35 Stunden in der Woche arbeiten – für gleichen Lohn: Das oberösterreichische Pet-Tech-Unternehmen Tractive hat die 4-Tage-Woche eingeführt. Viele der 170 Beschäftigten konnten es zuerst kaum fassen, wie Personal-Chefin Marlene Kampelmüller gegenüber Kontrast erzählt. Jetzt sind die Mitarbeiter*innen produktiver und zufriedener – und das Unternehmen Vorbild für viele andere Arbeitgeber*innen.
Das oberösterreichische IT-Unternehmen Tractive stellt GPS Tracker für Haustiere wie Hunde und Katzen her. Seit Juni 2022 heißt es für alle Vollzeitkräfte im Unternehmen: 3 Tage Wochenende bei gleichem Gehalt. Statt 38,5 Stunden arbeiten sie nur noch 35. Das Feedback der Beschäftigten sei sehr positiv, sie sind erholter, zufriedener, produktiver und effizienter, wie HR-Chefin Marlene Kampelmüller gegenüber Kontrast erzählt. „Viele konnten es zuerst gar nicht fassen, einen zusätzlichen freien Tag zu bekommen – für das gleiche Gehalt“, sagt sie. Das Unternehmen wächst derzeit stark, zu den 170 Beschäftigten wird für rund 40 weitere Stellen Personal gesucht.
Der Wandel in der IT-Branche macht Erholung besonders notwendig
Während andere Unternehmen auf eine 4-Tage-Woche ohne Arbeitszeitverkürzung umstellen, kam diese Option für Tractive nicht infrage. Denn ausschlaggebend und formuliertes Ziel der Firma war, das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter*innen zu steigern und den heutigen Bedürfnissen gerecht zu werden. Denn die Arbeit in der IT-Branche habe sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, wie Kampelmüller erklärt. Vieles läuft jetzt automatisiert ab, das früher noch manuell erledigt werden musste. „Doch dahinter liegen sehr komplexe Abläufe, die ein hohes Maß an Konzentration bedürfen“, so die Personalchefin. Pausen, Erholung und Freizeit seien deshalb besonders wichtig. Außerdem brauche es attraktive Angebote, um gute Arbeitskräfte – auch aus dem Ausland – zu bekommen. Das habe das Unternehmen dazu bewogen, die Arbeitszeit für alle zu reduzieren.
Vorbereitung: „Ohne Anwalt geht das nicht“
Nach drei Monaten zeigt sich bereits, dass die Umstellung überaus erfolgreich gelungen ist. Das liege auch an der umfangreichen Vorbereitung: „Wir haben die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen“, erzählt die Personalchefin. So haben sie vorab Studien und alle verfügbaren Daten herangezogen, um mögliche Risiken und Potenziale abschätzen zu können. Auch die rechtliche Ausgestaltung war sehr durchdacht, weil es viele offene Fragen zu klären gab, etwa die Auswirkungen auf die Sozialversicherung, den Pensionsanspruch oder auf die Rotweißrot-Card.
„Da war vieles unklar, was zu 100 Prozent korrekt sein muss. Ohne Anwalt geht das nicht“, sagt sie.
Hinzu kam, dass die interne sowie externe Kommunikation gut durchdacht war. „Jede Belegschaft tickt anders. Bei so einer Umstellung ist es sehr wichtig, auf die Fragen vom Team gut vorbereitet zu sein. Auch extern ist eine geplante Kommunikation wichtig, weil man eine gewisse Vorbildwirkung einnimmt“, erzählt Kampelmüller.
Unzählige Unternehmen an Arbeitszeitverkürzung interessiert
Anfangs bekam das Unternehmen fast täglich Anfragen von anderen Firmen, die überlegen, ein ähnliches Modell einzuführen. Vor allem aus dem IT-Bereich war das Interesse groß, aber auch aus anderen Branchen meldeten sich Betriebe – sowohl kleinere als auch größere -, um zu erfragen, wie die Arbeitszeitverkürzung bei ihnen funktioniert hat. Dieses Ausmaß war für Kampelmüller überraschend, auch heute erreichen sie wöchentlich Anfragen von interessierten Unternehmen. Für sie steht fest, dass ein solches Modell „für sehr, sehr viele – auch in anderen Branchen – gut funktionieren würde, wenn es einen maßgeschneiderten Plan zur Umsetzung gibt.“ Deshalb sei es ihnen ein Anliegen, andere Unternehmen bei der Umstellung zu beraten sowie ihre Erfahrungen und Informationen mit ihnen zu teilen.
Österreichs Regierung setzt keine Anreize
Zwar gibt es auch in Österreich immer mehr Unternehmen, die die Arbeitszeit für ihre Angestellten reduzieren, aber richtig viele sind es nicht. „Vermutlich, weil es kaum wirklich langfristige Studien zu den positiven Auswirkungen auf den Umsatz und andere Unternehmenskennzahlen gibt und Österreich eher ein konservatives Land ist, wenn es um neue Arbeitsformen geht. Da nehmen wir nicht unbedingt eine Vorreiterrolle ein“, meint die Personalchefin.
Während in anderen Ländern wie Island, Großbritannien oder Schottland mit der 4-Tage-Woche und Arbeitszeitverkürzung experimentiert wird, setzt die österreichische Regierung keine Anreize. Dabei würde es den Unternehmen sehr helfen, Unterstützung und Beratung, insbesondere in der arbeitsrechtlichen Umsetzung, zu erhalten, meint Kampelmüller. „Man sitzt hier recht im Dunkeln, weil es auch von der Wirtschaftskammer kaum rechtliche Hinweise zu diesem Thema gibt“, so Kampelmüller, die sich nicht nur von den anderen Unternehmen, sondern auch von der Regierung mehr Vorreiterdenken wünschen würde.
„Auch um internationale Fachkräfte anzusiedeln und langfristig Talente zu bekommen, wären Modelle zur Arbeitszeitverkürzung sinnvoll“, meint die Personalchefin. Dazu bräuchte es nachhaltige Strategien, in die auch HR-Personen miteinbezogen werden sollten: „Da wären dann sicher viele mit Leidenschaft dabei, das auf den österreichischen Arbeitsmarkt anzuwenden, und die eigenen Daten, Erfahrungen und möglichen Risiken vorab zu teilen und die besten Strategien zu entwickeln“, ist Kampelmüller überzeugt.
Vonseiten der WKÖ kann man die Kritik nicht nachvollziehen, wie es auf Kontrast-Nachfrage heißt: „Wir beraten selbstverständlich alle unsere Mitglieder bei ihren arbeitsrechtlichen Anliegen und Fragen, dazu zählen auch die rechtliche Umsetzung einer 4-Tage-Woche oder einer betrieblichen Arbeitszeitverkürzung. (…) Wir unterstützen die Betriebe dabei in der Beratung und in der Erstellung der rechtlichen Voraussetzungen (z.B. Einzelvereinbarungen, Betriebsvereinbarungen). Vorbehalte in der Beratung gibt es nicht. Wir befürworten es als WKÖ, dass Betriebe und ihre Mitarbeiter*innen stets jenes Arbeitszeitmodell vereinbaren, das für sie am besten passt. Es kann nur nicht eine von außen erzwungene Lösung für alle geben.“