Die Telefone im AMS laufen seit Montag heiß: 16.000 Arbeitnehmer wurden am Montag gekündigt, viele sogar schon am Wochenende übers Telefon. Anstatt ihre Angestellten in Kurzarbeit zu schicken, hagelte es überstürzte Kündigungen von Arbeitgebern, die aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen von einem Tag auf den anderen ohne Umsätze dastehen. Denn für unzählige kleine Unternehmen greifen die Hilfspakete der Regierung zu spät. Andere halten die Betriebe offen und zwingen ihre Arbeitnehmer, in die Arbeit zu kommen.
Es ist die Stunde für Österreichs Steuerberater. Denn die Maßnahmen der Regierung brachen über die Betriebe herein und die wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Soll man nun den Betrieb aufrechterhalten oder nicht? Was ist mit jenen Betrieben, die nicht systemrelevant sind, ihre Mitarbeiter aber nicht in Homeoffice schicken können?
Die Folge: Bereits am Wochenende hagelte es tausende Kündigungen. AMS, Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer versuchen in einem nie da gewesenen gemeinsamen Kraftakt, Arbeitnehmer und Unternehmer zu beruhigen: Man möge bitte nichts unterschreiben und niemanden überstürzt entlassen. Es gebe Lösungen.
Notfallsfonds kommt für viele zu späte
4 Milliarden hat die Regierung für den Corona-Notfallfonds vorgesehen. Das wurde bereits am Wochenende beschlossen. Die Hilfen sind wichtig, haben doch bereits zehntausende Beschäftigte, vor allem aus Tourismus und Gastronomie, ihre Arbeit verloren. Weitere Kündigungswellen drohen gerade in kleinen Unternehmen, denn sie werden nicht auf die Hilfe aus dem Notfallfonds warten können.
Was sie brauchen, sind fixe Entschädigungszahlungen. Diese hätte es im Epidemiegesetz auch gegeben, doch ausgerechnet die hat die Regierung mit der Einrichtung ihres Notfallfonds gestrichen.
Da liegt der Haken beim schwarz-grünen Vorschlag zur Krisenbewältigung: Für die 190.000 Unternehmen mit unter 20 Mitarbeitern fehlt nun jede Akuthilfe. Das betrifft fast 300.000 Beschäftigte.
Garantierte Entschädigungszahlungen gestrichen
Konkret geht es um den wichtigsten Schutzschirm für kleine Betriebe: Paragraf 32 Absatz 4 (4) aus dem Epidemiegesetz. Dort ist vorgesehen, dass jedem Unternehmen der Verdienstentgang, der durch das Schließen entstanden ist, ersetzt wird – die Unternehmen können somit ihre Löhne weiter zahlen und müssen ihre Angestellten nicht kündigen. Konkret heißt es dort:
Diese Regelung hätte schnell abgewickelt werden können und würde Kaffeehaus-Betreiber, Blumenhändler oder Papiergeschäfte, die per Verordnung geschlossen sind, sofort unterstützen. Auch Friseurinnen, Nagelstudios und Fahrrad-Werkstätten könnten so getrost für die Dauer der Verordnungen ihre Pforten schließen – und so die Maßnahmen der Regierung unterstützen, ohne ihre Angestellten zu kündigen.
Entschädigung nur für große Unternehmen, die auf Geld warten können
Das kann sich der österreichische Staat nicht leisten, argumentiert die Regierung. Stattdessen sollen die Hilfen über eine Abbaubeteiligungsgesellschaft (ABBAG) abgewickelt werden. Diese muss aber überhaupt erst noch geschaffen werden. Sobald die Verordnung steht, können Unternehmen hier Unterstützung beantragen: In welchem Umfang und wie rasch die dann genehmigt wird, steht noch nicht fest. Wann die ersten Gelder fließen, verschweigt Finanzminister Blümel bisher.
“Das wird schon zwei Monate dauern, bis die Unternehmen zu ihrem Geld kommen – und wie hoch das dann ist, steht noch nicht fest”, sagen Experten.
Für Friseursalons, Manufakturen oder kleine Konditoreien ist es völlig unmöglich, solange durchzukommen. Aufgrund der Verordnungen sind ihre Einnahmen von einem Tag auf den anderen auf null gefallen. Damit konnte kein kleines und auch kein großes Unternehmen rechnen.
Für große Unternehmen ist das leichter, sie konnten mehr Rücklagen bilden und haben besseren Zugang zu Krediten. So können so die Zeit, bis sie das Geld von der ABBAG fließt, überbrücken. Doch kleine Unternehmen stehen bereits seit Montag vor Zahlungsschwierigkeiten: Ihr Umsatz ist eingebrochen, sie müssen Miete, Betriebskosten und Löhne zahlen – und das können sie nicht. Das wird zu großflächigen Kündigungen und Insolvenzen führen, mit hunderttausend Arbeitslosen.
“Wenn wir nicht wollen, dass jedes Blumengeschäft, jede Friseurin und jede Papierhandlung zusperrt, müssen diese kleinen Unternehmen bis zu 25 Mitarbeitern sofort laut Epidemiegesetz entschädigt werden”, sagt SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter.
Verwirrung um “freiwillige” Schließungen
Montag Früh herrschte nicht nur beim AMS Chaos. Unzählige Betroffene posten im Internet, dass sie zwar gerne dem Aufruf der Regierung, zu Hause zu bleiben, gefolgt wären – ihre Chefs haben sie aber in die Arbeit berufen.
Das Problem: Die Betriebe entscheiden selbst, wie sie mit der Verordnung umgehen. Es gibt außerhalb der Gastronomie keine Vorgaben dazu, wer schließen muss, und welche Sicherheitsmaßnahmen man an den Arbeitsplätzen treffen muss.
Bereits Montag forderte deswegen die Gewerkschaft für Bau und Holz eine Verordnung zur Schließung aller Baustellen. Denn gerade dort gibt es oft schlicht keine Möglichkeit, Abstand zu wahren und sich regelmäßig die Hände zu waschen.
“Viele Bautätigkeiten dienen nicht zur Aufrechterhaltung unseres Systems und müssen daher sofort eingestellt werden. Dort, wo diese zur Aufrechterhaltung der notwendigen Infrastruktur unbedingt notwendig sind, werden die Bausozialpartner eine Lösung finden”, so Gewerkschaftsvorsitzender Josef Muchitsch.
Wer darf der Aufforderung des Kanzlers folgen?
Das gilt auch für weitere Betriebe, die trotz der mahnenden Worte des ÖVP-Kanzlers Kurz noch mehr oder weniger ihren normalen Betrieb aufrechterhalten. Denn dieser hat schlicht appelliert, man solle es den Angestellten “ermöglichen, von zu Hause aus zu arbeiten, wo möglich”.
Auch die Bitte an die Arbeitnehmer, man solle nur zur Arbeit gehen, “wenn das notwendig ist”, verpufft so – denn es sind nicht die Arbeitnehmer, die entscheiden können, ob es “notwendig” ist, zur Arbeit zu erscheinen.
Nicht wenige haben sich deswegen seit Montag Urlaub genommen, weil Chefs es nicht einsehen wollten – so können sie trotzdem der Aufforderung der Regierung nachzukommen. Diese muss nun dringend Rechtssicherheit schaffen. Denn wie sich die Lage momentan gestaltet, könnten die Ausgangsbeschränkungen anhalten.
Es ist nach wie vor den Chefs der Unternehmen überlassen, wie sie damit umgehen. Bei denen herrscht vielerorts ebenso Unsicherheit. Denn auch für sie gibt es keine klaren Ansagen, keine Rechtssicherheit.
Das gilt auch für die Hilfestellungen des Bundes. Denn Maßnahmen wie der Erlass von Pacht und Miete können nur jene in Anspruch nehmen, die laut Verordnung schließen müssen. Alle anderen, die den Aufruf des Kanzlers ernst nehmen und ihre Angestellten in Kurzarbeit schicken, um sie zu schützen und die Ausbreitung des Virus einzudämmen, schauen dabei durch die Finger. Gleiches gilt für jene, die ihr Geschäft zwar offen lassen wollen, aufgrund der Ausgangsbeschränkungen aber schlicht keine Einnahmen mehr haben und deswegen mehr oder weniger freiwillig geschlossen haben.
Es braucht dringend Rechtssicherheit
Was passiert also mit jenen, die wirtschaftlich gezwungen sind, den Betrieb einzustellen? Und jenen, die das aus Verantwortung ihren Mitarbeitern und der Gesellschaft gegenüber tun? Müssen sich die Arbeitnehmer, die wissen, dass ihre Arbeit aufschiebbar wäre – deren Chefs das aber anders sehen – weiterhin Urlaub nehmen? Wie lange müssen jene, die in nicht systemkritischen Branchen arbeiten, weiterhin zur Arbeit gehen, um ihren Job nicht zu verlieren, obwohl sie wissen, dass sie sich und andere gefährden? Wie lange werden sie noch Verständnis zeigen für Einschränkungen, die nur ihr Privatleben gelten, während sie täglich zur Arbeit müssen?
Sie alle brauchen dringend Sicherheit. Sonst wird das Verständnis für die Quarantäne-Maßnahmen bald enden.