Im Zuge der „ökosozialen“ Steuerreform will die Bundesregierung die Mehrbelastung durch die CO2-Steuer mit einem “Klimabonus” abmildern. Die höheren Verkehrskosten in ländlichen Regionen sollen ausgeglichen werden, weil dort der öffentliche Verkehr schlechter ausgebaut ist und man eher ein Auto braucht. Dass Wien allerdings als einzige Region in die niedrigste Kategorie mit dem niedrigsten Bonus fällt, ist für Verfassungsexperten Manfred Matzka verfassungswidrig, wie er in seinem Gastbeitrag erklärt.
Die Bundesregierung will bestimmte Formen des Energieverbrauchs stärker besteuern. Das ist verfassungsrechtlich zulässig. Sie macht das mit dem Kompromiss: Ein „Klimabonus“ soll die Steuer bei jenen Personen etwas abmildern, die diese Energie nicht freiwillig verbrauchen, sondern dazu mangels Alternativen quasi gezwungen sind. Das ist verfassungsrechtlich ebenfalls zulässig. Für diese Abmilderung sind vier Bonusstufen vorgesehen, die sich im Wesentlichen nach dem Angebot öffentlicher Verkehrsmittel in der Region orientieren. Auch das ist verfassungsrechtlich zulässig.
Alle Wiener:innen zu benachteiligen ist verfassungswidrig
Dann aber meint die Bundesregierung, dass man ganz pauschal alle Wiener:innen als einzige in die niedrigste Bonusstufe, einige Städte in die zweite und alle Bewohner:innen im ländlichen Raum in die höchste Stufe einordnen kann. Das ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, und zwar aus folgenden Gründen:
Der Gesetzgeber kann zwar unterschiedliche Regelungen für verschiedene Personen treffen, diese müssen aber sachlich begründbar und fundiert sein sowie mit den Zielen der Regelung im Zusammenhang stehen. Man darf also nicht Männer und Frauen mit unterschiedlicher Klimasteuer belasten, weil das Geschlecht in keinem Bezug zur Klimabelastung steht. Dasselbe gilt für Körpergröße, Berufsstellung usw. Unterschiedliche Klimasteuern darf es nur für Gruppen geben, die ein unterschiedliches Verhalten in Bezug auf die Klimabelastung aufweisen.
Man kann also Autofahrer anders behandeln als Autolose, Ölheizer anders als Solarheizer, Vielflieger anders als Fußgänger. Das wissen natürlich die Bundesregierung und ihre Juristen. Dennoch benachteiligen sie pauschal alle Wiener:innen, und das ist unsachlich und unbegründet.
Auch in anderen Städten ist das Öffi-Angebot sehr gut ausgebaut
Die Bundesregierung meint, dass sich pauschal die Wiener:innen – und nur diese – von allen anderen Österreicher:innen bei ihrem Energieverbrauch signifikant unterschieden: Sie haben ein exzellentes Nahverkehrsnetz und können dieses gut nutzen, meint man. Das ist an sich richtig, aber es trifft auf den Nahverkehr und die Bevölkerung von Linz, Graz, Salzburg, Mödling und Klosterneuburg genauso zu. Auch dort gibt es wohlfeile öffentliche Verkehrsmittel, zum Teil sogar dieselben Linien wie in Wien mit denselben Intervallen. Das Angebot ist mancherorts, etwa im Zentrum von Linz, sogar besser als am Rande der Brigittenau oder am Wienerwald. Und die Situation für jene, die im Süden Wiens an der linken (Wiener) Straßenseite wohnen, ist dieselbe wie die des Nachbarn an der (niederösterreichischen) rechten Straßenseite.
Wenn aber eine relevante Zahl von Wiener:innen schlechter dran ist als eine relevante Zahl von Bewohner:innen anderer Städte und Regionen, dann ist diese Ungleichbehandlung nicht tragbar.
Alle Wiener:innen in die schlechteste Bonusstufe zu verdonnern, nur weil sie Wiener:innen sind, ist verfassungsrechtlich unzulässig.
Die Unterlagen der Statistik Austria geben diese Unterscheidung nicht her
Dazu kommt noch, dass die Unterlagen der Statistik Austria, auf die sich die Regierung beruft, diese strikte und ausnahmslose Unterscheidung zwischen Wien und seinem Umland und anderen großen Städten gar nicht hergeben. Die Statistik argumentiert viel differenzierter und sieht die großen Übereinstimmungen von Wohnregionen über die Landesgrenzen Wiens hinweg. Der Unterschied, den die Regierung macht, lässt sich also nicht zwingend ableiten. Damit ist – das hat der VfGH der Regierung schon bei diversen Corona-Verordnungen ins Stammbuch geschrieben – die Regelung unsachlich, weil nicht logisch begründet.
Und noch etwas kommt erschwerend dazu: Unsere Verfassung ist sensibel, wenn wirtschaftliche Regelungen für einzelne Bundesländer gelten. Denn man darf das einheitliche Wirtschaftsgebiet Österreichs nicht länderweise auseinanderreißen. Genau das aber macht die vorgeschlagene Regelung, weil sie ausschließlich an der Grenze Wiens und nicht an objektivierbaren Unterschieden in den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Personen anknüpft. Es ist aber nicht die Wiener Landesbürgerschaft, aus der sich unterschiedliche Energieverbräuche ergeben, sondern die unterschiedliche Nutzbarkeit des öffentlichen Verkehrs. Es ist nicht der papierene Meldezettel, der den Unterschied macht, sondern die reale Lage der Wohnung.
Das tatsächliche Motiv ist ein parteipolitisches
Schließlich erkennt man hinter der beabsichtigten Regelung auch noch das tatsächliche Motiv dieser unsachlichen Entscheidung: es ist ein parteipolitisches. Eine schwarz-grüne Bundesregierung will jenes Bundesland treffen, in dem Schwarz-Grün am wenigsten gewählt wird. Das ist zum einen eine willkürliche Bevorzugung der eigenen und Benachteiligung der fremden Klientel. Und wer sich in der Geschichte Österreichs auskennt, weiß zum anderen, dass es so etwas – nämlich die bewusste und gewollte finanzielle Benachteiligung Wiens durch den Bund – schon einmal gab. Nämlich in der Ersten Republik, an deren Rechtsgestaltung sich die derzeitige Bundesregierung immer wieder Anleihen zu nehmen scheint.
Dr. Manfred Matzka war ab 1999 bis 2016 Präsidialchef des Bundeskanzleramtes und zuletzt persönlicher Berater der Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Der promovierte Jurist war seit 1980 im Bundesdienst und für Personal, Recht, e-Government, Verwaltungsreformprojekte und die Koordinierung des Bundeskanzleramts ebenso zuständig wie für ressortübergreifende Organisation. Derzeit ist Matzka Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheater-Holding und Vizepräsident von Austrian Standards.