Immer mehr Menschen können sich den Einkauf in einem normalen Supermarkt nicht mehr leisten und gehen in einen Sozialmarkt. Die Märkte verzeichneten in den letzten zwei Monaten um 35 % mehr KundInnen. Das Ziel: ein volles Einkaufswagerl um 10 Euro. All das, während die Lebensmittelspenden zurückgehen und gleichzeitig die Kosten für das Betreiben der Märkte steigen. Wir haben mit Georg Jelenko, Leiter der Sozialmärkte beim Samariter-Bund, gesprochen. Über eine in Armut abrutschende Mittelschicht und den Versuch, steigende Preise und Einsamkeit abzufedern.
Kontrast.at: Herr Jelenko, als wir im April bei Ihnen im Sozialmarkt in Wien-Meidling waren, haben Sie uns erzählt, dass täglich etwa 300 Kunden und Kundinnen in den Markt kommen. Nun sind zwei Monate Krise samt Inflation vergangen. Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Georg Jelenko: Die wohl sichtbarste Veränderung ist, dass wir noch mehr Kunden und Kundinnen verzeichnen. Jetzt, im zweiten Quartal des Jahres, haben wir etwa 35 Prozent als noch im ersten Quartal. Wir merken, dass nun auch Menschen aus der unteren Mittelschicht in die Armutsgefährdung hineinrutschen. Die kämpfen sehr.
Ich verstehe nicht, warum man das zulässt. Ich meine, wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung ansieht, weiß man ja, dass so etwas passiert. Dass mehr und mehr Leute ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können. Warum reagiert man dann nicht entsprechend? Wenn Preise um 10 Prozent steigen, müssen auch Löhne, Gehälter und Sozialleistungen entsprechend angepasst werden. Das wäre doch logisch!
Einkaufen ist für viele schlicht logistische Schwerarbeit geworden. Immer mehr weichen in Sozialmärkte aus. Aber in anderen Bereichen gibt es keine Ausweichmöglichkeiten, oder?
Jelenko: Das stimmt. Die Menschen versuchen, sich von einer Rabatt-Aktion zur nächsten zu hantieren. Oder sie kaufen Ware, die qualitativ schlechter ist als früher – billiger gemacht. Oder sie kommen zu uns. Wir schauen natürlich, dass die Ware gut ist. Wir sind von Lebensmittelspenden abhängig. Wir fahren unsere Partner ab, kontrollieren und sortieren die Ware.
Bei uns geht es aber nicht nur um die Weitergabe von Lebensmitteln. Wir versuchen auch, Menschen in anderen Belangen zu helfen. Wir wollen ein Ort sein, wo man der Einsamkeit entkommt und wo man auch um Hilfe fragen kann, zum Beispiel bei Behörden-Fragen. Deshalb kommt regelmäßig eine Sozialarbeiterin zu uns und steht für Fragen zur Verfügung. Und sie erzählt, dass es Menschen gerade sehr schlecht geht. Sie versuchen, bei sich zu kürzen, wo es nur geht, weil das Geld nicht mehr reicht. Sie versuchen, Strom zu sparen. Kleidung ist second hand. Kinder bekommen keine Geburtstagsgeschenke mehr – und an Weihnachten werden sie nicht wissen, wie sie heizen und Weihnachtsgeschenke finanzieren sollen. Es ist bei so vielen eine extreme Not. Und sie haben keine Möglichkeit, ihr zu entkommen. Für vieles gibt es keine billigeren Alternativen.
Reichen die Lebensmittelspenden aus, um den Bedarf zu decken?
Jelenko: Wir merken, dass wir jetzt noch mehr Arbeit in die Logistik stecken müssen. Wir haben ja so viele zusätzliche Kunden und Kundinnen. Darum brauchen wir noch mehr Partner, die uns Lebensmittel, Hygieneprodukte und anderes spenden. Wir merken, dass das nämlich weniger wird. Diese klassische „Ware-vom-Vortag“-Lebensmittel sind um etwa ein Fünftel zurückgegangen, weil Supermärkte oder Bäckereien sie selbst billiger verkaufen. Und für Supermarkt-Kunden, die sparen müssen, ist das eben auch eine Möglichkeit, günstiger an Lebensmittel zu kommen. Grundsätzlich ist es ja gut, dass es solche vergünstigte Ware gibt, weil es Lebensmittelverschwendung verhindert. Aber uns fehlt die Ware für die Sozialmärkte.
Wie steht es um andere Einrichtungen? Zum Beispiel die Lebensmittel-Drehscheibe?
Jelenko: Bei der Drehscheibe funktioniert es ja so, dass wir übrig gebliebene Gerichte aus Großküchen oder nach Caterings bei Veranstaltungen übrig gebliebene Portionen sammeln und so rasch wie möglich weitergeben. Den Transport erledigen wir mit einem Elektro-Kühlfahrzeug. Damit das noch verbraucht werden kann und nicht im Müll landet. Das hat vor uns noch keiner so gemacht, das ist sehr aufwendig. Wir machen das jetzt das zweite Jahr. Auch hier brauchen wir mehr Partner, aber da sind wir dran. Wir haben auch Kontakt zu Spitälern – weil dort ja auch Großküchen sind, die warme Mahlzeiten zubereiten und wo auch immer etwas übrig bleibt. Mit diesem Projekt haben wir auch den Nachhaltigkeits-Preis der Stadt Wien erhalten.
Sie meinten vorhin, dass sie jetzt mehr logistische Arbeit haben und mehr Partner suchen und anfahren müssen, um an Ware zu kommen. Was bedeuten da die gestiegenen Sprit-Preise?
Jelenko: Die spüren wir sehr, ja. Bei Strom – zum Beispiel bei den Kühlregalen – und beim Benzin sind die Preise nach oben geschossen. Früher oder später werden wir darüber nachdenken müssen, die Preise in den Sozialmärkten auch anzupassen. Auch wenn wir so lange wie möglich versuchen werden, die Preise zu behalten, wie sie sind.
Was uns sehr helfen würde, wäre, an große Warenspenden zu kommen. Das würde uns Arbeit und Geld sparen.
Wir suchen auch immer wieder Ehrenamtliche, die mithelfen. Denn das viele Waren-Zusammensuchen, das Kontrollieren, Verteilen und Sortieren ist viel, viel Arbeit. Da brauchen wir viele Hände, die mithelfen.
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