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Tiktok im Zensur-Skandal: Video-Plattform verbirgt Behinderte und Homosexuelle

Die chinesische Video-Plattform Tiktok macht nicht nur Milliarden-Umsätze, sondern auch immer wieder Negativschlagzeilen. Der neueste Skandal dreht sich um den Algorithmus. Die App zeigt Videos von Menschen mit Behinderung, dicken Menschen und Mitgliedern der LGBTIQ-Community seltener an. Die Begründung des Konzerns: fehlgeleitete Richtlinien gegen Mobbing.

Tiktok sagt den meisten Menschen über 30 wahrscheinlich wenig. Für all jene, auf die das zutrifft, sei erklärt: Tiktok ist die coole kleine Schwester von den Zwillingen Snapchat und Instagram, die Enkelin von Facebook und somit das Urenkerl von Studi-VZ.

Wie kürzlich bekannt wurde, benachteiligt die Plattform die Beiträge von Menschen mit Behinderung, Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen oder die der LGBTIQ-Community angehören.

Tiktok – Was ist denn das?

Alle Leserinnen und Leser, die sich zurecht als digital natives bezeichnen und mit der Plattform vertraut sind, dürfen gerne einen Absatz weiterspringen. Allen anderen sei verraten: Wir mussten auch erst recherchieren, was auf Tiktok passiert.

Anfangs ging es vor allem darum, zu bereitgestellten Audio-Clips Lipsynch- und Tanzvideos (ja, so wie damals beim Kiddy Contest) zwischen zehn und 60 Sekunden zu drehen und direkt hochzuladen. Für die ganze Welt sichtbar. Aus dem einfachen Konzept ist ein Netzwerk an Stars im Teenager-Alter geworden, die tanzen, Sketche spielen und sich gegenseitig zu Challenges herausfordern – und denen begeistert Millionen von Usern weltweit folgen. So wurden die schwäbischen Zwillinge Lisa und Lena zu Superstars. Die Teenager stellten anfangs Videos online, in denen sie auf einem Feldweg oder im Kinderzimmer tanzen. Mittlerweile haben sie auf Social Media 46 Mio. Follower, moderieren Shows vor tausenden Menschen und im deutschen Fernsehen und entwerfen ihre eigene Kollektion mit der Schuhmarke Buffalo. Mittlerweile haben die eineiigen Zwillinge ihren Tiktok-Account gelöscht. Sicherheitsbedenken und ihre Vorbildfunktion hätten sie zu dem Schritt bewegt.

Vom Tiktok Skandal unberührt: Lisa und Lena

Zwischen Schnappschüssen, Charity und Haute Couture: Lisa und Lena pflegen ihr Image als am Boden gebliebene Jugendliche von nebenan.

Vor zwei Jahren übernahm Tiktok den Plattform-Konkurrenten Musical.ly und erobert seither trotz – oder gerade wegen der medial wirksamen Skandale – unaufhaltsam den Markt. Der Schlüssel zum Erfolg: Schnelllebigkeit, einfache Anwendbarkeit – und ein massives Vermarktungskonzept. Weltstars, Marken-Konzerne und PolitikerInnen – wie zuletzt Norbert Hofer, der mit Hundeohren-Filter für Spott sorgte – haben die App längst für sich entdeckt.

Behinderte, dicke und queere Menschen verborgen

Tiktok schreibt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Moderationsregeln vor. Diese sind vordergründig da, um Tiktoker vor Mobbing und Hass im Netz zu schützen. Doch die Mittel, um dieses hehre Ziel zu erreichen, sind mehr als fragwürdig. Anstatt Menschen, die auf sozialen Medien leicht zur Zielscheibe von Mobbing werden, zu schützen, wurden ihre Beiträge schlicht verborgen.

Netzpolitk.org machte die Vorgehensweise publik. Sie sprachen mit einer Quelle innerhalb des Unternehmens über den Skandal:

Die Plattform hatte ihre Moderator:innen angewiesen, Videos von Menschen mit Behinderungen zu markieren und in ihrer Reichweite zu begrenzen. Auch queere und dicke Menschen landeten auf einer Liste von „Besonderen Nutzer:innen“, deren Videos grundsätzlich als Mobbing-Risiko betrachtet und in der Reichweite gedeckelt wurden – ungeachtet des Inhaltes.

„Übergriffig und ausgrenzend“

Als bevormundend, übergriffig und ausgrenzend bezeichnet der Constantin Grosch von der Organisation AbilityWatch das Vorgehen gegenüber der Seite: „Die hier aufgeführte Regelung überführt dieses Verhalten in neue digitale Plattformen, in denen aus falsch verstandener und unnötiger Fürsorge die Sichtbarkeit von behinderten Menschen bewusst reduziert wird.“

Auch auf der Plattform selbst ließen die Reaktionen der Community auf den Skandal nicht lange auf sich warten.

 

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Nicht der erste Skandal

Es ist nicht das erste Mal, dass Tiktok in internationale Kritik gerät. Neben Vorwürfen der Überwachung und Spionage, die sogar die US-Regierung auf den Plan rief, machen sich vor allem Erwachsene Sorgen um den Jugendschutz. Denn die Plattform schafft es nicht, die jugendlichen UserInnen vor sexualisierten Übergriffen zu schützen. Außerdem geraten die auf der Plattform so beliebten Challenges immer wieder unter mediale Kritik. Unter Hashtags wie #waistchallenge oder #collarbonechallenge zeigen junge Frauen, dass die so dünn sind, dass ihre Taille nicht breiter ist als ein Blatt Papier oder dass eine Rolle Münzen auf ihr Schlüsselbein passt. Die #tidepodchallenge verursachte weltweit Vergiftungsfälle, als Jugendliche – aus welchem Grund auch immer – auf Waschmittelkapseln bissen.

Politische Inhalte bei Tiktok unerwünscht

Nun werfen vermehrt Userinnen und User dem Konzern Zensur vor. Im jüngsten Skandal-Fall geht es um eine junge US-Amerikanerin. Feroza Aziz lud ein Video hoch, das auf den ersten Blick wirkt wie das harmlose Makeup-Tutorial eines Teenagers. Doch bereits nach den ersten zehn Sekunden nimmt das Video eine Wendung: Die junge Frau thematisiert nicht etwa Mascara oder Rouge, sondern die Situation der Uiguren, einer muslimischen Minderheit in China. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die chinesische Regierung „Umerziehungslager“ unterhält, in denen Mitglieder der muslimischen Minderheit interniert werden. Die kritischen Töne scheinen Tiktok als chinesischem Konzern mit internationalen Investoren nicht zu gefallen – Aziz‘ Account wird gesperrt. Allerdings ist der offizielle Grund ein anderes Video.

This isn’t the first time tik tok has tried to silence me about the Uyghur genocide. Here is the first video I made on my previous account that was deleted and taken down. Tik tok, I deserve answers. What are you trying to hide? I have reached out and haven’t gotten any answers. pic.twitter.com/7xEjkBRzv8

Weiterführende Links

Interview mit der Gründerin der Beratungsstelle Gegen Hass im Netz

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