Der Sozialstaat-Forscher Emmerich Talós hat ein Buch über die schwarz-blaue Wende herausgegeben. Darin wird die Politik der Regierung Schüssel mit jener der Kurz-Regierung verglichen. Sein Befund: Schüssel hat versucht, die Sozialpartnerschaft auszuschalten, Kurz hat es noch weitergetrieben – die Regierung hat die Arbeitnehmer-Vertreter stark entmachtet. Wir haben den Politikwissenschafter zum Interview getroffen.
Kontrast: Sie analysieren in ihrem Buch die schwarz-blau Regierung. Für wie wahrscheinlich halten sie eine Neuauflage von Schwarz-Blau?
Talós: Von allen Regierungs-Varianten, die es gibt, hat das sicher eine sehr große Wahrscheinlichkeit. Besonders bei den Fenseh-Duellen zwischen Hofer und Kurz sieht man, dass es die alte Konstellation auch nach der Wahl wieder geben soll. Offenbar ist die FPÖ bereit, Zugeständnisse bei Kickl zu machen. Die FPÖ denkt sich offenbar: Es ist besser in der Regierung zu sein, auch wenn Kickl sich nicht durchsetzen kann.
Kontrast: Und was verstehen Sie unter der “Schwarz-Blauen Wende”? Was war anders bei Schwarz-Blau?
Talós: Schüssel ist 2000 angetreten und hat ein Regieren im neuen Stil angekündigt. Worin bestand der neue Stil? Der bestand darin, dass ein wesentliches Merkmal der zweiten Republik in Frage getsellt wurde: Nämlich die Verhandlungsdemokratie. Die zweite Republik ist gekennzeichent durch Konsens und Kooperation auf der Ebene der Parteien und Verhandlungen auf der Ebene der großen Interessensverbände: Also der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmervertreter. Das hat Schüssel ausgeschaltet. In der Regierung Schüssel sind kaum noch Gesetze beschlossen worden, bei denen die Sozialpartner eingebunden waren.
Kurz hat diese Entwicklung noch mehr zugespitzt: Der Einfluss der Oppositionparteien ist ausgeschalten worden und auch die Beteiligung der Sozialpartner gab es nicht mehr. Davon betroffen sind die Arbeitnehmervertreter und nicht die Unternehmer. Die haben ein Naheverältnis zur ÖVP. Die Wirtschaftskammer spricht selbst davon, dass das ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm die Handschrift der Wirtschaftskammer trägt. Die Unternehmer können ihre Interessen ungehemmter mit der Regierung durchsetzen – Gewerkschaft und Arbeiterkammer haben sie nicht mehr notwendig. Die Sozialpartnerschaft ist unter Kurz-Strache am Ende – die hat die Regierung ausgeschaltet.
Kontrast: An welchen Gesetzen sieht man das?
Talós: Die Regierung hat zum Beispiel nicht einmal den Versuch unternommen, dass man das Gesetz über den 12-Stunden-Tag mit den Arbeitnehmer-Vertretern verhandelt. Auch die Änderungen bei der Sozialversicherung sind drastisch: Selbst im Jahr 1888 bei der Einführung der Krankenversicherung für die unselbständig Erwerbstätigen hat die Regierung dafür gesorgt, dass die Erwerbstätigen eine Mehrheit haben in der Selbstverwaltung. Damals hatte die Arbeitschaft keine politischen Rechte und selbst damals hatte sie die Mehrheit bei der Verwaltung ihrer Krankenversicherung.
Der Austrofaschismus hat die Arbeiterbewegung nach Strich und Faden ausgeschaltet. Aber selbst die Austrofaschisten haben nur die Mehrheit der Arbeitervertreter in ihrer Versicherung reduziert.
Den Beschäftigten ihre Mehrheit in der Krankenversicherung ganz zu nehmen, das haben bisher nur Kurz und Strache geschafft. Und wieder zugunsten der Unternehmer und zulasten der Arbeitnehmer.
Die Auswirkungen dieser Verschiebung der Kräfteverhältnisse sind noch nicht sichtbar, weil noch keine Gesetz beschlossen wurden, die die Leistungen betreffen. Aber wenn es wieder zu einer schwarz-blauen Koalition kommt, würde ich davon ausgehen, dass man dann deutlich sieht, dass es da nicht nur um formale Dinge geht.
Kontrast: Wie kommt die Regierung damit durch, dass die Arbeitnehmer schrittweise entmachtet werden?
Talós: Was ich noch nie so stark wie bei dieser Regierung erlebt habe, ist das Werfen von Nebelgranaten. Immer dann, wenn die Regierung in Probleme gerät und es Kritik gibt, wie damals bei der Arbeitszeit. Da war eine Massenbewegung auf der Straße, da waren hunderttausend Menschen unterwegs, die sich gegen dieses Regierungsvorgehen ausgesprochen haben. Die Regierung kommt unter Druck und was macht sie? Sie schafft den Führerschein auf türkisch ab oder verbietet das Schächten.
Und das geht bis jetzt so weiter. Die ÖVP gerät wegen der Finanzierungsgeschichte unter Druck, und was macht sie? Sie erfindet diese Hacking-Vorwürfe. Heute wissen wir, dass es sehr unklar ist, was da überhaupt dran ist. Es war aber wichtig, eine peinliche Geschichte wegzuschieben und den Fokus woanders hin zu lenken. Diese Strategie ist für die Regierung lange aufgegangen.
Kontrast: Wieso tut die FPÖ dann so, als würde sie auf der Seite der Beschäftigen stehen?
Talós: Der Spruch von der sozialen Heimatpartei hat mit der Realität nichts zu tun. Immer dann, wenn etwas zugunsten der Unternehmer beschlossen wurde, hat die FPÖ mitgestimmt. Vom kleinen Mann war weit und breit nichts zu sehen. Das ist so eine Doppelbotschaft: Auf der einen Seite wird mit dem Wirtschaftsstandort argumentiert, dass die Unternehmer bedient werden müssen – und der kleine Mann bleibt dann auf der Strecke. Ob das funktioniert, wird sich bei den kommenden Wahlen zeigen. Da werden wir sehen, wie sehr die FPÖ ihre Doppel-Strategie verstecken kann.
Die FPÖ steht seit langer Zeit für die Ausgrenzung und Diskriminierung von Ausländern, Asylwerbern und Asylberechtigten. Das Wahlprogramm der FPÖ ist politische und soziale Spaltung pur. Nur kommt dazu, dass diese Spaltungspolitik keineswegs nur Ausländer betrifft, das trifft auch österreichische Familien. Wer viel verdient, profitiert prächtig von der Steuerentlastung – wer wenig verdient, kriegt kaum etwas.
Und was die Regierung nicht mehr geschafft hat, war eine einschneidende Änderung in der Arbeitslosenversicherung: Die Abschaffung der Notstandshilfe hat drastische Konsequenzen für arbeitslose Menschen, die länger arbeitslos sind. Die fallen dann in die Sozialhilfe. Und die überwiegende Zahl der arbeitslosen Menschen in Österreich sind Österreicherinnen und Österreicher. Es ist ein Programm, dass österreichische Arbeitslose ganz tief treffen wird.
Emmerich Tálos: Die schwarz-blaue Wende in Österreich:
Die Etablierung einer erstmaligen schwarz-blauen Regierung war im Jahr 2000 von heftigen innerösterreichischen und internationalen Konflikten begleitet. Günstigere Startbedingungen gab es 2017 für die Neuauflage von Schwarz-Blau. Mittlerweile ist diese Koalition erneut zerbrochen. Wie sehr der Machtwechsel einen Politikwechsel zur Folge hat, wird in dem Buch anhand ausgewählter Aspekte der schwarz-blauen Wende erläutert.
Die Enteignung und Entmachtung der Arbeitnehmer in deren Sozialversicherungen ist das größte Unrecht in der 2. Republik. Es bedeutet dies das Ende der Sozialpartnerschaft und des österreichischen Weges einer Konsens -Republik..
Also, ich weiß nicht woher dieser Kurz diese große Zustimmung hat.
So viele korrupte Geldsäcke gibt’s ja gar nicht in Österreich!