Am 10. April wird in Frankreich gewählt. Emmanuel Macron hat gute Chancen auf eine zweite Amtszeit als französischer Präsident. Trotz den Massenprotesten der Gelbwesten und Generalstreiks gegen Pensionskürzungen hat Macron wieder an Fahrwasser gewonnen. Vor allem die Corona-Krise und der Ukrainekrieg nützen dem umstrittenen Präsidenten. Eine kritische Bilanz seiner Präsidentschaft.
Zuletzt ging es aufwärts für Emmanuel Macron. Wenn der Präsident eines kann, dann Krieg: „Krieg“ gegen Corona und „Krieg“ gegen den Terrorismus hatte er zu Krisenzeiten angekündigt. Jetzt, da Krieg in Europa herrscht, ist wieder seine Stunde gekommen. Als Präsident einer Atommacht hat Macron von allen EU-Ländern eine besondere Rolle. Dass der französische Staatschef sich vor und nach den Telefonaten mit Putin im Februar in dramatischen Posen fotografieren ließ, sorgte im Netz zwar für viel Spott, verfehlt aber dennoch nicht die Gesamtwirkung. Bis zum 24. Februar, also vor Kriegsbeginn, dümpelte Macron, der für die Präsidentschaftswahlen im April ein zweites Mal antritt, zwischen 24 und 25 Prozent, danach stieg seine Beliebtheit schlagartig: Anfang März lag er bei 31 Prozent der Stimmen. Denn das traut man dem Präsidenten zu: Auf der großen Weltbühne verhandeln, Frankreichs Interessen global vertreten, staatsmännisch zu sein.
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Sozialkürzungen, Privatisierungen und Steuergeschenke für Reiche
Damit setzt Macron auf ein ganz anderes Bild als noch vor fünf Jahren, bei seiner ersten und erfolgreichen Präsidentschaftskandidatur. 2017 hatte er mit „La République en marche“ (LREM) eine „Bewegung“ gegründet, die – im Gegensatz zu den alteingesessenen und verstaubt wirkenden Parteien – volksnah und frisch sein wollte. „Weder links, noch rechts“ lautete Macrons vielfach in Fernsehshows beschworenes Credo, mit dem er lagerübergreifend punkten wollte. Auch der Titel seines Buches „Revolution“ konnte bei Konservativen an die gute alte Tradition von 1789 anschließen, bei Linken oder Politikmüden mit einer Art Aufbruch werben. Heute wäre Letzteres schlicht unglaubwürdig.
Macrons Präsidentschaft ist geprägt durch eine Reihe von Privatisierungen und Sozialkürzungen. Direkt nach Amtsantritt kam es zu einer Arbeitsmarktreform, die unter anderem das Kündigungsgesetz lockerte und Stellenstreichung für Unternehmen erleichterte – Arbeitnehmer:innen also die Sicherheit nahm. Mit einem weiteren Gesetz wurde das Wohngeld für Geringverdienende und Studierende gekürzt. Während die Steuern für die arbeitende Mittelschicht erhöht wurden, machte Macrons Regierung den Wohlhabenden ein Geschenk und schaffte die Vermögenssteuer ab, was der französische Star-Ökonom Thomas Piketty, sicherlich mit einer Ahnung von kommenden sozialen Unruhen, als historischen Fehler wertete. Außerdem wurden die Pariser Flughäfen, die nationale Lotterie, und weite Teile des Bahnunternehmens SNCF sowie der nationale Stromanbieter EDF privatisiert.
Benzinpreiserhöhung brachte das Fass zum Überlaufen
Macron setzte im Grunde die Linie seiner Vorgänger Nicolas Sarkozy und Francois Hollande fort und handelt auch unter dem Druck des Konkurrenten Deutschland, wo viele dieser Dinge schon längst passiert sind. Doch in dieser Amtszeit lief das Fass nach nur knapp mehr als einem Jahr über, Macron lieferte den letzten Tropfen: Die Erhöhung der Benzinpreise. In Form der Gelbwesten trat daraufhin eine beispiellose Massenbewegung auf den Plan, die einem Volksaufstand gleichkam. Es begann mit wöchentlichen Autobahnblockaden im ganzen Land, mit denen rund 69 Prozent der Franzos:innen sympathisierten, und es gipfelte nach wenigen Monaten in Gewaltausbrüchen. Allein auf den Champs-Élysées in Paris, der gehobenen Shopping-Straße und Symbol für Staat und Reichtum zugleich, wurden Statuen zerstört, Läden geplündert und das Luxusrestaurant Fouquets in Brand gesetzt. Andernorts wurden Bankfilialen zerstört und sogar in dem kleinen Alpenvorort Puy-en-Velay brannte die Polizeipräfektur. In dieser Zeit schien es extrem unwahrscheinlich, dass der Ex-Bankier Macron jemals wiedergewählt werden könnte. Die Wut der Menschen richtete sich in den Protesten oftmals auf Macron persönlich, mehr als bloß auf die Regierung. 2019 wurden in zahlreichen französischen Städten die Porträts des Präsidenten aus den Rathäusern entwendet. Beliebte Demolieder verspotten ihn namentlich.
Gut ein Jahr später, als die Gelbwesten zwar immer noch Samstag für Samstag demonstrierten, der Höhepunkt der Proteste aber abgeebbt war, wagte der Präsident einen weiteren Schritt: Die Rente sollte kapitalisiert werden, wobei die Regierung sich für den entsprechenden Gesetzesentwurf vom Finanzunternehmen Blackrock beraten ließ. Die Rente ergibt sich demnach aus einem Punktesystem, sodass gerade Geringverdienende oder Frauen, die länger in Elternzeit gehen, weniger Punkte sammeln und seitdem Altersarmut fürchten müssen. Waren die Gelbwesten schon dafür bekannt, Frankreich lahmzulegen, setzt der nun folgende Generalstreik gegen die Pensionsreform noch einen drauf. Allein in Paris konnte man sich wochenlang nur zu Fuß fortbewegen, da keine Metro mehr fuhr und in den übervollen Straßen mit dem Autor kein Durchkommen mehr war. Der Fernverkehr lag still, in Lyon und Gironde hatte die Firma RTE den Strom kurzzeitig abgestellt, vielerorts streikte auch die Müllabfuhr.
Polizeigewalt gegen Protestierende
Das „links“ in „linksliberal“ hatte sich nach zweieinhalb Jahren an der Regierung für Macron erledigt. Von der arbeitenden Mittelschicht wurde er vor allem als Klassenfeind gesehen. Aber auch die Bilanz um den Liberalismus fällt gemischt aus. Liberal im Sinne einer Entlastung von großen Unternehmen – dafür steht die Regierung Macron nach wie vor. In anderen Themenbereichen trat hingegen ein gewisser Autoritarismus zutage. Bei den Demonstrationen der Gilets Jaunes wurden 24 Augen ausgeschossen, fünf Hände von Granaten zerfetzt; es gab 315 Kopfverletzungen durch Hartgummi-Geschosse – und zwei Tote. Dabei haben die schweren Verletzungen auch Unbeteiligte oder friedliche Rentner:innen getroffen.
Auch abseits der Proteste wurde vielfach Polizeigewalt und rassistische Polizeigewalt dokumentiert. 2018 wird ein Polizist dabei gefilmt, wie er gewalttätig auf Demonstranten losgeht. Später stellt sich heraus: Er ist kein Polizist, sondern ein enger Vertrauter des Präsidenten Macron.
Neben mehr Polizei (10.000 neue Stellen) hatte die Regierung vor allem eine Antwort auf solche Fälle: Das Gesetz für globale Sicherheit. Das Verbreiten und Veröffentlichen von Videos und Fotos von Polizeibeamten wurde grundsätzlich verboten – selbst für Journalist:innen. Bei Zuwiderhandlung droht ein Jahr Haft und eine Strafzahlung von 45.000 Euro. Mit dem Gesetz trat außerdem die Möglichkeit der Überwachung von Bürger:innen durch Drohnen und Kameras an Fußgängerampeln in Kraft. Es hat schon liberalere Staaten gegeben.
Macrons starke Momente
Trotz der tiefen Krisen und des unpopulären, harten Durchgreifens hatte Macron dazwischen immer wieder starke Momente. Nach dem islamistisch motivierten Mord am Lehrer Samuel Paty 2020 fand der Präsident Worte der Entschlossenheit, versprach die Einheit Frankreichs, betonte die Wichtigkeit von Freiheit und Toleranz.
Einen ähnlichen Effekt hatte die Coronakrise. Nicht nur, weil es mit den Massenprotesten gegen die Rentenreform durch das Demonstrationsverbot zu einem abrupten Ende kam. Auch, weil Macron es hier wieder schaffte, mit seiner Entschlossenheit („Wir sind im Krieg“) ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens zu verbreiten. Zwar gab es auch in Frankreich Coronaleugner und Impfskeptiker, zwar wurde auch hier die Zahl der Intensivbetten reduziert und das Pflegepersonal unterbezahlt – insgesamt gab es für das Vorgehen der Regierung jedoch breite Zustimmung. Dasselbe gilt auch aktuell für den Krieg in der Ukraine. Im Wahlprogramm verspricht er neben erheblicher Aufrüstung auch sechs neue nukleare Angriffs-Uboote.
Was den Klimaschutz angeht, hat der Präsident die Öko-Szene zwar gegen sich, scheint auf die Mehrheit der Bevölkerung aber mit Pragmatismus zu punkten. Sein Konzept: 6 neue Atomkraftwerke. Damit soll das Land möglichst von der Kohle als Energiequelle loskommen. Dass der Präsident in einer zweiten Amtszeit das öffentliche Fernsehen privatisieren und die Gebühren abschaffen will, scheint ihm in der öffentlichen Wahrnehmung keinen Abbruch zu tun.
Rhetorik, die wirkt
Auch Macrons entschlossenes Bekenntnis zur EU – in Frankreich keine Selbstverständlichkeit – macht Eindruck. Dahinter steckt mehr Rhetorik als Praxis: Kein Bekenntnis zu „europäischen“ Werten hat das enge Verhältnis zum saudischen Kronprinz getrübt oder ihn an dem Versprechen einer eigenen französischen Frontex gehindert. Kein nach außen getragener Feminismus hat die Benachteiligung von Frauen im aktuellen Rentensystem gelindert. Aber es ist Rhetorik, die wirkt.
Diesmal möchte der Präsidentschaftskandidat mögliche Wogen schon im Voraus glätten. Da sind etwa die aktuell hohen Benzinpreise, die sofort gedeckelt wurden, wohl auch wegen der alptraumhaften Erinnerung an die Gelbwesten 2018. Den Konzernen wird die Differenz aus Steuergeldern bezahlt – so macht sich die Regierung weder bei der Industrie noch bei den Wähler:innen unbeliebt. Da sind die Ausschreitungen auf Korsika, wo Separatist:innen die Unabhängigkeit fordern, nachdem ein korsischer Inhaftierter im Gefängnis gestorben ist. „Wir sind bereit, bis zur Unabhängigkeit zu gehen“, sagte Innenminister Gérald Darmanin am 16. März – ein Tabubruch, der bis dahin völlig undenkbar gewesen war – und unzweifelhaft ein Vertrösten auf ein ungewisses Später, damit nicht noch mehr Bilder von brennenden Barrikaden im Netz viral gehen.
Über eine Milliarde für externe Beratung
Dann ist da noch der gerade aufgeploppte McKinsey-“Skandal“: Die Regierung zahlte diesem und anderen Unternehmen allein im Jahr 2021 mehr als eine Milliarde Euro, um sich in Fragen wie der Wohngeldreform und der Arbeitsversicherung beraten zu lassen. Niemals hatten Privatunternehmen einen so gewaltigen Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung, so lautete die Bilanz eines Berichts aus dem französischen Senat vom 17. März. Seitdem sind Macrons Umfragewerte um rund 3 Prozentpunkte gesunken.
Und da sind die Fernsehauftritte. Bei 12 Kandidat:innen für die Präsidentschaftswahlen haben die TV-Sender es mit den Duellen nicht gerade leicht. Auffällig ist aber, dass es Duelle in vielfachen Kombinationen gegeben hat (ganz rechte gegen ganz linke Kandidat:innen, ganz rechte gegen ganz rechte, usw.), dass Macron jedoch in keinem dieser Fernsehduelle aufgetreten ist. Einzig in einem Format des Senders TF1, wo 8 Kandidat:innen nacheinander befragt wurden, ohne untereinander zu diskutieren, ließ der Präsident sich blicken. Anfang März hatte Regierungssprecher Gabriel Attal bestätigt, dass Macron an keiner Fernsehdebatte teilnehmen würde, in denen er mit anderen Kandidaten im Gespräch wäre – um eine „Schlammschlacht“ zu vermeiden.
Unter allen Kandidat:innen liegt Emmanuel Macron in den Umfragen vorne – sein Sieg gilt als ausgemacht. Ein altbekanntes Szenario steht bevor: Le Pen geht in die Stichwahl gegen einen Kandidaten „der Mitte“, der dann eine Mehrheit gegen rechts vereinen kann. Laut Umfragen wird die allerdings nicht mehr so haushoch ausfallen wie bei den anderen Malen. Aktuelle Umfragen sagen 45 Prozent für le Pen gegen 55 Prozent für Macron in der Stichwahl voraus. Sollte der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon noch aufholen und statt Le Pen in die Stichwahl kommen, könnte es noch spannend werden.