa-Parlament die Plattform mit dem Europäischen Bürgerpreis ausgezeichnet.
“Zwangsräumungen stoppen, Banken zur Verhandlung von Schulden zwingen, das öffentliche Gesundheitssystem verteidigen, das ist Politik!“, definiert Colau.
2015 ist Colau mit der Wahlplattform Barcelona an Comú zu den Kommunalwahlen in Barcelona angetreten – und als Bürgermeisterin der Stadt hervorgegangen. Sie ist die erste Frau in dieser Position. Colau hat ihr Gehalt gedeckelt – und verdient monatlich 2.200 Euro netto. Den Rest, der ihr zustehen würde, spendet sie sozialen und karitativen Organisationen.
1:0 für Calau gegen Airbnb
Dass der Wohnraum in Barcelona knapp und teuer ist, ist in Colaus Augen ein Problem. Preistreiber ist für die Bürgermeisterin auch Airbnb: Wohnungen werden für kurze Dauer an Touristen vermietet – und fehlen am allgemeinen Wohnungsmarkt. Hinzu kommt das Problem, dass Vermieter ihre Einnahmen nicht korrekt versteuern. Das will Colau ändern: Sie hat Portale verpflichtet, kurzzeitig vermietete Wohnungen bei der Stadt zu registrieren – inklusive einer Lizenznummer. Diese bekommt nur, wer die wichtigsten Daten zur Wohnung und zum Vermieter angibt. Portale, die nicht-registrierte Wohnungen umfassen, müssen Strafen bezahlen. Allein 2016 hat die Stadt über Airbnb eine Strafe über 600.000 Euro verhängt.
Tamara Funiciello: provoziert mit Aktionen für Frauenrechte
Die junge Politikerin Tamara Funiciello ist Präsidentin der JungsozialistInnen (Juso) Schweiz und arbeitet in der Unia, der größten Gewerkschaft des Landes. Sie macht sich für Frauenrechte stark, ihr und anderen weiblichen Juso-Mitgliedern schlägt deswegen auch Hass entgegen. 2016 wurde Funiciello als Vertreterin der Juso in den Berner Stadtrat gewählt. Im selben Jahr wurde sie auch eine der Vizepräsidentinnen der Schweizer Sozialdemokratischen Partei.
Im Vorfeld des Internationalen Frauentags 2018 hat eine Gruppe rund um Funiciello mit nackten Oberkörpern BHs verbrannt, um auf sexuelle Belästigung als Problem aufmerksam zu machen. Für die Aktion wurden sie und andere Frauen mitunter beschimpft.
Funiciello diskutiert mit Hass-Postern
Nachdem eine Zeitung eine Karikatur von Funiciello inklusive ihrer (öffentlich abrufbaren) Handynummer gedruckt hat, bekam Funiciello zahlreiche Drohungen und
Beleidigungen zugeschickt. Ihre Reaktion: Sie hat im Februar 2019 einige der Absender besucht, um mit ihnen über Hass im Netz zu sprechen. Die Zeitung wurde vom Presserat gerügt.
Kevin Kühnert: Demokratisch wirtschaften durch Kollektivierung von Konzernen
Laut Weltbank kontrollieren die 500 größten Privat-Konzerne mehr als die Hälfte der weltweiten Wirtschaft. „Die größten Konzerne haben eine ideologische, militärische, technologische, wissenschaftliche, politische Macht, die nie ein Kaiser, ein König oder ein Papst innehatte auf diesem Planeten. Sie entschwinden jeglicher sozialer, parlamentarischer und gewerkschaftlicher Kontrolle.“ Zu diesem Schluss kommt der Soziologe Jean Ziegler – und ist damit nicht allein. Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jungsozialisten (Jusos) in Deutschland, findet ebenfalls, dass in unserer Wirtschaftsordnung die Bedürfnisse von Menschen zu kurz kommen. Sie können zu wenig bestimmen, wie Profite erwirtschaftet und vor allem verteilt werden.
Kühnert hat sich in einem Interview für die „Kollektivierung von Großunternehmen“ ausgesprochen. Er nannte den BMW-Konzern als Beispiel, denn dort ist die Ungleichverteilung besonders krass: BMW erhält Millionen Subventionen aus öffentlicher Hand, die zwei Konzern-Erben verdienen jährlich jeweils zwei Milliarden Euro – so viel wie 20.000 BMW-Mitarbeiter zusammen.
Kollektivierung bedeutet, dass Privateigentum – wie etwa ein Konzern – gegen eine Entschädigung in Gemeinschaftseigentum umgewandelt wird. Dann könnten Beschäftigte eines Konzerns und die Bürger eines Landes bestimmen, wie sich das Unternehmen weiterentwickelt und wie Profite verteilt und investiert werden.
Ein Modell sind Genossenschaften. In Genossenschaften schließen sich Personen zu einer Gesellschaft zusammen, verfolgen gemeinsame wirtschaftliche und soziale Ziele. Die Mitglieder sind Eigentümer, Partner und Entscheidungsträger.
Attacken von Konservativen und Neoliberalen
Kühnert wurde für seinen Vorschlag von konservativen und neoliberalen Parteien attackiert. Innerhalb der SPD bekommt er aber auch Zuspruch: Über Ungleichheit, über Interessensgegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeitenden und Besitzenden reden – das muss selbstverständlich sein, findet Wiebke Esdar, SPD-Abgeordnete im deutschen Bundestag und Mitglied im Parteivorstand. “Da kann sich die SPD nicht mit dem Status quo zufriedengeben.”
Zum Weiterlesen:
Ein Green New Deal für Österreich (Arbeit & Wirtschaft)
Herr,Kühnert und Co sollten vielleicht einmal recherchieren, was aus der ehemals Verstaatlichten Industrie geworden ist. Ausnahmslos alles abgewirtschaftet!
Was ist eigentlich aus den SPÖ-eigenen Betrieben geworden? Sogar eine Bawag wurde von den Roten in besten Bankzeiten ruiniert.
Die Miliardenverluste der Verstaatichten wurden übrigens dem Steuerzahler überlassen. Da ist mir ein Eigentümer eines erfolgreichen Betriebes immer noch lieber. Der zahlt wenigstens Steuern. Im Fall von BMW übrigens gar nicht wenig.