Interview

„Wir sind heute weniger innovativ als vor 20 Jahren“ – Datenmonopole schaden unserer Gesellschaft

Digitalen Superstarfirmen ist es in den vergangenen zwanzig Jahren gelungen, die meisten und relevantesten Daten auf ihren Servern zu zentralisieren. Diese Datenmonopole mögen zwar gut für die Aktionäre von Facebook, Amazon und Google sein, aber sie sind schlecht für den Fortschritt. Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger fordern in ihrem Buch „Machtmaschinen“ eine Datennutz-Grundverordnung und wollen den Datenschutz nicht individuell, sondern als staatliche Aufgabe sehen. Wir haben mit Viktor Mayer-Schönberger geredet und erfahren, wie freie Daten zu Innovation und Fortschritt führen.

Kontrast.at: Zur Begriffsklärung am Anfang: Sie sprechen von Machtmaschinen im Daten-Kapitalismus – wovon reden wir da eigentlich?

Viktor Mayer-Schönberger: Wir reden von großen Unternehmen, die nicht nur enorm viele Daten sammeln, sondern diese Daten auch entsprechend nutzen können. Dieses Datenmonopol führt zu wirtschaftlichen Vorteilen und erlaubt es den Digitalkonzernen große Profite zu erwirtschaften. Während kleine mittelständische Unternehmen und Start-ups keine Chance mehr haben, obwohl sie gute Ideen haben. Es fehlt ihnen der Zugang zu den Daten, die sie brauchen würden.

Kontrast.at: Das Datenmonopol schafft also ein „selbstverstärkendes Feedback“?

Mayer-Schönberger: Die großen Digitalkonzerne, die sammeln Daten, nutzen die Daten wieder, erzeugen damit bessere Produkte und Dienstleistungen, die wieder mehr Kunden anlocken, die wieder mehr Daten geben, die wieder genutzt werden, um neue Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Das ist alles eine Art Feedback-Schleife. Das macht die Konzerne immer größer, mächtiger, aber vernichtet den Wettbewerb. Und damit auch die Innovation.

Kontrast.at: Jedes Jahr kommt ein neues iPhone auf den Markt. Jedes sei besser als sein Vorgänger. Es wirkt als würde der technische Fortschritt boomen. Sie behaupten in Ihrem Buch, dass eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Warum?

 

 

 

Wir leben entgegen der landläufigen Ansicht in innovationsarmen Zeiten. Selbst im Silicon Valley wird heute weniger innovativ gearbeitet als noch vor 15 oder 20 Jahren. Und es ist ganz klar, warum. Die großen Oligopolisten des Digitalzeitalters haben überhaupt keinen Anreiz mehr innovativ zu sein – sie fahren ohnehin die Monopol-Renditen ein.

Das heißt, die machen ihre satten Gewinne auf Kosten der Konsumentinnen und Konsumenten und lösen ihrerseits das Versprechen von Innovation nicht mehr ein. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass die Mär oder die Geschichte des hoch innovativen Kapitalismus spätestens jetzt im Daten-Zeitalter nicht mehr stimmt. Der Daten-Kapitalismus schafft die Innovationskraft der Unternehmen selbst ab.

Das führt dazu, dass es überhaupt nur mehr in Richtung konzentrierter Macht, konzentrierter großer Unternehmen gehen kann, die immer mehr Aspekte, immer mehr Sektoren der Wirtschaft beherrschen.

Kontrast.at: Es gibt das berühmte Buch von Mariana Mazzucato, in dem sie erklärt, dass eigentlich die öffentliche Hand Innovation antreibt. Können sie dem zustimmen?

Ja und nein. Mazzucato ist da ein bisschen großspurig. Das zentrale Problem hier ist – wir wissen nicht, wo Innovation passiert. Manchmal passiert es in staatlichen Forschungslaboratorien wie dem National Institute of Health, die das Corona-Vakzin in Wirklichkeit entwickelt haben. Manchmal passiert es in kleinen Start-ups, die genau die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt haben.

Innovation ist in uns allen drinnen. Die Chance, neue Ideen zu haben, haben wir alle. Und es ist irrsinnig schwierig vorherzusagen, wo das passiert.

Und das macht eben auch klassische Innovations- und Industriepolitik so schwierig. Aber eines ist klar – Innovation wird sich nicht konzentrieren auf wenige große, mächtige Unternehmen, weil nicht nur dort gute Ideen entstehen. Wenn aber nur dort gute Ideen umgesetzt werden können, dann bedeutet es, dass Zehntausende andere gute Ideen nicht umgesetzt werden – ihr wirtschaftlicher, aber vor allem auch gesellschaftlicher Mehrwert geht verloren. Und das bedeutet, dass wir ärmer in unserer Gesellschaft sind, als wir es sein müssten.

Wir müssen Innovation fördern, wo immer sie passiert.

Da dürfen wir nicht dogmatisch sein. Innovation kann in Privatunternehmen und gleichzeitig in öffentlich geförderten oder in öffentlich verwalteten Forschungseinrichtungen passieren.

Viele Dogmatiker behaupten, alles muss privatwirtschaftlich organisiert werden. Nach dem Motto: Lassen wir die Datenkraken doch groß werden. Die sind doch auch mit guten Dienstleistungen groß geworden. Das stimmt, ja. Aber das war vor 15 Jahren. Seit 15 Jahren ist eben weniger Innovationskraft da, weil viele andere Ideen nicht mehr verwirklicht werden können.

Kontrast.at: Sie haben das COVID-Vakzin angesprochen …

Im Dezember 2019 wurde das Virus zum ersten Mal isoliert und sequenziert. Die Sequenzierung hat zwei, drei Wochen gedauert. Da haben mehrere Forschungsteams dran gearbeitet. Als man die komplette Sequenz gehabt hat, wurde diese Sequenz im Internet frei zugänglich für alle Forscherinnen und Forscher auf der Welt gemacht.

Innerhalb von 72 Stunden haben Forscherinnen und Forscher am National Institute of Health, also an der staatlich finanzierten Forschungseinrichtung für das Gesundheitswesen in den Vereinigten Staaten, den Kern des Vakzins entwickelt.

Der stammt also nicht von Moderna, und der stammt nicht von der Firma Pfizer oder von anderen Pharmariesen, sondern der stammt vom National Institute of Health, finanziert durch Steuergelder. Das ist wichtig, dass man sich das vorstellt, denn in der Diskussion wird heute oft gesagt, die großen Pharmariesen hätten uns in der Pandemie vor Schlimmerem bewahrt. Die haben schon mitgeholfen. Aber der Kern, der Keim, die Urzelle des Vakzins, stammt aus staatlicher Forschung.

Kontrast.at: Die Veröffentlichung von Daten treibt also die Innovation voran?

Wenn wir die Daten freier fließen lassen, wenn wir es offener angehen, dann können wir Innovation in vielen Bereichen fördern. Im Gesundheitsbereich, im klassischen naturwissenschaftlichen Bereich, aber vor allem auch bei sozialen Innovationen. Diese Innovation ist die „Dividende der Offenheit“. Dieser Innovationsschub ist möglich.

Ein Beispiel: Das amerikanische Militär hat aufgrund eines Befehls des Präsidenten das GPS-System offen machen müssen. Heute verwenden wir GPS überall – unsere Smartphones, unsere Navis im Auto, aber auch große Logistik-Ketten könnten ohne GPS nicht funktionieren. Flugzeuge könnten nicht so sicher ans Ziel kommen. Die Innovation ist der Offenheit geschuldet.

Kontrast.at: GPS hat ja viele Folgeerfindungen und Datenanwendungen geschaffen, die vorher undenkbar waren.

Genau! Und GPS hat enorm viel erreicht. GPS hat nicht nur Google Maps möglich gemacht, sondern GPS hat vor allem auch Open Maps möglich gemacht, weil wir hier die Welt einfach vermessen können. Wenn wir immer noch mit Maßband rumlaufen müssten, dann wäre das viel schwieriger. Aber wenn wir mit einer App in unseren Smartphones herumlaufen können und damit Wegpunkte aufzeichnen können, dann lässt sich auch die Welt leichter kartographieren und diese Karten-Informationen auch öffentlich zugänglich machen. Einer der Vorteile von Open Street Maps ist eben, dass viele der Basisdaten offen zugänglich sind und z.B. im Katastrophenfall dazu dienen können, dass Katastrophenhilfe rascher und gezielter erfolgen kann.

Kontrast.at: Google und Co argumentieren: Sie haben diese Leistung geschaffen, sie haben diese Daten kreiert und gesammelt. Wie gehen Sie mit diesem Argument um?

Ich glaube, diese Behauptung, dass Google ja selber Google Maps geschaffen hat, die ist eben nur die halbe Wahrheit. Man darf nicht vergessen: Da wurden viele Daten gesammelt und diese Daten wurden auch entsprechend aufbereitet, sodass sie für uns leicht zugänglich sind. Keine Frage, das kostet Geld. Aber es ist auch richtig, dass wir alle beigetragen haben mit unseren Daten, mit unseren Daten-Spenden, die wir geliefert haben, damit Google das ist, was es heute ist. Wenn wir daran denken, dass Google heute bei Weitem die meist verbreitete Suchmaschine der Welt ist, dann ist das auch darauf zurückzuführen, dass Google sehr gut vorhersehen kann, welche Suchanfragen wir stellen oder welche Antworten wir wollen und erwarten, wenn wir eine bestimmte Suchanfrage stellen. Aber das hängt ausschließlich damit zusammen, dass sie aus unseren Milliarden Suchanfragen täglich gelernt haben. Und das war unser Beitrag, unser aller Nutzerinnen- und Nutzer-Beitrag zur Macht von Google.

Und deswegen ist es auch gerecht, darüber zu reden, wie wir jetzt diesen Informations-Mehrwert, der durch unsere Daten mitgeschaffen worden ist, gerecht verteilen.

Kontrast.at: Sie schreiben im Buch auch von selbst fahrenden Autos. Dort erklären Sie, dass die großen Datensammler natürlich einen Vorteil haben im Vergleich zu den klassischen Anbietern. Mir ist dabei Volvo eingefallen, die damals den 3-Punkte-Gurt entwickelt haben. Weil es so viel sicherer war, haben sie das Patent für alle freigegeben. Ist das Zurückhalten dieser Lerndaten, der Trainingsdaten unethisch?

Ja, ich denke, das ist richtig! Wenn große Hersteller von autonom fahrenden Fahrzeugen viele Trainingsdaten haben, sodass ihre Fahrzeuge sicherer und besser fahren und diese Trainingsdaten aber nicht mit anderen teilen, dann ist es zutiefst unethisch, weil das bedeutet, dass ja dann andere Vehikel am Markt sind, die nicht so gut fahren. Und die sind ja nicht nur für ihre eigenen Nutzerinnen und Nutzer gefährlich, sondern für den gesamten Straßenverkehr. Das heißt, auch hier ist es ganz wesentlich, dass wir verstehen, dass es einen Gemein-Nutzen gibt. Und dieser Gemein-Nutzen – der bringt mit sich, dass jene, die Daten sammeln und Daten auswerten, eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft haben, mit ihren Daten sicherzustellen, dass insgesamt der Verkehr sicherer und besser funktioniert. Insofern ist die Frage der Daten-Gerechtigkeit nicht nur eine wirtschaftliche Frage, nicht nur eine Frage der Innovation, sondern auch eine zutiefst ethische Frage. Es ist ja im Kern die Frage:

Können wir uns leisten, Informationen zurückzuhalten, dass irgendwer anders schlechte Entscheidungen trifft, weil sie oder er die Informationen nicht hat? Können wir uns in der heutigen Zeit mit den großen Herausforderungen von globaler Erwärmung, von sozialer Ungleichheit, können wir uns in dieser Zeit der großen Herausforderungen leisten, dass wir auf Informationen, die es gäbe, nicht Zugriff haben, nicht Zugang haben dazu und damit schlechtere Entscheidungen treffen? Ich denke nicht.

Kontrast.at: Sie beginnen in Ihrem Buch mit einer ein bisschen überraschenden These: Die europäische Datenschutzverordnung, die DSGVO ist Teil des Problems. Sie vertreten die These, dass sich dadurch die Position der Big Player eigentlich noch mal verfestigt hat. Was ist das Problem bei der DSGVO?

Also die DSGVO, die zementiert ja den Datenschutz auf hohem Niveau in Europa. Aber was bedeutet das in der Praxis? Es bedeutet in der Praxis, dass wir „OK“ klicken auf alles, was uns angezeigt wird, dass wir nicht die Datenschutz-Bestimmungen der einzelnen Anbieter lesen. Weil dazu bräuchten wir hunderte Stunden Zeit, die wir nicht haben. Die Realität ist, dass die gesamte Verantwortung über den Umgang mit personenbezogenen Daten in Wirklichkeit auf den Schultern der Nutzerinnen und Nutzer lastet. Das ist unglaublich. Das wäre so, als würde die Verantwortung und die Haftung für Autos im Straßenverkehr auf die Fahrerinnen und Fahrer umgewälzt werden. Als müssten wir im Lebensmittelmarkt ein Chemielabor mitnehmen, um sicherzustellen, dass die Lebensmittel dort auch genießbar sind. In keinem anderen Lebensbereich ist es so.

In allen anderen Lebensbereichen haben wir Regularien, haben wir Institutionen, haben wir Strukturen geschaffen, die sicherstellen, dass diejenigen, die den wirtschaftlichen Mehrwert, den Profit einfahren, dass die auch die Verantwortung übernehmen müssen für das, was sie an Produkten und Dienstleistungen anbieten. Nur im Bereich der personenbezogenen Informationen haben wir das nicht gemacht und feiern das auch noch als Vorteil, als progressiven Schritt. Das ist doch absurd! Das ist nichts anderes: Die DSGVO in vielerlei Hinsicht als Datenschutz-Theater! Da spielen wir uns gegenseitig vor, dass dieses Klicken auf „OK“ eine informationelle Selbstbestimmung wäre. In Wirklichkeit ist es ein formalistischer Akt, der zwischen uns und der Dienstleistung steht. Und so wird es von den meisten Menschen auch wahrgenommen.

Was wir hier brauchen, ist ein Datenschutz, der den Namen Datenschutz auch verdient, indem er die Verantwortung für die Nutzung der Daten jenen zuschreibt, die auch den Profit einfahren. Und wenn was schiefgeht, müssen die haften. Dann müssen die einstehen. Und das muss auch durchgesetzt werden, unabhängig davon, ob eine einzelne Person bereit ist, gegen Facebook oder Google in den Krieg zu ziehen. Hier braucht es staatliche Regulierung und in vielen anderen Bereichen tun wir das. Warum tun wir es nicht hier auch?

Kontrast.at: Dafür fordern Sie eine Datennutzverordnung.

Vor 50 Jahren, bei den ersten Datenschutzgesetzen hat man gesagt: Datenschutzgesetze brauchen zwei Dinge: Erstens, dass die, die die Daten nutzen, auch die Verantwortung übernehmen müssen, und zweitens: dass wir informationelle Macht-Ungleichgewichte ausgleichen müssen. Und diesen zweiten Punkt haben wir praktisch völlig vergessen. Wir haben zugelassen, dass die Großen immer größer werden. Die Datenschutzgrundverordnung, die verlangt sehr viel. Ich würde mal sagen technisch bürokratische Hürden für das Sammeln der Daten, für das erste Sammeln der Daten. Aber dann erlaubt sie die Wiederverwendung der Daten auch für andere Zwecke, wenn diese Zwecke nur statistischer Art sind.

Das führt in der Praxis dazu, dass die großen Datenkraken die Strukturen haben, die Daten zu sammeln, weil die Leute die Dienstleistungen wahrnehmen wollen und dann diese Daten zu anderen, ganz anderen Zwecken verwenden, ohne die Betroffenen zu fragen, weil das die Datenschutzgrundverordnung erlaubt. Diese Umgehung der Zweck-Widmung, die es eigentlich im Datenschutz gibt, die wurde ganz am Schluss noch in die Datenschutz-Grundverordnung hinein verhandelt. Im Übrigen von den großen Datenkraken und Daten-Lobbyisten. Und die ist jetzt drinnen. In der Praxis führt das dazu, dass die Start-ups, die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Europa, sich wahnsinnig schwertun, die Daten zu sammeln, die sie brauchen und deswegen von der Datenschutz-Grundverordnung eigentlich bestraft werden. Und die großen amerikanischen und vielleicht auch chinesischen Datenkraken von der Datenschutzgrundverordnung bevorteilt werden. Weil, wenn sie einmal die Daten gesammelt haben, können sie sie beliebig oft wiederverwenden.

Kontrast.at: Die Forderung ist dann, dass man sagt, man hat eine Datenschutzkommission.

Genau! Das Ziel muss ein Datenschutz 2.0 sein.

Dass wir Verantwortung wieder auf die Schultern jener geben, die auch den Profit einfahren und die dafür verantwortlich machen.

Das heißt in Wirklichkeit Datenschutz verstaatlichen, kollektivieren und eine staatliche Institution schaffen, die den Datenschutz auch durchsetzt, effektiv durchsetzt. Das passiert ein wenig jetzt mit den Strafen in der DSGVO. Aber das gehört noch mehr ausgebaut, so wie es in vielen anderen Bereichen schon der Fall ist. Und wir brauchen parallel dazu eine Datennutzgrundverordnung, also eine staatliche Regulierung, die sicherstellt, dass der Zugang zu den Daten viel breiter gestreut ist, um Informationsungleichgewichten entgegenzuwirken.

Kontrast.at: Sie reden auch von Datensouveränität? Sie fordern auch, dass der Staat wieder die Hoheit über die Daten bekommt. Jetzt war es historisch so, dass das nicht immer nur gut war, wenn der Staat Daten sammelt.

Man könnte sagen, dass es ein Spannungsverhältnis gibt zwischen – auf der einen Seite der Notwendigkeit, dass wir eine stärkere staatliche Rolle haben im Datenschutz und auf der anderen Seite, dass wir aber auch dem Staat gegenüber vorsichtig sein müssen. Auch der Staat kann zu mächtig werden, zu hohe informationelle Macht haben. Aber dieses Spannungsverhältnis ist ein scheinbares. Denn was wir brauchen, ist ja nicht eine zentrale staatliche Datenstelle, einen riesigen staatlichen Datenpool. Niemand verlangt das. Niemand will das – ich schon gar nicht! Sondern was ich will, ist staatliche Kontrolle.

Ich will effektive Regulierung, die auch durchgesetzt wird. Wir sagen ja auch nicht, dass dadurch, dass wir die Lebensmittelkontrolle eingeführt haben, wir nur mehr vom Staat Lebensmittel kaufen können.

Auch staatliche Regulierung und staatliche Durchsetzung dieser Regulierung braucht wieder Kontrolle. In Demokratien gibt es dafür das Parlament. Und deswegen ist es ja so wichtig, dass das Parlament wieder viel mehr Informationen bekommt und Informationen zur Verfügung hat, die normalerweise nur die Behörden, nur die staatlich exekutive Gewalt hat. Auch hier brauchen wir einen Ausgleich des Informationsungleichgewichtes. Im Übrigen gab es das schon in den ersten Datenschutzgesetzen in den 1970er-Jahren.

Kontrast.at: Man kommt bei dem Thema natürlich nicht ganz an China vorbei. Dort hat man es ja irgendwie geschafft, mit doch relativ viel Aufwand die staatsnahen Unternehmen Tencent und Alibaba so zu positionieren, wie Facebook und Google. Ist das ein Vorbild für Europa? Mit Protektionismus und staatlichen Förderungen eigene Konzerne aufzubauen?

Also wir glauben ja immer aus europäischer Perspektive, dass die chinesischen Unternehmen, die chinesischen digitalen Superstars in Wirklichkeit alle Staatsunternehmen sind, die da hier vom Staat protektioniert wurden. Das stimmt in der Form so nicht. Natürlich haben sie staatliche Zuschüsse bekommen und sind auch entsprechend staatlich durch Regulierungen oder durch Marktbeschränkungen für ausländische Unternehmen gefördert worden. Aber es sind im Wesentlichen private Unternehmen, und zwar mit gutem Grund. Die Chinesen haben in den 1990er-Jahren gesehen, dass das Silicon Valley richtig abhebt und haben sich am Kopf gegriffen und gesagt: Das brauchen wir auch.

Es kann aber auch nicht Sinn und Zweck für Europa sein, China nachzumachen, wenn China versucht, die Amerikaner nachzumachen. Wir wissen, dass das Silicon Valley in Wirklichkeit nicht die Zukunft ist. Dann wären wir ja wieder ewig in der Vergangenheit verhaftet. Nein, wir in Europa brauchen unsere eigene Strategie und die muss nach vorwärts gerichtet sein. Und die europäische Strategie muss sich auf das beziehen, was in Europa und für Europa wesentlich war in den letzten 200 Jahren. Was gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet hat und das war die Aufklärung, das war die Bemächtigung der Menschen und zwar die Bemächtigung der Menschen, unter anderem mit der Zugänglichkeit von Information. Mehr zu wissen hat dazu geführt für viele Menschen, dass sie bemächtigt waren, weil Information eben oft Macht bedeutet hat. Das hat dazu geführt, dass die Macht der Eliten gebrochen wurde.

Das ist Demokratie. Demokratie ist Umverteilung von Macht und das müssen wir begreifen. Wir haben hier Machtkonzentrationen zugelassen, und wir müssen diese Macht umverteilen.

Und die Zukunft von Europa kann nicht sein, neue europäische Machtkonzentrationen zu schaffen. Denn dann haben wir nur den amerikanischen Feind durch einen europäischen Feind ersetzt. Einen Feind der Demokratie. Das nutzt uns ja nichts. Wir brauchen in Wirklichkeit Dezentralisierung, wir brauchen Bemächtigung der Menschen, und zwar nicht der Einzelnen, die das dann nicht ausüben können, sondern Bemächtigung der Menschen als Gemeinschaft. Deswegen die Förderung der Parlamente und deswegen die Zerschlagung von monopolkapitalistischen Strukturen.

„Machtmaschinen: Warum Datenmonopole unsere Zukunft gefährden und wie wir sie brechen“ ist im Oktober 2020 erschienen.

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