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Die Privatisierung von Energienetzen birgt erhebliche Risiken für die Allgemeinheit. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass der Verkauf staatlicher Infrastruktur zu steigenden Energiepreisen und Jobverlusten geführt hat. Dennoch stellt WKO-Chef und ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer eine weitere Privatisierung der Energienetze in den Raum. Das könnte dazu führen, dass Österreich Kontrolle verliert, was die Versorgungssicherheit und den Ausbau erneuerbarer Energien gefährden würde.
Kühlschrank, Handyakku, Herdplatte: All das benötigt Strom. Dieser Strom gelangt durch mehrere Schritte zu den privaten Haushalten in Österreich. Zuerst wird der Strom in Kraftwerken erzeugt. Die Kraftwerke können verschiedene Energiequellen nutzen: fossile Brennstoffe, wie Kohle oder Gas oder erneuerbare Energien, wie Windkraft-, Wasserkraft- oder Solaranlagen. Nach der Erzeugung wird der Strom über ein sogenanntes Höchstspannungsnetz transportiert. So gelangt er von den außerhalb liegenden Kraftwerken zu den besiedelten Regionen. Hier wird der Strom in regionalen Umspannwerken mithilfe von Niederspannungsnetzen und Stromkabeln auf die Gebäude verteilt. Dann wird der Kühlschrank kalt, der Herd heiß und das Handy lädt.
Das Stromnetz bildet gemeinsam mit dem Gasnetz und dem Fernwärmenetz das Energienetz eines Landes. Energienetze sind entscheidend für die sichere Energieversorgung der privaten Haushalte und für die Industrie. Krisen, wie die Klimakrise oder Kriege, beeinflussen die Energiezufuhr. Daher ist es vor allem in Krisenzeiten wichtig, dass das Energienetz stabil ist. Ansonsten kann die Energieversorgung nicht sichergestellt werden und die Energiepreise für die Verbraucher:innen können steigen.
Privatisierung in Österreich: Energienetz ist teilweise in Besitz von privaten Unternehmen
In Österreich sind die Energienetze teilweise privatisiert. Das bedeutet, es gibt neben Unternehmen, die in staatlicher Hand liegen, börsennotierte Unternehmen, an denen in- und ausländische Investor:innen Anteile halten. Das größte Unternehmen für die Stromversorgung in Österreich ist die Verbund AG. Diese ist seit 1988 an der Börse Wien notiert. Die Republik Österreich besitzt 51 Prozent der Aktien und ist somit größter Anteilseigner. Weitere 30 Prozent gehören den Landesbetreibern. Der Rest teilt sich auf kleinere Anteilseigner:innen auf.
Die Verbund AG ist zwar der größte Energieversorger Österreichs, doch das Energienetz selbst wird zu großen Teilen von der Austrian Power Grid (APG) betrieben. Die APG wiederum gehört zu 100 Prozent dem Verbund. Seit der “Liberalisierung des Energiemarktes” in der EU müssen Stromerzeuger und Netzbetreiber voneinander getrennt sein und dürfen nicht vom selben Unternehmen betrieben werden. Ein weiteres Beispiel dafür wären die Wiener Netze (stellt die Infrastruktur bereit) und Wien Energie (erzeugt den Strom).
Gerade im Energiesektor ist es hilfreich, wenn der Staat eine Mehrheit an der Unternehmensbeteiligung hat. Denn dadurch ist es weitaus einfacher, die Energiewende hin zu einer klimafreundlichen Energiegewinnung anzukurbeln. Österreich reguliert zudem mit vielen Vorschriften den Energiemarkt und versucht so die Energieversorgung sicherzustellen.
Großbritannien zeigt: Privatisierung führt zu höheren Preisen und Jobverlusten
Die konservative Politikerin Margaret Thatcher hat in den 1980ern eine Privatisierungswelle in Großbritannien angestoßen, die dazu führte, dass letztendlich alle Energieunternehmen komplett privatisiert wurden. Die Privatisierung vom Energiesektor solle die Unternehmen effizienter machen und die Produktivität steigern. Rückblickend hat das zu erheblichen Problemen geführt: 60 Prozent der Arbeitsplätze im Energiesektor gingen in den 1990er Jahren verloren, da die Unternehmen Personal abbauen und “effizienter” arbeiten wollten. Zudem sind in Krisenzeiten, zuletzt seit der Energiekrise 2021, die Preise für die Verbraucher:innen massiv angestiegen – gleichzeitig verzeichneten die größten Energieunternehmen Rekordgewinne. Das Strom- und Gasunternehmen National Grid hat 2021 beispielsweise Rekorddividenden von 1,4 Milliarden Pfund an die Aktieninhaber:innen ausgezahlt und das Mineralölunternehmen BP hat seinen Profit im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr auf 7 Milliarden fast verdreifachen können. Zudem wurden seit der Privatisierung viele kleinere Anbieter verdrängt, da sie nicht mit der milliardenschweren Konkurrenz mithalten konnten.
Die britische Regierung hat 2022 damit begonnen, Teile des Energiesektors wieder zu verstaatlichen, um der gescheiterten Privatisierung entgegenzuwirken. Beispielsweise ist die Abteilung Electric System Operator des privaten Energieunternehmens National Grid jetzt wieder in staatlicher Hand. Im Sommer 2024 kündigte die britische Labour-Partei darüber hinaus an, ein Staatsunternehmen für umweltfreundliche Energieversorgung zu gründen. 8,3 Milliarden Pfund will die Regierung so in staatseigene Windparks investieren.
ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef bringt weitere Privatisierung von Energienetzen ins Spiel
Wenn sich die Republik Österreich komplett aus der Energieversorgung heraushalten würde und die Energienetze vollständig privatisiert wären, hätte das weitreichende Folgen für die Endverbraucher:innen: z.B. schlechtere Versorgung und langsamere Energiewende.
Dennoch stellt der WKO-Chef und ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer in einem Interview eine weitere Privatisierung des Energienetzes von Österreich in den Raum:
“Die Frage ist aber: Muss das die öffentliche Hand alleine schultern oder kann es von privater Seite finanziert werden? Es geht darum, die Regulatorik zu ändern, zu ermöglichen, dass Versicherungen oder betriebliche Vorsorge- oder Pensionskassen in Infrastrukturprojekte investieren.”
Konkret geht es um den Ausbau der Energienetze. Diese sollten nach Mahrer von privaten Unternehmen finanziert werden. Das Problem: Privatunternehmen könnten so mehr Einfluss gewinnen und Österreich würde sich abhängig machen. Der Staat könnte die Kontrolle über die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten und die Energiewende verlieren. Dadurch wäre der Ausbau von erneuerbaren Energien gefährdet oder würde sich zumindest verzögern.
Zudem entgehen Österreich dadurch natürlich auch Gelder. Wenn der Staat die meisten Anteile eines Unternehmens hält, hat er auch Anspruch auf den Großteil der Gewinne, die das Unternehmen ausschüttet.