Schottland, Island und Neuseeland gründeten die Gruppe der „Regierungen der Wohlfahrtswirtschaft“. Sie wollen den Fortschritt ihrer Wirtschaft nicht mehr nur anhand des BIPs messen. Stattdessen sind Faktoren wie die psychische Gesundheit ihrer Bevölkerung, der Zugang zu Wohnraum und Grünflächen sowie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in das Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik gerückt.
Jedes Jahr im Herbst hört man die Wirtschaftszahlen in den Nachrichten. Es wird berichtet, wie sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) entwickelt hat. Je nachdem wie schnell die Wirtschaft gewachsen ist, klopfen wir uns entweder auf die Schulter oder malen die nächste Krise an die Wand. Das BIP stellt die Gesamtleistung unserer Wirtschaft dar – es sagt aber nichts über die Qualität von Jobs aus, oder wie sich unsere Produktion auf den Planeten auswirkt.
Warum Zigaretten gut für’s BIP sind und öffentlicher Verkehr schlecht
Ganz im Gegenteil sogar: Wird in einem Jahr viel geraucht und Alkohol getrunken, dann wird das positiv im BIP erfasst. Entscheidet sich jemand dafür, kein neues Auto anzuschaffen und stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, dann wirkt sich das negativ auf das BIP aus.
Unbezahlte Pflegearbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten bei der Feuerwehr oder als Fußballtrainer einer Jugendmannschaft – all das findet sich gar nicht in der Berechnung. Das BIP bewertet überhaupt nicht, wie lebenswert eine Gesellschaft tatsächlich ist. Trotzdem wird es als zentrales Kriterium für den Erfolg eines Landes gesehen. Die Ministerpräsidentinnen von Schottland, Island und Neuseeland wollten das ändern und gründeten die Gruppe der „Wellbeeing Economy Governments“ (WeGo).
Drei Frauen für eine gerechte Gesellschaft
Auffallend ist, dass alle drei Länder mit Jacinda Ardern (Neuseeland), Nicola Sturgeon (Schottland) und Katrín Jakobsdóttir (Island) eine Frau an der Spitze der Regierung haben. Die Antwort auf die Frage, ob diese Tatsache auch etwas mit der aktuellen Politik der drei Länder zu tun haben könnte, lies die schottische Regierungschefin bei einem “Ted Talk” absichtlich offen. Die drei Regierungen vertreten jedenfalls die:
„Vision einer Gesellschaft, die auch auf Wohlergehen und nicht nur auf Wohlstand beruht,“ so Nicola Sturgeon.
In den wirtschaftspolitischen Strategien der Länder finden sich deshalb Faktoren wie Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen (z. B. was das Einkommen oder Führungspositionen angeht) oder eine intakte Natur. Die sind ihnen ebenso wichtig wie die Wettbewerbsfähigkeit oder die Produktivität. Das ist auch als Antwort der Regierung auf gesellschaftliche Veränderungen wie die Digitalisierung und Automatisierung oder den Klimawandel zu verstehen. Denn so Sturgeon:
„Wir wissen von ökonomischen Umbrüchen der Vergangenheit, dass es, wenn wir nicht aufpassen, mehr Verlierer als Gewinner geben wird“.
Schottland begann schon 2007
Kein Wunder, dass Sturgeon in ihren Vortrag so enthusiastisch über das Projekt spricht – ihr Land war das erste, dass den Fokus der Wirtschaftspolitik verschob. Schon 2007 präsentierte das Land den „Nationalen Leistungsrahmen“, in dem zahlreiche Indikatoren betrachtet werden, mit denen man das Wohlergehen der Bevölkerung messen kann. Darin finden sich Punkte wie: der Zugang zu Wohnraum und Grünflächen, die Einkommensverteilung und die Fröhlichkeit von Kindern.
Island ist Vorreiter bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen
Auf welche Indikatoren besonderes Wert gelegt wird, unterscheidet sich dadurch auch stark von Land zu Land. So gilt Island als Vorbild in der Frauenpolitik. Es verabschiedete das fortschrittlichste Gesetz für Lohngleichheit in der ganzen Welt. Dort ist es schlicht verboten, Männer und Frauen für gleichwertige Arbeit unterschiedlich zu bezahlen. Das Gesetz zeigt Wirkung: Mit rund 5 % ist der bereinigte Gender Pay Gap in Island besonders klein. Außerdem ist Gleichberechtigung in Island ein eigenes Schulfach.
Neuseeland erstellte weltweit erstes „Wohlbefindens-Budget”
Neuseeland ging gleich soweit die Parameter für den jährlichen Budgetplan komplett neu zu definieren. Der Inselstaat erstellte damit das erste „Wohlbefindens-Budget“. Alle Ausgaben werden danach bewertet, ob sie zum Erreichen der folgenden fünf Ziele beitragen:
- die Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bürger
- die Reduzierung von Kinderarmut
- die Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen der europäischstämmigen Bevölkerungsmehrheit und den Maori-Ureinwohnern
- das Weiterentwickeln des Landes im digitalen Zeitalter
- die Transformation der Wirtschaft in eine emissionsarme, nachhaltige Zukunft.
Erste Maßnahmen wie der Aufbau eines neuen psychiatrischen Dienstes oder die Eindämmung von Immobilien-Spekulation zeigen schon Wirkung. Mit diesem Haushaltsplan löste die sozialdemokratische Premierministerin das Wahl-Versprechen ein, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz auf dieselbe Stufe zu stellen wie wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum.
Welches Land passt (leider) nicht in diese Reihe: Schottland – Island – Neuseeland – Deutschland? – Es wäre höchste Zeit und wie die Vorbilder zeigen auch möglich, mit der Transformation hin zu einem zukunftsfähigen Lebens- und Wirtschaftsstil ernst zu machen! Immerhin kann man das schon studieren: http://www.zukunft.mba
Die Gemeinwohl-Ökonomie, statt grenzenloser KAPITALismus ist die Zukunft: https://www.ecogood.org/de/