Für 24 Stunden stehen alle Räder bei der Bahn still. Zu wenig ist man auf die Forderungen der Arbeiter und Angestellten eingegangen, und eine Einigung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern war nicht möglich. Die Eisenbahnergewerkschaft macht ihre Drohung wahr. Sie streiken. Auch in anderen Branchen wird so hart verhandelt wie schon seit Jahren nicht – Rekord-inflationsbedingt. Streiks haben in der Geschichte tatsächlich oft funktioniert und haben eine Strahlkraft über die eigen Branche hinaus.
1. Die Unternehmen können Streiks verhindern, wenn sie gute Löhne zahlen.
Die Gehälter in Eisenbahnbranche sind in den letzten Jahren nur moderat gestiegen. Gerade in den Bereichen Catering, also Bordservice, Reinigung oder aber auch bei den Mitarbeiter:innen in Nachtzügen sind die Löhne niedrig. Gerade einmal 1.350 Euro netto verdient man zum Teil in diesen Berufen. Auch der Lohn für die Verschieber:innen – ein anspruchsvoller und mitunter gefährlicher Job – liegt bei knapp 1.600 Euro netto. Angesichts der höchsten Inflationsrate seit 70 Jahren entspricht das aktuelle Angebot der Arbeitgeber einem Reallohnverlust, so die Gewerkschaft: Rechnet man die Teuerung mit ein, bleibt den Arbeiter:innen und Angestellten also sogar bis zu 2 Prozent weniger übrig als zuvor. Für Personen mit niedrigen Gehältern wird das Leben so kaum mehr leistbar sein.
Anders an der Spitze der großen Unternehmen. Das Einkommen für die Vorstände der ÖBB-Holding beispielsweise zählt laut Rechnungshof mit 580.000 bis 700.000 Euro jährlich zu den bestbezahltesten Vorstandsjobs in staatsnahen Betrieben. Manche Vorstände haben zwar öffentlichkeitswirksam während der Corona-Pandemie auf ein Monatsgehalt verzichtet, bei den zentralen Forderungen der Gewerkschaft hat sich die Arbeitgeberseite allerdings kaum bewegt – und hätte so den Streik verhindern können.
Denn die Gewerkschaft ist der Wirtschaftskammer bereits deutlich entgegengekommen und hat etwa ihre Forderung der monatlichen Erhöhung von 500 auf 400 Euro reduziert. Doch auch das will die Arbeitgeberseite nicht akzeptieren. Sie bieten hingegen statt 200 nun 208 Euro pro Monat mehr sowie Einmalzahlungen, die weder nachhaltig gegen die aktuelle Teuerung helfen, noch den nachweislich erfolgten Produktivitätszugewinnen entsprechen. “Das ist eine Demütigung den Arbeitnehmern gegenüber”, so Helmut Woisetschläger, vida-OÖ-Vorsitzender.
“Die Verantwortung für diesen Warnstreik, für die Auswirkungen auf die Pendlerinnen und Pendler sowie für den wirtschaftlichen Schaden liegt damit ausschließlich bei der Wirtschaftskammer. Hätte sie sich in den letzten zwei Monaten bewegt und ernsthaft verhandelt, hätten wir schon lange einen Abschluss“, sagt Gerhard Tauchner, Leiter des Verhandlungsteams der vida.
2. Streiks ist das mächtigste Instrument, das Arbeitnehmer in der Hand haben
Selten zeigt sich so klar, wo und von wem in der Wirtschaft der Wert geschaffen wird – nicht in den Vorstandsetagen und bei den Aktionärsversammlungen, sondern dort, wie die Menschen arbeiten. Ohne Arbeit kein Umsatz und kein Gewinn. Deshalb ist der Streik seit Beginn der Arbeiter:innenbewegung das wirksamste Mittel der Beschäftigten, um ihre Interessen durchzusetzen – wenn die Arbeitgeber sie anders nicht hören wollen.
Das Wort “Streik” geht auf die Arbeitsniederlegung der englischen Kohleträgerinnen und Seeleute zurück, die die Segel stichen (“strike”), um die Schiffe zu stoppen, mit denen die Kohle transportiert wurde. Sie forderten mehr Lohn und bekamen ihn. Der Begriff “Streik” und die Arbeitsniederlegung breitete sich schnell von den Londoner Docks aus, denn die gesamte arbeitende Bevölkerung Englands litt unter den gleichen hohen Nahrungsmittelpreisen.
Den ersten Streiks wurde gewaltsam begegnet: Mit Schlagstöcken, Kerker und aufsehenerregenden Hinrichtungen. Heute ist das Recht auf Streik ein Grundrecht, das in Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben ist. Dort findet sich auch das Recht, Gewerkschaften zu gründen, ihnen beizutreten und bei wichtigen Konflikten Kampfmaßnahmen setzen zu dürfen. In Österreich ist das Streikrecht in der Verfassung geschützt. All das ist nicht selbstverständlich, sondern schwer von Arbeiter:innen der vergangenen Jahrhunderte erkämpft.
3. Solidarität ist in unserer aller Interesse
Der Widerstand von Arbeitnehmer:innen gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen hat oft Vorbildwirkung für andere Branchen – und das wissen die Unternehmer. Mit gewonnenen Arbeitskämpfen und höheren Löhnen in einem Sektor steigt auch der Druck auf andere Branchen, bessere Löhne zu zahlen. Gerade in Zeiten mit einer Inflationsrate von 11 Prozent, in denen die Lebensstandards für fast alle Beschäftigten sinken – und einige nicht wissen, ob sie ihre Wohnung heizen oder das Geld für Lebensmittel ausgeben wollen.Arbeitgeber nutzen ihre Medienmacht und versuchen in ihrer Pressearbeit sofort, die Streikenden in einem schlechten darzustellen – um den Zuspruch aus der restlichen Bevölkerung so klein wie möglich zu halten. Sonst könnten sich Pfleger:innen und Handelsangestellte noch ein Beispiel an den Eisenbahner:innen nehmen.
In den letzten 30 Jahren sind die Löhne im Vergleich zu den Gewinnen geschrumpft. Das passiert, wenn sich das Machtgleichgewicht von den Beschäftigten stärker zu den Unternehmen und ihren Eigentümern verlagert, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Weil die Arbeitnehmer:innen schlechter organisiert sind und niedrigere Löhne in Kauf nehmen (müssen). Als die gewerkschaftliche Organisation in den 60er und 70er Jahren hoch war, lag das reale Lohnwachstum noch bei 3 Prozent. In den letzten Jahren ist es auf 0,75 Prozent gesunken. In Österreich arbeiten eine halbe Million Menschen im Niedriglohnsektor, einige davon auch bei der Bahn als Reinigungskräfte oder in den Nachtzügen (siehe 1). 290.000 Menschen in Österreich gelten sogar als Working poor, sie arbeiten, können aber von ihrem Lohn nicht leben.
Es braucht manchmal Arbeitskämpfe für sozialen Fortschritt und bessere Arbeitsplätze. Freiwillig zahlen die meisten Arbeitgeber keine gerechten Löhne. Das Streiks wirken, kann man aktuell in Großbritannien beobachten. Dort erhielt das Bodenpersonal am Flughafen eine Lohnerhöhung um 13 Prozent, nachdem sie gedroht hatten, den Flughafen Heathrow lahmzulegen. Die Hafenarbeiter in Liverpool erkämpften sich in einer Reihe von Streiks im Herbst eine Lohnerhöhung von bis zu 18,5 Prozent.
4. Niedrige Lohnniveaus und schlechte Arbeitsbedingungen führen zu Arbeitskräftemangel
In der Pflege, der Gastronomie und eben auch bei der Bahn – viele Branchen tun sich derzeit schwer, Personal zu finden. So hatte am Anfang des Jahres die Bahn 500 Lokführer-Stellen ausgeschrieben, insgesamt gibt es aber in der ÖBB allerdings nur 4.500 Lokführer. Jede zehnte Stelle war demnach unbesetzt. Insgesamt werden bis 2030 in der ÖBB bis zu 20.000 Stellen nachzubesetzen sein, rechnet die Gewerkschaft Vida vor.
Dabei ist der Schienenverkehr nicht die am stärksten betroffene Branche. Gerade in der Gastronomie beschweren sich die Unternehmer immer wieder über einen Fachkräftemangel. Das Problem suchen diese in Generationenfragen oder einem vermeintlich zu gut ausgebauten Sozialsystem – Hauptsache nicht bei sich. Eine Recherche des Standards zeigt allerdings, dass das Problem durchaus hausgemacht ist. Sie kommt zum Schluss, dass das gebotene Entgelt bei der Mehrheit der ausgeschriebenen Vollzeitstellen in Tourismus, Gastronomie und Verkauf unter 2.000 Euro brutto. In der Gastronomie und im Tourismus oft noch dazu bei geteilten Diensten. Also zum Beispiel von 6 bis 10 Frühstücksdienst und von 18 bis 22 Uhr Abenddienst.
Es sind aber gute Löhne und Arbeitsbedingungen, die den Arbeitgeber attraktiv machen, und die Personalsuche beschleunigen. So konnten innovative Unternehmer in der Gastro- aber auch in anderen Branchen, zeigen, dass bei einem verbesserten Angebot, wie zum Beispiel einer Viertagewoche, gute und qualifizierte Bewerbungen bekommen haben.