Rund 1,8 Billionen Euro: Für die EU-Länder ging es am vergangenen Wochenende beim EU-Gipfeltreffen um richtig viel Geld. Verhandelt wurden der EU-Haushalt und die Coronahilfen. Deutschland und Frankreich kämpften für eine europäische Bewältigung der Krise. Österreich und die Niederlande verfolgten vor allem ihre eigenen Interessen und führten die Allianz der Blockierer an.
Die 27 Staats- und Regierungschefs trafen sich erstmals seit dem Corona-Ausbruch wieder persönlich zum Gipfeltreffen in Brüssel. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gab schon zuvor kund, dass sie sehr schwere Verhandlungen erwarte. Und so kam es dann auch.
Ursprünglich waren 750 Milliarden als Corona-Hilfspaket geplant: Aufgeteilt auf 500 Mrd. Zuschüsse – also Geld, das die Staaten nicht zurückzahlen müssen – und 250 Mrd. Kredite. Dadurch sollte europaweit das Gesundheitssystem gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen werden und Europa gemeinsam aus der Krise kommen. „Je höher die Zuschüsse, umso besser ist es“, sagte der Ökonom und ehemalige Leiter der Euro-Gruppe Thomas Wieser bereits im Vorfeld.
Nun einigte man sich auf 390 Mrd. als Zuschüsse. Und dafür musste massiv gekürzt werden:
Die EU-Pläne wurden beim Klimaschutz und der Gesundheit zusammengestutzt. Das Militärbudget wächst und Österreichs Beiträge steigen von 2,9 auf 5,4 Milliarden Euro.
Harte Verhandlungen
Das Verhandlungswochenende geht als zweitlängstes Gipfeltreffen in die EU-Geschichte ein. Denn einig war man sich lange nicht. Vor allem die “Sparsamen Fünf” bildeten eine Allianz der Blockierer. Allen voran Österreich, zusammen mit den Niederlanden, gefolgt von Schweden, Dänemark und zuletzt auch Finnland. Mit den eigenen Forderungen waren diese aber keineswegs sparsam.
Nachdem man diesen Ländern zur Kompromiss-Findung bereits am Samstag mit hohen Rabattnachlässen entgegen kam, stellten sie aber überraschend weitere Forderungen. Speziell die Niederlande wünschten sich ein umstrittenes Veto als Mitspracherecht zur Gelder-Verwendung der anderen Staaten.
Die Nerven lagen zwischenzeitlich blank. Der französische Präsident Emmanuel Macron soll etwa einmal ordentlich auf den Tisch geschlagen haben. Er warf dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz Selbstinszenierung vor:
„Er hört nicht zu, kümmert sich [nur] um seine Presse und basta.“
Strategie von Kurz geht nicht auf
Betrachtet man das Endergebnis des EU-Gipfeltreffens, scheint die österreichische Strategie zudem ein Lose-Lose darzustellen. Also ein Verlust auf jeder Ebene. Denn es gibt wegen der Geizigen Fünf weniger Geld für wichtige europäische Investitionen – etwa auch im Gesundheitsbereich. Und das schadet Österreich und ganz Europa. Gleichzeitig aber wurden höhere Beitragszahlungen Österreichs für das EU-Budget vereinbart, wogegen sich Kurz doch zuvor entschieden stellte.
Der Wert der EU ist nicht durch Beitragszahlungen messbar
Denn Österreich ist EU-Nettozahler: Es zahlt also mehr in den EU-Haushalt ein, als es rein rechnerisch rausbekommt. Tatsächlich aber profitiert Österreich auch massiv durch einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt.
Zum Beispiel etwa durch gesteigerte Kaufkraft, da ein Großteil der hiesigen Exporte nach Italien geht. Oder aber durch Tourismus. Und auch durch wichtige Zulieferbetriebe, ohne die man die eigene Industrie nicht am Laufen halten könnte. Kontrast.at hat berichtet.
Auch der in Wien forschende Yale-Historiker Timothy Snider warnt: “Wenn ich nur herunterbreche, wie viel ich hier bezahlen muss und wie viel dort, dann verliere ich den Sinn für den Wert des Ganzen [Anm.: der EU]. Niemand zahlt da in ein schwarzes Loch.”
Für jeden Euro, den Österreich zwischen 2007 und 2013 in die EU investierte, bekommt es 2023 2,74 Euro zurück. Das entspricht einer Rendite von 274 %. “Die EU-Beitragssummen sind die besten denkbaren Investitionen überhaupt”, so Snyder weiter.
Und mit Hinblick auf Österreich merkt er an: “Man stelle sich Österreich einmal ohne Europa vor. Natürlich ist Österreich erst 1995 der EU beigetreten, aber allein der Umstand, von der EU umgeben zu sein, hat die österreichische Demokratie gepusht. Und die Wirtschaft. Wenn es die EU nicht gäbe, würden Länder wie Österreich, Portugal oder die Niederlande schlechter dastehen: Sie wären kleiner, ärmer. Das Leben der Menschen wäre ein anderes.”
Statt Kaputtsparen ist also vor allem Weitsicht gefragt: Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das erkannt. Denn auch die EU-Mitglieder Deutschland und Frankreich sind sogenannte Nettozahler.
Statt Budget-Kürzungen kämpften sie bei diesem EU-Gipfeltreffen aber für eine gesamteuropäische Lösung und das Fortbestehen der Union. Während Staatschefs wie Sebastian Kurz gemeinsam mit Mark Rutte nur um den unmittelbaren eigenen Vorteil kämpften.
Das Duo Kurz-Rutte will Corona-Gelder verzögern
Bereits vor dem Gipfeltreffen erklärte der niederländische Regierungschef Mark Rutte etwa, die EU-Länder müssten geforderte Reformen bereits vor Erhalt der Corona-Gelder umgesetzt haben. Eine absurde Forderung in Anbetracht der aktuellen Notsituation. Denn vor allem der Faktor Zeit ist für das Fließen der Corona-Gelder essentiell.
Zudem forderte Rutte ein niedrigeres Gesamt-Budget für die EU und höhere Rabatte für sein eigenes Land. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz teilt Ruttes Ansichten und forderte während des Gipfels ebenfalls mehr bei den Rabatten für die Nettozahler.
Für den Erhalt der nationaler Rabatte mussten im Gegenzug aber zahlreiche Abstriche in zentralen Zukunftsbereichen wie dem Klimaschutz oder der Gesundheits- und Forschungspolitik gemacht werden.
So wird ganz konkret im Gesundheitsbereich gespart – obwohl wir in einer globalen Pandemie stecken. Und auch bei den Folgen der Klimakrise: Es wird weniger Geld für “strukturell schwache Regionen” geben. Das heißt ganz konkret auch: Weniger Geld für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Regionen, die etwa den Kohle-Ausstieg schaffen müssen.
“Dass gerade der Umfang der Zuschüsse noch zusammengestrichen worden ist, ist besonders bedauerlich. Sie wären die ökonomisch sinnvollste Waffe gegen die Wirtschaftskrise”, kritisiert SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament Andreas Schieder.
Die Niederlande geben sich selbstbewusst
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte wies die Forderungen seines niederländischen Amtskollegen Rutte während des Gipfels scharf zurück. Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbàn kritisierte Rutte: “Der Niederländer ist der wirklich verantwortliche Mann für das ganze Durcheinander, das wir haben.”
Doch wer ist der neue Kurz’sche Verbündete Mark Rutte eigentlich? Der 53-jähriger Niederländer kommt zu Hause als bodenständiger, aber schlagfertiger Politiker gut an. Ursprünglich wollte er Pianist werden, begann seine Karriere dann aber beim milliardenschweren Konzern Unilever. Er schreibt seine SMS auf einem alten Nokia-Telefon, ist gelernter Historiker und punktet in seiner Heimat mit seinem rechten Finanzkurs. Mit fast zehn Jahren Amtserfahrung stellte er sich Angela Merkel selbstbewusst entgegen.
Und er versteht es, das Hilfspaket zur eigenen Inszenierung zu verwenden: “Wir dürfen unser Geld nicht verschenken”, so die Erzählung Ruttes an die Niederländer. Eine Botschaft, die man auch von Österreichs Kanzler Kurz hört. Italiens Premier Conte hingegen findet sehr direkte Worte für Rutte und seinen Kurs:
“Du bist vielleicht ein Held in deiner Heimat für ein paar Tage, aber nach ein paar Wochen wirst du vor allen europäischen Bürgern dafür verantwortlich gemacht werden, dass du eine angemessene und effiziente europäische Antwort blockiert hast.”
EU verliert Millionen in Steueroase Niederland
Zusätzlich scheinen gerade die Niederlande durch ihre Steuerpolitik die europäischen Einnahmen nach unten zu drücken. Sie gelten als Steueroase für große Konzerne und Regierungschef Rutte wehrt sich, dies zu ändern. Durch diese Steuerschlupflöcher entgehen der EU massive Summen, die für den Wiederaufbau dringend benötigt würden. Bundeskanzler Kurz scheint diese Tatsache auszublenden.
“Herr Bundeskanzler, als großer Fan des Mark Rutte, wie ich heute gelernt habe: Reden Sie einmal mit ihm! Der ist nämlich der Oberlückenaufmacher bei der Besteuerung. Sagen Sie ihm einmal, er soll gemeinsam mit den restlichen Europäern für ein faires Steuerrecht kämpfen und nicht der Oberfreund der Steueroasen sein!”, so auch SPÖ-Delegationleiter im Europaparlament Andreas Schieder an Kurz gerichtet.
Rutte muss sich im März 2021 in den Niederlanden den Wählern stellen. Und schon jetzt hat er im Parlament keine Mehrheit mehr. Auch die Rechtspopulisten in der Opposition setzen ihn zunehmend unter Druck.
Jetzt ist das Europäische Parlament am Zug
Die Entscheidungen des EU-Gipfeltreffen müssen nun noch vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Dieses wird noch eigene Forderungen stellen: Denn vor allem die Forderung, Hilfsgelder an die Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, wurde stark verwässert. Darüber freut sich vor allem Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbàn. Er wusste, dass die Zeit drängt und die anderen EU-Länder ein Platzen des Gipfels nicht riskieren wollen. So könnte das Parlament im Gegenzug fordern, Gelder aus dem umfangreichen Landwirtschaftssektor in den stark gekürzten ERASMUS-Sektor umzuschichten.