Das Ergebnis der Krankenkassen-Fusionierung durch Bundeskanzler Kurz ist ein Desaster: 1,7 Milliarden Euro Defizit bis 2024 und die Bürokratie gleicht einem “gnadenlos zentralisierten Verwaltungsmonster”. Der Obmann der ÖGK in der Steiermark, Josef Harb, im Gespräch über Gründe und Konsequenzen des Milliarden-Defizits.
Kontrast: Schwarz-Blau hat eine “Jahrhundertreform” bei der Krankenkasse angekündigt. 1 Milliarde mehr sollte bei den Patienten ankommen, jetzt wird ein Minus von 1,7 Milliarden für die nächsten fünf Jahre prognostiziert. Wie konnte es so weit kommen?
Harb: Das kann man auch gerne „bewusste Volkstäuschung“ nennen – und jetzt fliegt ihnen das Ding um die Ohren. Das kommt vom standespolitischen Machtrausch ohne Rücksicht auf Verluste. Schwarz-Blau hat die Interessensvertreter der Versicherten, also der Arbeitnehmer, brachial aus der Krankenversicherung der Mehrheitsbevölkerung entfernt. Das musste hinter einer Kulisse verschwinden: Mit Lügen über die Funktionärsmilliarde und mit Lügen über angebliche Einsparungen. So sollte die Zerschlagung von funktionierenden Strukturen in der Gesundheitsversorgung unsichtbar gemacht werden.
Das Ergebnis ist wenig überraschend: Aus einer versprochenen eingesparten Milliarde wird ein Mehraufwand von 1,7 Milliarden Euro.
Ich bin mir sicher: Nicht einmal Kurz und Strache haben jemals an diese Patienten-Milliarde geglaubt.
Kontrast: Und was sind die Gründe für das Defizit?
Harb: ÖVP und FPÖ haben zum Beispiel rund 500 Mio. von der Unfallversicherungsanstalt, die von den Arbeitgebern finanziert wird, der ÖGK umgehängt – die ist von Arbeitnehmern finanziert. Den Betreibern von Privatspitälern haben sie zusätzliche Zuschüsse in der Höhe von 65 Mio zugeschanzt. Ich persönlich kenne ja aus meinem Umfeld kaum jemanden, der die Dienste von Privatspitälern in Anspruch nimmt.
Auch Steuermittel hat man der Krankenversicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entzogen: Nämlich gleich 174 Mio. Euro. Da machen sich einige Millionen Euro für die Bewerbung einer der größten sozialen „Pflichtkrankenversicherungen“ Europas und für das neue Logo ja fast bescheiden aus.
Es scheint jede Vernunft außer Kraft gesetzt; Hauptsache, die Sponsoren von Bundeskanzler Kurz und Co. haben das Sagen in der Krankenkasse der Arbeitnehmer und können sich Gedanken darüber machen, wie man an einen ca. 17 Milliarden Euro großen Kuchen herankommt.
Quasi im Vorbeigehen haben sie dann auch noch die Beitragsprüfung bei den Unternehmen drastisch geschwächt.
Kontrast: Was kann das Defizit für die Versicherten bedeuten? Müssen wir mit Selbstbehalten rechnen?
Harb: Es gibt im aktuellen Katastrophe-Modell genau drei Möglichkeiten, um dieses Finanzierungdebakel zu schließen: 1. mehr aus Steuermitteln zuschießen, 2. die Leistungen für die Versicherten ausdünnen oder 3. Selbstbehalte für die Versicherten drastisch erhöhen. Dass mehr Geld aus Steuermitteln kommen wird, glaube ich aber nicht wirklich.
Sinnvoll ist natürlich ein fairer Risikoausgleich zwischen den risikoarmen Krankenkassen der Beamten und Selbstständigen und der Krankenversicherung mit den höchsten Risiken, der ÖGK. Denn dort werden gut verdienende Angestellte ebenso versorgt wie arbeitslose Menschen und Mindestsicherungsbezieher. Aber davon will Peter Lehner, der aktuelle Vorsitzende der Hauptversammlung der Sozialversicherungsträger, ja nichts wissen. Zufällig ist Herr Lehner auch der Obmann der SVS (Sozialversicherung der Selbständigen) und Präsidiumsmitglied der Wirtschaftskammer Österreich.
Da liegt der berühmte Hase im Pfeffer! Was erwartet man sich da sonst, als das aktuelle Fiasko?
Die Interessensvertreter von ca. 200.000 Arbeitgebern bestimmen über die Leistungen und die Geschäftsmöglichkeiten der Krankenversicherung der 7,2 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Kontrast: Gibt es schon erste Anzeichen für Einsparungen? Müssen Projekte eingestellt werden?
Harb: In der Steiermark haben wir noch vor der „Realitätwerdung des Wahnsinnes“ einige wichtige Gesundheitsprojekte auf Schiene gebrachte. Zum Beispiel die innovative Behandlung von adipösen Kindern, die mobile Remobilisierung zu Hause oder die Sturzprophylaxe-Programme für ältere Menschen. Die waren alle finanziell gut abgesichert. Aber im Lichte der aktuellen Budget-Vorschau der ÖGK wage ich kein Vorhersagen mehr.
Für neue Projekte sehe ich gänzlich schwarz. Das Pilotprojekt zur Vermeidung von chronifizierenden Rückenschmerzen und auch die Ausrollung von leitlinienorientierten Diseasemanagement-Programmen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes könnten dem Finanzdesaster zum Opfer fallen.
Einerseits sind unsere Rücklagen aus der Steiermark im großen schwarzen Loch verschwunden. Andererseits sind die diktatorischen Entscheidungsstrukturen in der ÖGK dermaßen „verquirrt“, dass es zu keinen Entscheidungen über unsere Mitteln mehr kommt: Alleine die 1.300 Beschäftigten der ehemaligen STGKK haben 15 unterschiedliche Fachbereichsleiter als Chefs, von denen 13 nicht in Graz ihren Dienstort haben.
Da fallen entweder gar keine Entscheidungen mehr, oder so spät und so weit weg von den regionalen Bedürfnissen der Menschen, dass es keinen Sinn mehr macht, Gesundheitsversorgungs-Projekte in Angriff zu nehmen.
Kontrast: Was heißt “im schwarzen Loch verschwunden”?
Harb: Bundeskanzler Kurz hat mit seiner “Reform” eine der drei größten Krankenversicherungen von ganz Europa geschaffen – mit 7,3 Mio. Versicherten. Anscheinend wollte man wenigsten in dieser Kategorie am Stockerl stehen.
Dabei haben sie alle Warnungen von der Unsteuerbarkeit dieses gnadenlos zentralisierten Verwaltungsmonsters mit 13.000 Mitarbeitern ignoriert. Diese Ignoranz ist fast das Schlimmste an dem von Kurz und Strache verursachten Desaster.
Der gelernte Maschinenbautechniker wurde 2018 zum Obmann der damaligen Steirischen Gebietskrankenkasse gewählt. Der Gemeinderat aus Gratwein-Straßengel erlebt den Umbau der Krankenkassen nun als stv. Landesstellenausschuss-Vorsitzender hautnah. Den Schwerpunkt seiner Arbeit sieht Josef Harb in der Gesundheitsförderung und Prävention sowie im Ausbau und der Stärkung der Primärversorgung. Durch das Defizit in der ÖGK sieht er diese Projekte bedroht.
Einfach den weitgereisten Nichtarbeitenden nichtmehr die Rundumversorgung spendieren, schon ginge es der ÖGK bestens. Anders als einheimische Arbeitslose, die natürlich weiter behandelt gehören (!j, können erstere ja einfach nach Hause gehen wenn es ihnen nicht passt.