Österreich weiß sehr wenig über die Reichsten im Land – und das obwohl sie viel Unterstützung vom Staat bekommen. Der Ökonom und Individualpsychologe Martin Schürz hat Daten zum Vermögen gesammelt. Er beklagt aber die mangelnde Transparenz über das Vermögen in Österreich – die für alle anderen Einkommensgruppen gilt. Er sagt: Überreiche sind es gewohnt, dass andere spuren. Sie haben einen viel zu großen Einfluss auf die Politik.
Kontrast: In Österreich besitzt 1 Prozent fast 40 Prozent des ganzen Vermögens. Warum ist das Vermögen so ungleich verteilt und warum ist diese Ungleichheit so stabil?
Schürz: Wie viel das oberste 1% hat, ist leider wissenschaftlich gar nicht geklärt. Gute Daten fehlen. Es gibt bedauerlicherweise keine Transparenz beim Reichtum. Das Top-1% hat jedenfalls den Löwenanteil. Nur ist das Vermögen sogar innerhalb dieser kleinen Gruppe sehr ungleich verteilt. Und für gesellschaftliche Machtfragen ist das oberste Zehntausendstel interessanter als das oberste Prozent.
Die massive Vermögenskonzentration ist grundsätzlich über Ausbeutung von Menschen und über Erbschaften zu verstehen. Unbesteuerte Erbschaften sichern das Vermögen der Reichen über Generationen. Die Vermögensungleichheit bleibt stabil, weil die Staaten in ihrer Steuerpolitik, etwa über Vermögens- oder Erbschaftssteuern, nichts dagegen unternehmen. Im Gegenteil, über die Senkung von Körperschaftssteuern befeuern sie diese sogar noch. Und die Ungleichheit bleibt nicht zuletzt hartnäckig, weil sie von den Menschen gar nicht richtig wahrgenommen werden kann. Bei Milliardären funktionieren die Vorstellungen der Menschen zu Reichtum ja gar nicht mehr.
Kontrast: Es wird gerne gesagt, Vermögenssteuern würden erfolgreiche Leute bestrafen. Es sei vor allem Neid auf die, die „es“ geschafft haben. Aber was haben die geschafft?
Schürz: Ein seltsamer Begriff von Strafe. Eine Vermögenssteuer muss allein begrifflich zwangsläufig auf Vermögen zielen. Bei der progressiven Besteuerung des Arbeitseinkommens könnten Konservative vielleicht von einer Bestrafung der beruflich Erfolgreichen sprechen. Aber auch nur unter der Annahme, dass hochbezahlte Manager nicht an sich gerne arbeiten, weil sie gestalten können und Anerkennung erhalten. Doch beim Vermögen macht die Rede von der Strafe gar keinen Sinn: Aktienkursgewinne und Immobilienpreisanstiege passieren ja auch ohne eigenes Zutun. Bestraft wird da nichts.
Und bei Neid ist es so: Neid braucht soziale Nähe, um zu gedeihen. In der Verwandtschaft wird daher gerne geneidet. Zwischen den Überreichen und dem Rest der Bevölkerung hingegen gibt es maximale soziale Distanz. Daher geht der Neidvorwurf der Reichen an die Armen meist ins Leere.
Und ob wir gut finden, was Vermögende geschafft haben, hängt von unseren eigenen Werturteilen ab. Manche feiern neue Technologien und gönnen den Erfindern ihre Milliarden. Andere glauben die Mär von den self made Milliardären aber nicht, weil sie die Hilfe des Staates beim Reichbleiben erkennen. Wieder andere sehen die soziale Ungerechtigkeit und die vielen Armen in der Welt.
Kontrast: Was meinen Sie mit dem Begriff Überreichtum?
Schürz: Ich habe mein Buch größtenteils in Mexiko-Stadt geschrieben. Dort ist die große Mehrheit der Bevölkerung auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Es sind etwa 10% der Einwohner, welche die Straßen mit ihren Autos verstopfen. Eine kleine Minderheit kann sich den „segundo piso“, das sind gebührenpflichtige Autobahnen direkt darüber, leisten. Doch einige wenige fliegen mit dem Hubschrauber herum. Um diese Minigruppe geht es in meinem Buch.
Kontrast: In den meisten Ländern, so auch in Österreich, gibt es nur unzureichende Daten zu Reichtum. Wie kommt es eigentlich, dass Staaten kein Interesse daran haben, über das Vermögen ihrer Bürger Bescheid zu wissen? Über Arme weiß man doch auch alles.
Schürz: Reichen wird Geheimhaltung gestattet, während die Armen ihre Finanzen offenlegen müssen. Die Forderung nach Transparenz bei den privaten Vermögen wird gerne als Schnüffelei diffamiert. Und die Politik traut sich nicht einmal mehr zu fordern, dass die Daten verpflichtend bereitzustellen sind. Behauptet wird, dass die Armen im Gegensatz zu den Reichen Unterstützung vom Staat bekommen und deswegen geprüft und kontrolliert werden müssen.
Die Reichen hingegen würde ihr Vermögen allein auf Basis ihrer Ideen und Kühnheit schaffen. Geflissentlich werden dabei Eigentumsschutz, Unternehmenssubventionen, Forschungsförderung, Infrastruktur und die Körperschaftssteuersenkungen der letzten Jahrzehnte vergessen. Auf Grund der höheren Mobilität und der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einkommenssteuer wäre gerade bei den Vermögenden Kontrolle wichtig.
Kontrast: Zur Armut hat man Bilder, zu Überreichtum nicht? Wie leben diese Menschen? Wo leben sie?
Schürz: Es gibt leider nur unzureichende Bilder. Übermaß und Exzess werden in Darstellungen verharmlost. Da sieht man dann halt Privatyachten oder Luxusvillen. Ein passenderes Bild wäre aber vielleicht die Zahl der Arbeitskräfte, die sich ein Milliardär kaufen kann. Und leben tun Reiche überall auf der Welt. Es handelt sich dabei um globale Eliten mit mehreren Wohnsitzen.
Kontrast: Sagt das Vermögen von Milliardären etwas über den wirtschaftlichen Erfolg von Ländern aus? Oder nur über das Ausmaß an Ungleichheit, das man bereit ist zu akzeptieren?
Schürz: Nein, auch in Afrika gibt es Milliardäre und auch im kommunistischen China tummeln sich Überreiche. Letztlich sagt die Vermögenskonzentration viel über die Machtverteilung in einer Gesellschaft aus, aber nur wenig über das Wirtschaftswachstum.
Kontrast: Es gibt politisch festgelegte Grenzen für Staatsverschuldung, Defizite, für Alkohol am Steuer oder Geld, das man haben darf, um die Mindestsicherung zu beziehen.
Damit will man gesellschaftlich sinnvolle Entwicklungen begünstigen. Könnte es auch Grenzen für privaten Überreichtum geben? Ist Überreichtum nicht ähnlich schädlich, wie das Rauchen in Lokalen oder das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit?
Schürz: Denkmöglich sind Grenzen zu Reichtum in einer Demokratie selbstverständlich. Doch von den Mächtigen werden lieber Grenzen in Form von Denk- und Sprechtabus gezogen.
Rauchen ist ein gutes Beispiel, denn auch eine Tabaksteuer will ungesundes Verhalten verhindern. Genau diese Zielsetzung hätte eine vernünftige, das heißt demokratisch legitimierte, Vermögensobergrenze. Sie würde jenen Exzess verhindern, der Demokratie und sozialen Zusammenhalt gefährdet.
Kontrast: Überreiche verachten den Staat. Warum ist das so? Der Staat ist doch gut zu ihnen, gibt ihnen Förderungen und Steuergeschenke, lässt sie Vermögen auf ferne Inseln verschieben, sammelt kaum Informationen über sie …
Schürz: Eine interessante Frage, zu der ich nur mutmaßen kann: Überreiche sind es wohl gewohnt, anzuschaffen. Aber die politischen Repräsentanten des Staates verstehen sich selbst auch als Elite, d.h. es gibt Elitenkonkurrenz. Mit anderen Worten, sie spuren vielleicht nicht so wie das Personal. Zudem müssen sie ja auch Interessen verschiedener Fraktionen der Reichen berücksichtigen.
Kontrast: Sie schreiben: Für Überreiche ist es von Vorteil, wenn nicht vernünftige Überlegungen, sondern Gefühle eine große Rolle spielen. Welche Gefühle halten die ungleiche Verteilung stabil?
Schürz: Nun, rationale Überlegungen würden zu Gerechtigkeitsfragen führen und Gerechtigkeitsprinzipien widersprechen dieser enormen Vermögenskonzentration, weil es nicht um Leistung geht, die Ungleichheit viel zu groß ist und der Bedarf vieler Notleidender in der Welt nicht beachtet wird. Es ist ja so, dass die Finanzmittel für die Notlinderung da wären.
Gefühle der Bewunderung für die Reichen sind hingegen in der Bevölkerung verbreitet und Ungerechtigkeitsgefühle richten Arme manchmal sogar gegen noch Ärmere. Dort ist die Angst vor Vergeltung auch geringer, als bei den mächtigen Überreichen. Aber auch das mit der eigenen Großzügigkeit und Mildtätigkeit der Überreichen einhergehende angenehme Gefühl ist hilfreich, dass es so extrem ungleich in der Gesellschaft bleibt. Dann sind die Reichen halt doch irgendwie super und die besseren Leute.
Warum uns die Milliardäre und ihre Spenden nicht retten werden – Patriot Act with Hasan Minhaj | Netflix
Kontrast: Ist enorme Vermögensungleichheit mit Demokratie überhaupt vereinbar? Haben die Überreichen nicht einen viel zu großen Einfluss auf die Politik, im Vergleich dazu, dass sie eine ganz kleine Minderheit sind?
Schürz: Grundsätzlich ist immer eine Spannung zwischen Reichtum und Demokratie angelegt, weil nur eine winzige Minderheit sehr vermögend ist. Und ja, deren Einfluss ist viel zu groß. Doch beeindrucken tut das nicht viele und abfinden damit tun sich die Meisten. Aus gesellschaftskritischer Sicht bleibt es aber entscheidend, das Offensichtliche der Ungerechtigkeit nicht zu beschönigen, sondern zu benennen.
Der Ökonom und Politikwissenschafter Martin Schürz ist Vermögensforscher in Wien und arbeitet als Psychotherapeut in der Boje, einem Ambulatorium für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen.
sein, wenn sich Korrupte an der Gegenseite finden!
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