Die EU-Kommission hat einen Plan präsentiert, mit dem der Klima-Kollaps verhindert werden soll: Den Green Deal für Europa. Ökonom Rafael Wildauer hat den Plan der Kommission zum Klimaschutz genauer angeschaut. Sein Fazit: Die Maßnahmen werden nicht ausreichen. Die EU setzt viel zu stark auf private Großinvestoren – und deren Motivation zur Klimarettung ist fraglich. Es wird massive staatliche Investitionen brauchen, um den Klima-Kollaps zu verhindern.
Kontrast: Wir hören ständig von Klimawandel und Klimakrise. Was kommt da wirklich auf uns zu? Und wie sind wir konkret betroffen?
Wildauer: Was man wirklich erstehen muss, ist, warum es so ein Problem ist, wenn sich die Erde um 1 oder 2 Grad erwärmt. Wenn man selbst rausgeht, spürt man einen Unterschied von 1 oder 2 Grad gar nicht – für den ganzen Planeten macht so ein Temperaturanstieg einen enormen Unterschied.
Grundsätzlich ist die Faustregel: Im Süden wird es heißer, im Norden wird es nässer.
Wenn wir aber hier von heißer reden, meinen wir nicht mehr Sonnentage, sondern unerträgliche Hitze. Dürren werden häufiger, aber auch Überschwemmungen.
Das sind die negativen Effekte, von denen Europa direkt betroffen ist. Indirekt besteht die Gefahr, dass Regionen langfristig unbewohnbar werden, dazu zählen große Teile Indiens. Speziell dann, wenn nichts gegen den Klimawandel unternommen wird. Solche Entwicklungen werden natürlich auch Migrationsdruck auf Europa erhöhen.
Ist Klimakrise noch abwendbar?
Ich denke ja. Man kann die größten negativen Konsequenzen nach wie vor abwenden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Menge an CO2 in der Atmosphäre und dem Temperatur-Anstieg. Wenn wir zum Beispiel den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad beschränken wollen, dann müssen wir auch die Menge an CO2 in der Atmosphäre beschränken. Man kann also ausrechnen, wie viel CO2 wir noch ausstoßen können, damit die Temperatur nicht mehr ansteigt als 1,5 Grad. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass wir in Europa noch maximal 9 Jahre so weitermachen können wie bisher – dann ist das 1,5 Grad-Ziel außer Reichweite.
Wir haben also noch Zeit aber nicht mehr viel.
Wenn wir jetzt den CO2-Ausstoß stark verringern, würde das CO2 Budget länger als 9 Jahre reichen. Das bedeutet aber auch, dass wir jetzt weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz setzen müssen.
Die Corona-Krise hat auch gezeigt: Die Verhaltensänderung der Menschen – vor allem weniger Fliegen – hat viel weniger CO2-Reduktion gebracht, als man erwarten würde. Wir haben gesehen: Strukturelle Veränderungen bei Energie, Produktion und Verkehr sind wichtiger als individueller Verzicht. Was müssten wir wirklich machen, um den Klimawandel in den Griff zu kriegen?
Es wird beides brauchen: Sowohl den individuellen Verzicht als auch die institutionelle Veränderung in unserer Gesellschaft. Für den Flugverkehr gibt es auch in absehbarer Zukunft keine emissionsfreie Variante. Das heißt. man wird nicht darum herumkommen, den Flugverkehr drastisch einzuschränken, vor allem bei Langstrecken. Kurzstrecken können relativ leicht durch Zugreisen ersetzt werden. Die Leuten werden es auch verstehen, dass man nicht einfach für ein Wochenende auf Urlaub fliegen sollte.
Gleichzeitig ist auch klar: Das Individuum in die Pflicht zu nehmen, um die Klimakrise zu bewältigen, ist unrealistisch. Das Beispiel von vorhin, die emissionfreie Energieerzeugung: Da kann man als Mieter nicht viel tun. Entweder die Energie wird aus einem Windkraftwerk erzeugt oder aus einem Kohlekraftwerk. Da hat man als Einzelperson wenig Einfluss. Das heißt, da wird es staatliche Zielsetzungen, Regulierungen und öffentliche Investitionen brauchen, um diese Probleme zu lösen und diese Sektoren zu transformieren.
Aber was kann man auf individueller Ebene machen? Vor allem zwei Dinge: Einerseits kann man jene Parteien unterstützen, die die Notwendigkeit von staatlichem Handeln im Zusammenhang mit der Klimakrise anerkennen und auch bereit sind eine aktive Rolle zu spielen. Gleichzeitig kann man jene Tätigkeiten einschränken, die besonders CO2-intensiv sind. Das bedeutet auf Langstreckenflüge zu verzichten, möglichst den öffentlichen Verkehr zu benutzen anstatt des Autos und natürlich über eine weniger fleischhaltige Ernährung nachzudenken.
Die EU-Kommission hat jetzt einen großen Plan vorgestellt, den Green Deal. Damit will sie die Klimakrise in den Griff bekommen.
Ja, die Kommission hat im Dezember 2019 den European Green Deal vorgestellt. Zur Zeit besteht er im Wesentlichen aus zwei wichtigen Teile:. Der erste ist ein Investitionsplan und der zweite ist ein Zeitplan, welche Gesetzgebungen wie angepasst werden sollen, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Der Invesitionsplan setzt auf öffentliche und private Investitionen und versucht, diese zu mobilisieren. So will man die nötige Infrastruktur für die Emissions-Reduktion sicherstellen. Der Zeitplan zur Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen besteht zu einem großen Teil aus Ankündigungen. Viele der Maßnahmen sind noch nicht klar definiert bzw. ist nicht klar, wie weit die Kommission und die Mitgliedsländer bereit sind zu gehen.
Die EU-Kommission setzt bei ihrem Plan zur Grünen Wende stark auf private Investoren. In der Corona-Krise haben wir aber oft vom Einstieg des Staates etwa in Fluggesellschaften gehört, um den Klimaschutz auch in den Unternehmen vorantreiben zu können. Wie siehst du das Verhältnis öffentlich-privat?
Speziell wenn wir über Investitionen reden, wird es beides brauchen. Das ist kein Entweder-Oder. Der springende Punkt ist, dass die EU in der jetzigen Ausgestaltung des Green Deals das notwendige Volumen an öffentlichen Investitionen massiv unterschätzt.
Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, wie man den Energieverbrauch senken kann, sehen wir, dass eine zentrale Maßnahme die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden ist, also die thermische Sanierung, aber auch energieeffiziente Heizsysteme wie Wärmepumpen zu installieren. Die öffentliche Hand wird nicht die Kosten für die Sanierung aller Gebäude in Österreich oder in der EU tragen können. Es braucht deshalb bindende Vorschriften, damit private Gebäudebesitzer einen Großteil dieser Investition übernehmen.
Zweites Beispiel: Stromerzeugung. Europa wird mehr Strom brauchen, vor allem, wenn man einen großen Teil des Energiesystems auf Elektrizität umstellt. Das bedeutet: Wenn wir diesen zusätzlichen Strom sauber produzieren wollen, werden wir vor allem mehr Sonnen- und Windenergie brauchen. Wir müssen also in zusätzliche Kapazitäten für grünen Strom investieren.
Kraftwerke wie Windparks sind aber mit hohen anfänglichen Investitionskosten verbunden, dann aber mit niedrigen laufenden Kosten und stetigen Erträgen. Hier würde es Sinn machen, öffentliche oder teil-öffentliche Unternehmen dazu zu verwenden, diese Investitionen zu tätigen, um die Energiewende auch wirklich zu schaffen.
Das sind zwei Spannungsfelder, die zeigen, dass es sowohl öffentliche wie auch private Investitionen brauchen wird. Die Notwendigkeit von großen öffentlichen Investitionen in strategischen Bereichen wird von der Kommission aber zur Zeit unterschätzt.
Letzte Frage: Wenn du heute an der Spitze der Europäischen Kommission wärst, was wäre deine ersten Maßnahmen zum Klimaschutz?
Der erste Punkt ist, dass man auf Wissenschaftler und NGOS hört, die sagen, dass die aktuellen Zielsetzungen nicht ausreichen sind, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Selbst die gesteigerte Ambition im Green Deal mit der Zielsetzung, die CO2-Emissionen 2030 um 50-55% zu reduzieren im Vergleich zu 1990. Das müsste man wahrscheinlich auf 65% anheben, wenn man das 1,5-Grad-Ziel erreichen möchte.
Zweitens muss man die Investitions-Erfordernisse ernsthaft erheben. Dazu müssen die Mitgliedsländer einbezogen werden. Man muss sich überlegen, in welchen Sektoren wir welche Infrastruktur benötigen. Wann muss die verfügbar sein und wie können wir sicherstellen, dass es diese dann auch gibt? Und es braucht auch die Bereitschaft, dass, wenn private Akteure nicht (schnell genug) handeln, entweder Regulierungen anzupassen oder als öffentliche Hand tätig zu werden.
Drittens ist es auch besonders wichtig, die Verteilungskonsequenzen des ökologischen Umbaus nicht zu vergessen. Ich glaub, man wird nicht vermeiden können, CO2 höher zu besteuern, und einfach effektive Anreize zu setzen, damit Unternehmen und Personen umsteigen. Das bedeutet aber auch, dass viele Menschen in eine Situation gezwungen werden, wo sie es sich eigentlich nicht leisten können, auf Alternativen umzusteigen. Da muss man aufpassen. In diesem Bereich braucht es Förderungen, es braucht auch teilweise Transferleistungen um Leuten zu ermöglichen, ihre Wohnung zu heizen. Es kann nicht sein, dass wir aufgrund des Klimawandels Leuten sagen, dass sie ihre Wohnung nicht mehr heizen können. Auch um die politische Unterstützung für eine grüne Wende aufrechtzuerhalten. Das wären die drei Prioritäten, die ich setzen würde.
Der Ökonom Rafael Wildauer arbeitet und unterrichtet auf der Universität von Greenwich in England. Seine Schwerpunkte sind soziale Ungleichheit und die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von staatlichem Handeln, sowie Steuerflucht internationaler Konzerne. Seine aktuelle Forschung beschäftigt sich mit dem Klimaschutz der EU, unter anderem im Rahmen des Projekts “A fiscally sustainable public investment initiative in Europe to prevent climate collapse”, das vom Karl-Renner-Institut, der Arbeiterkammer Wien und der Foundation for European Progressive Studies in Auftrag gegeben wurde. Inzwischen liegt ein erstes Paper vor.