Das Filmen und Fotografieren von Polizisten soll in Frankreich strafbar werden, sieht das neue “globale Sicherheitsgesetz” vor, das Ende November im Parlament verabschiedet wurde. Gleichzeitig wird die Drohnenüberwachung eingeführt. Sogar der UN-Menschenrechtsrat hat in einem öffentlichen Brief an Frankreich gemahnt, dass das Filmen von Polizeieinsätzen wesentlich für die Informationsfreiheit in einer Demokratie sei.
Videos von Polizisten im Einsatz, das hat in Frankreich 2018 schon mal eine kleine Staatskrise ausgelöst, die Präsident Emmanuel Macron fast das Amt gekostet hätte. Es war der 1. Mai, Place de la République: der Journalist Taha Bouafs nahm mit seinem Handy auf, wie ein Polizist auf Demonstranten schlägt, sie herumschleift und zu Boden bringt. Ein Fall von vielen, denn die Polizeigewalt hat in Frankreich in den letzten Jahren ziemliche Ausmaße angenommen.
Später stellt sich jedoch heraus, dass der gewalttätige Mann gar kein Polizist ist. Er heißt Alexandre Benalla und ist enger Mitarbeiter des Präsidenten, der auf Dienstreisen unter anderem für dessen Sicherheit zuständig ist. Ein Mann aus Macrons engsten Kreisen trägt also unbefugt einen Polizeihelm und eine Polizei-Armbinde und attackiert Teilnehmer einer Demonstration. Und es stellt sich heraus, dass er außerdem unbefugt im Besitz von Waffen ist. Benalla wird zunächst für nur zwei Wochen von seinem Dienst suspendiert, das präsidentielle Sekretariat hält es aber nicht für nötig, den Fall juristisch aufzuklären.
Die “Affaire Benalla” wird zur Staatskrise
Ab hier wird der Skandal immer größer. Die „Affaire Benalla“ wird zur Staatskrise. Der Regierung wird willentliche Vertuschung vorgeworfen, Tonaufnahmen werden geleakt, der Präsident verliert an Glaubwürdigkeit. „Sollen sie mich doch holen kommen!“, sagte er trotzig bei einem Umtrunk nach einer Parlamentssitzung. Die trotzige Äußerung gegenüber der öffentlichen Kritik an ihm und seinen Vertrauten ging viral. Die Gelbwestenbewegung, die wenige Monate später entsteht, greift das Statement auf: „Macron, on vient te chercher chez toi“, „Macron, wir kommen dich holen“ wird eines der bekanntesten Lieder auf Demonstrationen jeglicher Art.
Dass die französische Regierung nun das Filmen von Polizisten per Gesetz verbieten und mit einem Jahr Gefängnis oder der Zahlung von 45.000 Euro bestrafen will, kann nicht ohne den Kontext der „Benalla-Affaire“ betrachtet werden. Eine Staatskrise, die eben durch nichts anderes ausgelöst wurde als durch das Filmen eines – vermeintlichen – Polizisten.
Das Abbilden von Polizisten wird verboten
Bestraft wird nun nicht nur das Fotografieren und Filmen, sondern auch „jegliche Verbreitung“ solchen Videomaterials auf „jeglichem Träger“ und auf allen Plattformen. Auch solche Bilder, auf denen nicht das Gesicht der Beamtinnen, sondern nur die Dienstnummer oder sonst ein Erkennungszeichen zu sehen ist, dürfen nicht aufgenommen und verbreitet werden. Das Verbot betrifft auch das Filmen sonstiger Einsatzkräfte wie etwa das Militär – das seit dem Ausnahmezustand in den Straßen patrouilliert. Im Januar 2021 wird das Gesetz vom Senat geprüft, doch die Zustimmung im Parlament am Dienstag, 24. November, war offensichtlich: Mit 388 Ja-Stimmen gegen 104 Nein-Stimmen wurde der Gesetzentwurf angenommen.
Das Gesetz „für globale Sicherheit“ ist ein Einschnitt. Zuvor hatte der UN-Menschenrechtsrat in einem öffentlichen Brief an Frankreich gemahnt, dass die Veröffentlichung und das Filmen von Polizeieinsätzen wesentlich für die Informationsfreiheit in einer Demokratie seien, und als „demokratische Kontrolle der öffentlichen Institutionen“ legitim seien.
Bilder von Demonstrantinnen werden live in die Polizeizentrale übertragen
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International übt scharfe Kritik. Und 160 Nichtregierungsorganisationen wenden sich in einem offenen Brief gegen das Gesetz. Ihnen geht es nicht nur um das Filmen von Einsatzkräften. Sie kritisieren auch, dass die Polizei künftig mit Kameras am Körper ausgestattet werden soll, deren Bilder nach dem neuen Gesetz live an eine Zentrale übertragen werden dürfen. Außerdem sieht das Gesetz die Überwachung von Städten und Demonstrationen mit Drohnen vor, ohne, dass die Menschen vorher davon in Kenntnis gesetzt werden müssen.
Sogar die LREM-Abgeordnete Nathalie Sarles, also Parteigenossin des Präsidenten Emmanuel Macron, befand, dass Frankreich sich mit diesem Gesetz auf den Weg zu einem „autoritären Staat“ begebe.
Werden Live-Übertragungen von Demonstrationen verboten?
Trotzdem verteidigte Innenminister Gérald Darmanin das Gesetz. Es erreiche ein „Gleichgewicht zwischen der Informationsfreiheit und dem Schutz der Ordnungskräfte“, befand er. Die Pressefreiheit sei weiterhin garantiert, weil Journalisten ihre Aufnahmen ja verpixeln könnten, befand der Innenminister. Bei Live-Übertragungen ist das allerdings nicht möglich. Journalistinnen und Bürger befürchten vor allem, dass sie von Anfang an am Filmen gehindert werden können.
Darmanin hatte sich bereit erklärt, am Montagabend ein Bündnis aus journalistischen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zu empfangen und ihre Anliegen anzuhören. Das Treffen verlief offenbar so konfliktreich, dass die Teilnehmer sich geschlossen dazu entschieden, die Verhandlung abzubrechen.
Es ging außerdem ein Video viral, in dem der Innenminister polizeiliche Maßnahmen gegen einen Journalisten am verteidigte. Journalisten seien selbst schuld, wenn ihnen das passiere, sie hätten sich für die Berichterstattung über eine Demonstration zuerst bei der Polizei anzumelden. Das ist faktisch falsch. Etliche namhafte französische Medien, von linken bis zum konservativ rechten Spektrum, veröffentlichten eine gemeinsames Kommuniqué, mit dem Titel „Wir werden unsere Journalisten nicht für Demonstrationen akkreditieren.“ Der Innenminister nahm seine Aussage später zurück.
Journalistinnen und Bürger werden Opfer der Polizeigewalt
An den Tagen vor der Verabschiedung des Gesetzes klagten mehrere Journalistinnen über Gewalt bei der Berichterstattung auf Demonstrationen. So etwa Remy Buisine von der Internetplattform Brut, der am Montagabend von mehreren Polizeibeamten in eine Ecke geworfen und getreten wird. „Das ist das dritte Mal, dass ihr mich heute schlagt“, hört man ihn später in einem Video rufen. Die Antwort eines Polizeibeamten: „Aller guten Dinge sind drei.“
Doch bei dem „Gesetz für globale Sicherheit“ geht es nicht nur um die Pressefreiheit. Vor allem ganz normale Teilnehmerinnen von Demonstrationen sind auf akute Art und Weise betroffen. In den letzten zwei Jahren wurden etliche Gewaltübergriffe der Polizei nur dokumentiert, weil Passanten oder Demonstranten solche Vorgänge mit dem Handy filmten. Mehr als zwanzig Menschen verloren ihr Auge, weil sie von Gummigeschossen getroffen wurden. Und das, obwohl diese im Kopfbereich nicht angewendet werden dürfen. Andere Menschen verloren eine Hand oder andere Körperteile nach dem Einsatz von GLI-4-Granaten, die in allen anderen EU-Ländern als Kriegswaffe gelten und bei Demonstrationen nicht eingesetzt werden. Außerhalb von Demonstrationen ist insbesondere rassistische Polizeigewalt ein Problem.
Am Donnerstag wurde der umstrittene Passus im Gesetz aufgrund des öffentlichen Drucks um einen Zusatz erweitert: Das Filmen ist demnach dann verboten, wenn es „mit der offensichtlichen Absicht passiert, der psychischen oder physischen Unversehrtheit von Beamten zu schaden.“ Journalistinnen bemängeln, dass hier immer noch zu viel Raum für Auslegung bleibe, was sich im Zweifelsfall gegen sie richte. Es liegt auf der Hand, dass ein Polizist Schaden davon trägt, wenn er bei unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gefilmt wird – einfach deshalb, weil sein Verhalten unrechtmäßig ist. Auch dem falschen Polizisten Alexandre Benalla hat das erwähnte Video seine Karriere gekostet.
Letztes Wochenende waren in Paris trotz Pandemie über 20.000 Menschen auf der Straße. Weitere Großdemonstrationen sind für dieses Wochenende angekündigt.