Lang war Preston das Zentrum der Industrie Englands. Als die großen Unternehmen der Stadt aber entschieden, die Produktion in Billiglohn-Länder zu verschieben, brach die Wirtschaft zusammen und Preston stürzte in eine tiefe Krise. Die Menschen Prestons ließen sich aber nicht unterkriegen und bauten ihre Wirtschaft gemeinsam wieder auf. Statt auf internationale Konzerne und Billiglohn setzen sie auf lokale Produktion und Mitbestimmung. Dank dem Modell des “Kommunalen Wohlstands” boomt Preston heute wieder.
Preston war lange der Wirtschaftsmotor Englands. In der Stadt in der nordwestlichen Grafschaft Lancashire boomt im 19. Jahrhundert die Textilindustrie. Produkte aus Preston wurden in die ganze Welt exportiert und die Stadt wuchs rasant. Der Boom hielt aber nicht ewig. Nach dem zweiten Weltkrieg wanderten große Teile der englischen Industrie in Billiglohn-Länder ab. Die Wirtschaft zerfiel und mit ihr die Stadt. Noch vor wenigen Jahren galt Preston als eine der ärmsten Gegenden Englands.
Doch dann kam ab 2012 die Kehrtwende. Die Stadt organisierte sich neu, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Man verstand, dass von großen Investoren oder der Regierung in London keine Hilfe kommen würde. Das Ergebnis ihrer Anstrengung lässt sich sehen: Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Stadt wächst und die Wirtschaft boomt. Und wie haben die Menschen in Preston das alles geschafft? Mit einer Idee, die sich Community Wealth Buliding (deutsch: gemeinschaftlicher Aufbau von Vermögen).
Community Wealth Building: Wirtschaft für die Menschen, nicht die Konzerne
Aber was ist Community Wealth Building? Grob kann man sagen, dass es ein Ansatz ist, der die Wirtschaft so gestaltet, dass sie den Menschen vor Ort dient und nicht Managern in Konzern-Zentralen oder Investoren in Steuersümpfen. Erreicht wird das in Preston vor allem über vier Prinzipien:
- Arbeiten mit dem, was da ist
- lokal produzieren und einkaufen
- gute Arbeitsbedingungen schaffen
- Wirtschaft mitgestalten
Mit dem arbeiten, was da ist
Preston wusste, dass kein Retter von Außen kommen wird, um der Stadt zu helfen. Wenn sie ihr Los ändern wollen, müssten die Menschen von Preston selbst anpacken. Deshalb war der erste Schritt zu schauen, wie die Wirtschaft der Stadt zu diesem Zeitpunkt aufgestellt war.
Zwar haben viele Unternehmen Preston verlassen, doch gab es auch Institutionen, die noch in der Stadt waren und auch bleiben würden. Dazu zählten die lokale Universität, eine Wohnungs-Genossenschaft, die Pensionskasse, das städtische Krankenhaus und die lokale Verwaltung. Diese Institutionen wurden Anker-Institution genannt, weil sie in der Stadt fest verankert waren und diese nicht verlassen würden.
Diese Anker-Institutionen gaben jährliche viele Millionen aus. Das Krankenhaus braucht täglich frisches Essen und Wäsche, die Wohnungs-Genossenschaft braucht Material und Leute, die die Häuser instand halten, die lokale Verwaltung Schreibmaterial und Möbel. Die Liste lässt sich lange fortsetzen. Diese Ausgaben schaute sich die Stadtregierung an. Das Ergebnis: Diese Institutionen kauften kaum in Preston ein. Nur rund 5 Prozent der Ausgaben wurden in der eigenen Stadt getätigt. Der Rest des Geldes floss in andere Teile des Landes und der Welt.
Lokal produzieren, lokal einkaufen
Um die Wirtschaft Prestons anzukurbeln, mussten diese Anker-Institutionen überredet werden, mehr Geld in der eigenen Stadt auszugeben. Da sie alle ein Interesse daran hatten, dass es der Stadt gut geht, waren alle Institutionen bereit, mehr lokal einzukaufen. Das Ergebnis davon war, dass die Auftragsbücher der lokalen Unternehmen voller wurden. Dadurch konnten diese Unternehmen neue Leute einstellen. Nun hatten mehr Menschen eine Arbeit und mehr Geld in der Tasche, das sie wieder ausgeben konnten. Das kurbelte die lokale Wirtschaft weiter an.
Dort, wo die gestiegene Nachfrage der Anker-Institutionen nicht von bestehenden Unternehmen erfüllt werden konnte, wurden neue gegründet. Die Universität von Preston unterstützte bei den Neugründungen mit ihrem Know-how.
Wirtschaft mitbestimmen
Auch bei der Gründungen von neuen Unternehmen gab es einen Plan. Was nicht passieren sollte, ist, dass alle Gewinne in der Tasche des Chefs landen und die Arbeiter nichts mitzureden haben. Die Menschen in Preston sollten selbst bestimmen, wie sie die Wirtschaft ihrer Stadt gestalten wollen und auch die Früchte ihrer eignen Arbeit ernten. Die Lösung dafür: Genossenschaften!
Die Universität unterstützte die Menschen Prestons dabei, Genossenschaften zu gründen, bei denen sie selbst bestimmen können, wie gearbeitet wird und was mit den Gewinnen gemacht wird. Das stärke die Mitbestimmung in der Stadt und führte dazu, dass die erwirtschafteten Gewinne in den Taschen der Arbeiter landete und nicht auf Konten von Investoren in Steuersümpfen. Die Genossenschaften hatten aber noch einen weiteren positiven Effekt: Weil die Arbeiter in ihrem Unternehmen selbst bestimmen, werden ihre Arbeitsplätze nicht in Billiglohn-Länder auslagert.
Ein Lohn, von dem man Leben kann
Wichtig war den Menschen in Preston auch: Jeder soll von seinem Lohn leben können. Was bringt es in einer Genossenschaft oder einer der Anker-Institutionen zu arbeiten, wenn das Geld nicht zum Leben reicht? Deshalb beschlossen die meisten lokalen Institutionen, Unternehmen und Genossenschaften einen Lohn zu zahlen, der über dem Mindestlohn liegt und von dem man gut leben kann. Da die Menschen jetzt mehr Geld in der Tasche haben, konnten sie auch mehr konsumieren und die lokale Wirtschaft wuchs weiter.
Gleichzeitig wurde aber auch viel Geld in die Hand genommen, um die Arbeiter der Stadt gut auszubilden. Die Universität der Stadt bot Ausbildungen und Beratungen an und auch andere Anker-Institutionen wie die lokale Verwaltung und die Wohnungs-Genossenschaft investierten stärker in die Aus- und Weiterbildung der lokalen Arbeitskräfte.
Das Preston Modell als Erfolgsmodell
Die vier Prinzipien von Preston wirkten stark zusammen. Die Anker-Institutionen schauten bei ihrem Einkaufen nicht nur darauf, dass lokal produziert wurde, sondern auch, dass die Unternehmen ihre Arbeitskräfte gut bezahlten und mitbestimmen lassen. Zwar konnte nicht alles lokal produziert und besorgt werden, aber der Anteil der Ausgaben der Anker-Institutionen in der eigenen Stadt stieg stark an. Als das Projekt Community Wealth Building 2012 startet, waren es 5 Prozent. 2016 waren es mit 18 Prozent mehr als dreimal so viel!
Das war nicht das Einzige, dass sich in Preston verbessert hatte. Von 2014 bis 2017 konnte die Arbeitslosigkeit halbiert werden. Mit 3,1 Prozent lag sie unter dem landesweiten Durchschnitt von 4,6 Prozent. Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt war so erfolgreich, dass sie zur aufstrebensten Stadt des Landes wurde und in Lebensqualität die Hauptstadt London überholte.
Soziales Wirtschaften: Weltweiter Trend
Der Erfolg Prestons hat für Aufsehen gesorgt und zur Nachahmung ermuntert. Heute gibt es 20 weitere Städte und Gemeinden, die auch den Ansatz des Community Wealth Buildings anwenden. Dieser Ansatz ist aber nicht aus dem Nichts entstanden, sondern hat seine Wurzeln in der USA, in der ehemaligen Industrie-Metropole Cleveland. Ähnlich wie Preston wanderten in Cleveland Industrie-Unternehmen in Billiglohn-Länder aus. Das Ergebnis war eine brachliegende Wirtschaft und eine zerfallende Stadt. Durch einen regionalen Wirtschaftsplan und der Gründung von Genossenschaften gelang Cleveland aber der wirtschaftliche Aufschwung.
Cleveland wiederum bekam seine Inspiration aus der baskischen Kleinstadt Mondragón. Dort hatte der spanische Bürgerkrieg die lokale Wirtschaft zerstört. Unter der Anleitung des linken Pfarrers José María Arizmendiarrieta wurden eine technische Hochschule und mehrere Genossenschaften in der Kleinstadt gegründet. Heute ist Mondragón die größte Genossenschaft der Welt mit Niederlassungen in 31 verschiedenen Ländern und über 80.000 Mitarbeitern. Der ganze Genossenschafts-Bund wird von den Arbeitern demokratische geführt und ist in ihrem Eigentum.