Nach seinem Bestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert, legt der französische Starökonom Thomas Piketty ein neues monumentales Werk vor. Es ist die Geschichte von Ungleichheit und die Vision einer gerechteren Gesellschaft. Das Buch ist aktuell nur auf Französisch erschienen und kommt im März 2020 in deutscher Sprache heraus. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen von Pikettys Kapital und Ideologie.
1. Die sozialdemokratische Nachkriegszeit war eine Goldene Ära. Wieso? Umverteilung!
Piketty beginnt seine historische Analyse in der Feudalzeit und unterscheidet danach drei Epochen: Die Eigentümergesellschaft (von der Französischen Revolution bis Ende des Zweiten Weltkriegs), die sozialdemokratische Gesellschaft (von 1945 bis in die 1980er) und die Neo-Eigentümergesellschaft (von den 1980er bis heute).
Bis auf die sozialdemokratische Gesellschaft – von 1945 bis in die 80er Jahre – waren alle Epochen ab dem Mittelalter von extremer Ungleichheit geprägt.
Die Reichen wurden immer reicher, die Armen ärmer. Hinzukommt: Die Reichen zahlten in allen ungleichen Epochen kaum Steuern, die breite Bevölkerung trug fast die gesamte Steuerlast. Das stimmt für das Mittelalter, in dem die Adeligen steuerbefreit waren – genauso wie für heute, wo die Reichen ihr Vermögen auf off-shore Konten vom Finanzministerium verstecken.
Nur in der sozialdemokratischen Epoche ist es gelungen, diesen Gegensatz zu entschärfen:
In den 1950ern war die Einkommens- und Vermögensverteilung so ausgeglichen wie noch nie in der modernen Geschichte. Das blieb über dreißig Jahre lang stabil.
Stark progressive Einkommens- und Erbschaftssteuern sorgten dafür, dass Reiche mehr beitragen und sich Reichtum nicht zu stark konzentriert. Bis in die 1980er lag der höchste Einkommenssteuersatz in den USA bei 81 Prozent, in Großbritannien sogar bei 89 Prozent.
Seit den 1980ern sind die Höchststeuersätze bei der Einkommensteuer kontinuierlich gefallen.
Zum Vergleich: In Österreich liegt der höchste Einkommenssteuer-Satz heute bei 55% und ist einer der höchsten in der EU. Das Geld aus Steuereinnahmen investierten die Sozialdemokraten in Bildung und Gesundheit. Das kam vor allem mittleren und niedrigeren Einkommensschichten zugute. Die Gesellschaften wurden insgesamt gleicher.
2. Durch Deregulierung und Steuergeschenke für Reiche zu neuer Ungleichheit
Gegen Ende der 1980er löste die Neo-Eigentümergesellschaft die Goldene Ära der sozialdemokratischen Gesellschaft ab, so Piketty. Steuern für Reiche und Konzerne wurden gesenkt – die arbeitende Bevölkerung trug wieder den Großteil der Steuerlast. Neoliberale und Konservative schafften Erbschaftssteuern ab, Vermögen konzentrierten sich immer mehr bei wenigen Familien und die Ungleichheit nahm wieder zu. Staatliche Ausgaben – wie etwa in Bildung – haben die Regierungen so verändert, dass allem gesellschaftliche Eliten davon profitieren – und nicht die breite Masse.
Kapital und Ideologie zeigt, dass seit dem Ende der sozialdemokratischen Phase die soziale Ungleichheit weltweit zugenommen hat.
Zusätzlich führte die Deregulierung des internationalen Finanzsystems dazu, dass viele Reiche ihr Vermögen in Steuersümpfen parkten. Keine Kontrolle des Kapitalverkehrs hielt sie mehr davon ab, ihr Geld vor der Steuer auf Panama oder den Cayman Islands zu verstecken.
Dadurch zahlten Reiche sogar noch weniger Steuern als das bisschen, das sie noch zahlen mussten.
Leidtragender ist der Sozialstaat und die Klein- und Mittelverdiener, die viel Steuern zahlen und dennoch von den Kürzungen der Sozialausgaben betroffen sind. Das war bereits Thema in seinem letzten Bestseller Kapital im 21. Jahrhundert. Dazu gibt es jetzt auch einen Film.
3. Sozialdemokratische Parteien haben aufgehört Arbeiterparteien zu sein
Für Piketty gibt es mehrere Gründe, wieso es zu einem Ende der sozialdemokratischen Epoche kam und politische Entscheidungen die Ungleichheit wieder verschärften: Etwa das Ende der Sowjetunion und die Verwandlung der ehemaligen Ostblock-Staaten in ein Labor für Hyper-Kapitalismus. Seine Analyse konzentriert sich jedoch vor allem auf die Veränderung im Wahlverhalten, wo er zwei massive Veränderungen feststellt.
- Erstens sinkt die Wahlbeteiligung – aber nicht gleichmäßig in allen sozialen Klassen. Während Wohlhabende weiter aktiv am politischen Leben teilhaben, wenden sich Wähler aus den unteren Klassen tendenziell ab.
- Zweitens hat sich die soziale Herkunft der Wählerschaft von rechten und linken Parteien gedreht. Früher haben Reiche vor allem für rechte Parteien gestimmt, während Wähler aus ärmeren Verhältnissen meist linken Parteien die Stimme gaben. Heute ist es oft umgekehrt: Während die Arbeiterklasse vor allem rechts wählt, besteht die linke Wählerschaft Großteils aus der gebildeten Mittelschicht.
4. Die zwei Konfliktlinien nach Piketty: Klasse und Identität
Für Piketty sind sowohl Identität als auch Klasse die Haupt-Konfliktlinien in unserer Gesellschaft. Daraus folgt, dass der Unterschied zwischen links und rechts nicht mehr ausreicht. Es gibt heute vier politische Lager: Soziale Internationalisten, soziale Nationalisten, elitäre Internationalisten und elitäre Nationalisten.
Eine Linke, die den Klassenkonflikt in den Hintergrund rückt, läuft Gefahr, gegen rechte Parteien zu verlieren. Besonders wenn diese in der Lage sind einen sozialen Nationalismus zu entwickeln und dadurch die Stimmen der Arbeiterklasse gewinnen. Der Erfolg der FPÖ unter der Idee der sozialen Heimatpartei ist ein gutes Beispiel dafür.
5. Partizipativer Sozialismus als neue linke Politik. Eine Vision von Piketty
In Kapital und Ideologie skizziert Piketty jedoch einen Weg, wie die Rechten besiegt werden können und die grassierende soziale Ungleichheit reduziert werden kann. Er nennt diesen neuen Weg “partizipativen Sozialismus” und baut ihn auf drei Säulen auf:
- Betriebliche Mitbestimmung
- Verstaatlichung
- Steuerprogression.
In der betrieblichen Mitbestimmung möchte er das Modell der Sozialpartnerschaft weiter ausbauen. Die Arbeiter sollen mehr Mitsprache bei der Führung ihrer Unternehmen bekommen. Ein privater Sektor mit starker betrieblicher Mitbestimmung soll neben einem starken öffentlichen Sektor stehen. Bildung, Gesundheit und Infrastruktur müssen öffentlich organisiert werden.
Pikettys radikalste Forderung betrifft aber das Steuersystem:
Er spricht sich für einen Höchstsatz bei der Einkommensteuer von 90 Prozent aus. Die Steuer auf Vermögen soll höhere sein als der durchschnittliche Vermögenszuwachs. Damit sinkt die Vermögens-Ungleichheit, anstatt zu wachsen.
Mit den Steuererträgen aus Vermögensteuern soll jedem Bürger ein bedingungsloses Grundkapital finanziert werden. Vermögen wäre dann keine Frage von erben mehr, es wäre fair in der Gesellschaft verteilt – als Startkapital für jeden und jede. Das Grundkapital sollte bei 60 Prozent des Durchschnitts-Vermögens liegen und wird jedem am 25. Geburtstag ausgezahlt, so der Vorschlag von Piketty. Für jeden Österreicher wären das dann ein Grundkapital von €120.000 . Das wäre die Demokratisierung der Vermögen.
Der 44-Jährige Starökonom Thomas Piketty promovierte mit 22 in Wirtschaftswissenschaften und wurde mit 26 Professor am Massachusetts Institute of Technology. Er ist Gründungsdirektor der Paris School of Economics und ist auch am École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist soziale Ungleichheit und die Frage wie wir eine gerechtere Wirtschaftsordnung schaffen können. 2014 veröffentlichte Piketty Das Kapital im 21. Jahrhundert und erlangte dadurch weltweite Berühmtheit. Kapital und Ideologie ist seine neues monumentales Werk.
Soziale Internationalisten haben in der derzeitigen extrem ungleichen Welt schon von vornherein verloren und spielen nur den elitären Internationalisten durch einen ständigen Zustrom billiger Arbeitskräfte in die Hände. Die Spaltung der Arbeiterklasse in Einheimische und Migranten ist ein willkommener Bonus.
Die FPÖ ist immer noch eine neoliberale Partei und hat keinen sozialen Nationalismus entwickelt. Sie hat sich allerdings als soziale Partei an die Arbeiter verkauft, und das mit Erfolg.