Frauenhass im Internet ist anonym, radikal und voller Wut. In Onlineforen beschreiben Männer zu tausenden, wie sie sich vom Feminismus bedroht fühlen und fantasieren über Gewalt gegen Frauen. Viele dieser meist männlichen Nutzer nennen sich selbst Incels, abkürzend steht das für involuntary celibates (deutsch: unfreiwillig Zölibatäre). Auch in Österreich und Deutschland wächst die Szene. Der Hass bleibt dann längst nicht mehr nur im Internet: Weltweit forderten Attentate von Anhängern der Incelbewegung über 50 Todesopfer.
Incels machen Frauen für die eigene Wut und Einsamkeit verantwortlich
Jung, männlich, meist weiß, aus Nordamerika oder Europa – und zutiefst unzufrieden mit dem eigenen Leben. So sieht das typische Profil eines „Incels“ (kurz für „involuntary celibates“, deutsch: „unfreiwillig Zölibatäre“) aus. Damit sind überwiegend Männer in ihren Zwanzigern gemeint, die kaum oder gar keinen Erfolg im Liebesleben haben. Statt den Fehler bei sich selbst zu suchen, vernetzen sie sich online mit anderen Incels, die allesamt ihre Wut gegen Frauen richten.
In Internet-Foren verstärkt sich dieses Weltbild dann gegenseitig. Männer, die Frauen als manipulativ, oberflächlich, böswillig oder grundsätzlich biologisch unterlegen beschimpfen, gibt es dort zu Tausenden. Eine der bekanntesten Incel-Plattformen, Incel.is, hat momentan über 30.000 aktive Mitglieder. Immer wieder werden Frauen dort in Posts abwertend mit Kindern oder gar Tieren verglichen. Denn eigentlich, so der Gedanke, hätten Männer einen rechtmäßigen Anspruch auf Frauen. Die moderne Gesellschaft hat diese angebliche Ordnung aber zerstört, weil Frauen ihre Partner heute frei wählen können.
Aus dieser Sicht sind Frauen nicht nur „schuld“ an der Einsamkeit vieler Incels, sondern werden als bewusst grausam dargestellt: Sie bevorzugen „attraktivere“ Männer und lassen andere zurück. Auf Incel-Plattformen kommen solche Gedanken dann sehr direkt zum Ausdruck. Ein österreichischer Nutzer auf Incel.is schreibt etwa:
„Wir verdienen verpflichtende Zeit mit Frauen. Es sollte ein Menschenrecht sein.“

Ein angeklagter Vergewaltiger erreicht online Millionen: Das Netz aus frauenfeindlichen Influencern wächst
Antifeminismus im Netz nimmt unter jungen Nutzern zu. Influencer wie Andrew Tate, der wegen Vergewaltigung angeklagt ist, haben mittlerweile ein Millionenpublikum. Ihre Botschaft ist immer ähnlich. Frauen werden als das Problem dargestellt, Härte und Stärke als die Lösung. Hass wird in den Köpfen junger Nutzer schnell zur Wahrheit. Und: Die Algorithmen vieler Social-Media-Plattformen sorgen dafür, dass besonders junge Männer immer tiefer in ein Netz rechter Inhalte geraten.
Im gesamten Netzwerk gibt es dabei starke Verbindungen zur rechtsnationalen Szene. Ein traditionelles Frauenbild wird dort mit weiteren rechten Ideen verknüpft, so etwa mit Rassismus, Nationalstolz und in extremen Fällen auch nationalsozialistischen Weltanschauungen.
Nicht alle dieser Posts und Inhalte stammen direkt von Incels. Es beginnt bei Trends wie den Tradwives, die sich für ein nostalgisches Frauenbild aus den 60ern einsetzen. Pick-Up-Artists und Redpillers sind dann die nächste Stufe. Sie versuchen, Frauen durch Manipulation für sich zu gewinnen und verfallen dabei oft in einen Leistungs- und Selbstoptimierungswahn.
Der Hass bleibt nicht online: Der Halle-Attentäter hatte Verbindungen zur Incelbewegung
Helfen die „Lifestyletipps“ der rechten Influencer nichts, dann gelangt Man(n) schnell zu sogenannten „Blackpill“-Inhalten, die die tatsächliche Incelszene ausmachen. Hier wird es gefährlich: Aus diesen Kreisen stammen immer wieder Attentäter, deren Anschläge bereits über 50 Menschen das Leben gekostet haben. Der erste dieser Angriffe war im Mai 2014, als Elliot Rodger sechs Menschen ermordete. Im Vorhinein erklärte er die Tat zum „Krieg gegen Frauen“. Er wird bis heute in der Incelszene als Held gefeiert. Auch der Attentäter von Halle, der 2019 zwei Menschen umbrachte, bewegte sich im Umfeld der Incelideologie.
Die letzte Pille geht noch einen Schritt weiter, als der Film Matrix es damals getan hat. Glaubt man der Community, dann sind „Blackpillers“ (schwarze Pille) die „wahren“ Incels. Die ultimative Wahrheit, die sie erkennen, liegt darin, dass Frauen schuld an allem Leid der Männer sind. Männer seien heutzutage in der Gesellschaft unterdrückt. Das Ergebnis sind Frauenhass, Gewaltfantasien und Attentate.
Die deutschsprachige Incelszene ist unerforscht, aber gewinnt an Größe
Die neue Pilotstudie eines Berliner Instituts in Zusammenarbeit mit weiteren Forschenden hat nun erstmals versucht, das Incel-Netzwerk im deutschsprachigen Raum zu erfassen. Das Ergebnis: Die deutsche und österreichische Szene ähnelt ihrem US-amerikanischen Vorbild extrem. Überraschend ist das nicht, denn im Internet spielen Nationalitäten kaum eine Rolle. Auch die Sprache, über die sich Incels aus aller Welt vernetzen, ist zumeist englisch. Insgesamt zählt die Incelbewegung wohl weltweit an die 100.000 Anhänger.
Wie viele Incels es im deutschsprachigen Raum gibt, lässt sich schwer einschätzen. Das liegt vor allem daran, dass Nutzer in den allermeisten Fällen anonym unterwegs sind und auf Englisch posten. Außerdem werden die extremsten Inhalte gesperrt, viele wandern ins DarkWeb ab. Auch wenn bis jetzt nur einzelne Anhänger identifiziert werden konnten, wächst die Szene samt verwandten Inhalten.
So gehört etwa das AfD-Bundestagsmitglied Maximillian Krah auf TikTok zu den meistgefolgten deutschsprachigen Politikern. Er greift in seinen Kurzvideos typische Incelthemen auf und spricht gezielt junge Menschen an:
„Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. (…) Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappts auch mit der Freundin.“
@maximilian_krah Max Krah #AfD über die Probleme und Werte junger #Männer ♬ Close Eyes – DVRST
Krah folgen alleine auf TikTok über 100.000 Menschen. Sein Video erzielte fast genauso viele Likes.
70% der deutschen Frauen sind Opfer von Online-Sexismus, ein Drittel ist in Österreich betroffen von Gewalt
In Incelforen auf Reddit ist die Anzahl an frauenverachtenden Beleidigungen im Zeitraum von 2016 bis 2018 um annähernd 500% gestiegen, bevor die betroffenen Foren gesperrt wurden. Solche Online-Diskussionen und Posts sorgen dafür, dass Frauenhass im Internet zum Alltag vieler Frauen gehört. 70% der deutschen Frauen geben an, im Netz schon sexistisch beleidigt worden zu sein. Jede fünfte zieht sich danach von dem Online-Diskurs auf der Plattform zurück, auf der sie angegriffen wurde.
Männer, die Frauen hassen, sind bei weitem nicht nur online ein Problem. Auch im Alltag sind Frauen regelmäßig übergriffigem Verhalten von Männern ausgesetzt. In der Wiener Gastrobranche sind etwa 79 Prozent der weiblichen Angestellten schon einmal sexuell belästigt worden oder haben einen derartigen Vorfall beobachtet. 6 von 10 Frauen erfahren allein schon beim Versuch, Kleidung auf Willhaben zu verkaufen, sexuelle Belästigung. Dagegen haben ein Drittel der österreichischen Frauen bereits sexuelle oder körperliche Gewalt am eigenen Körper erlebt, und alle zwei Wochen ermordet ein Mann in Österreich eine Frau.
Frauenfeindlichkeit ist hierzulande kein Thema der Vergangenheit. Die rasche Verbreitung incelähnlicher Ideologien macht das Problem aber schlimmer und den Hass radikaler.
Was tun? Großbritannien klärt im Unterricht über Frauenfeindlichkeit auf
Dass die Incelszene besonders im englischsprachigen Raum zu einem großen Problem angewachsen ist, erkennt nun auch die britische Regierung: In Zukunft wird es an englischen Schulen gezielt Unterricht gegen Frauenfeindlichkeit geben. Dabei helfen soll die Netflix-Serie Adolescence, in der ein 13-Jähriger eine gleichaltrige Mitschülerin tötet. Das Ziel ist frühzeitige Aufklärung. Auch Incel-Gedankengut wird dann im Unterricht thematisiert, Burschen sollen gesündere Rollenbilder als das eines Andrew Tate oder Maximillian Krah kennenlernen.
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In Österreich arbeitet die Regierung derzeit an einem Aktionsplan für Gewaltschutz, der noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll. Beispielsweise wird das ungefragte Versenden von Penisbildern („Dickpics“) ab September strafbar. Ein längst überfälliger Schritt, denn bereits jede zweite Frau unter 36 Jahren war schon mit dieser Form von sexueller Belästigung im Netz konfrontiert. Laut Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner werden Maßnahmen getroffen, sodass „Gewalt an Frauen in Österreich keinen Platz hat – nicht offline, nicht online, nicht auf der Straße und nicht zu Hause.“