Ungarn verbietet per Gesetz die Aufklärung über Homosexualität sowie Solidaritätsbekundungen durch Unternehmen. Sogar Filme wie “Harry Potter” werden als “Homosexuellenpropaganda” klassifiziert und für Kinder verboten. Nun haben sich mehrere EU-Mitgliedsländer an die EU-Kommission gewandt. Sie soll einschreiten. Österreich hat sich erst nach einigem Zögern – und heftiger Kritik daran – bereiterklärt, diese Erklärung an die Kommission mit zu unterzeichnen.
Das ungarische Parlament beschäftigt sich wieder einmal mit Geschlechter- und Sexualitätsfragen. Allerdings bringen die neuen Gesetze nicht Fortschritt, sondern mehr Diskriminierung und Stigmatisierung mit sich. Adoption durch schwule Paare: verboten. Die Änderung des bei Geburt zugewiesenen Geschlechts: verboten. Ein anderes Konzept der Ehe als die Verbindung von Mann und Frau: verboten. Die Gesetze führen laut Medienberichten so weit, dass sogar Filme wie “Harry Potter” oder “Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück” wegen “Homosexuellenpropaganda” in Zukunft für ein Publikum ab 18 Jahren freigegeben sind.
Ungarn wirft in Gesetz sexuelle Gewalt gegen Kinder mit Homosexualität in einen Topf
Ungarns Premier Victor Orbán will unter dem Vorwand, Kinder zu schützen Aufklärung über Homosexualität und Transidentität verbieten. Ein Sammelgesetz, das im Juni vom Parlament abgenickt wurde, bestraft einerseits die Vergewaltigung von Kindern schärfer, verbietet aber auch Dinge, die mit Sexualstraftaten gegen Kinder gar nichts zu tun haben, wie Aufklärung über Homosexualität und Geschlechtsidentitäten oder deren Darstellungen in Kunst und Werbung. Filme, in denen homosexuelle Charaktere auftauchen, werden nur mehr spätnachts gezeigt. Auch Unternehmen dürfen nicht mehr ihre Solidarität mit der LGBTIQ-Community ausdrücken, etwa durch die Darstellungen von gleichgeschlechtlichen Paaren in Werbespots.
Damit werden in Ungarn Gewalttaten gegen Kinder mit Aufklärung über Sexualitäten als gleich verabscheuungswürdig in einen Topf geworfen. Was hängen bleibt: Wer nicht heterosexuell ist – oder auch nur über Homosexualität und anderes redet – gefährdet Kinder!
Das “Anti-Pädophilie”-Gesetz, das das ungarische Parlament beschlossen hat, widerspricht der Europäischen Menschenrechts-Konvention und dürfte darum vor zahlreichen Gerichten landen, schätzen bereits Expertinnen und Experten.
14 EU-Staaten protestieren gegen ungarisches Gesetz – Österreich unterschreibt erst nach Zögern
Als Reaktion haben jetzt 14 EU-Mitgliedsländer in einer gemeinsamen Erklärung die Europäische Kommission aufgefordert, gegen das Homosexuellen-feindliche Gesetz vorzugehen. Die Kommission müsse “alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente” gegen das “diskriminierende Gesetz” nutzen, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung der Länder, die von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden initiiert wurde.
Unterzeichnet haben sie die Länder Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Spanien und Schweden. Österreich hatte die Erklärung vorerst nicht unterstützt. Zuständig für eine Unterschrift wäre ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler. Die sagte auf Nachfrage zuerst, dass sie das Gesetz “wirklich besorgniserregend” finde, aber noch kein „abschließendes Urteil“ abgeben möchte. Daraufhin gab es laute Kritik aus Zivilgesellschaft und auch vonseiten der Opposition. Mario Lindner, SPÖ-Gleichbehandlungssprecher im Parlament, bezeichnete es als „unpackbar und beschämend, dass die österreichische Regierung diese Erklärung nicht mit unterzeichnet“.
Nun, nach heftigem Gegenwind, rudern Edtstadler und die Regierung zurück und kündigen an, die Erklärung doch zu unterzeichnen. Geht doch.
Opposition kritisiert auch Verwässerungstaktik von ÖVP und Grünen im österreichischen Parlament
Schon zuvor waren die Oppositionsparteien enttäuscht über die fehlende Verurteilung des ungarischen Gesetzes. Im österreichischen Parlament haben SPÖ und Neos eine solche Deklaration per Antrag gefordert. Die ÖVP lehnte ihn gemeinsam mit den Grünen ab, die FPÖ ebenso. Stattdessen brachten die Regierungsparteien einen Antrag mit schwammigem Beschlusstext ein – ohne konkret die Vorgänge in Ungarn zu nennen. Eine direkte Kritik an der Schwesterpartei der ÖVP, der ungarischen Regierungspartei FIDESZ, war trotz grüner Regierungsbeteiligung nicht möglich.
Unterdessen werden Buchhändler bestraft – AutorInnen wenden sich an Botschafter in Wien
Trotz Erklärung der EU-Länder bleibt die Lage für LGBTIQ-Personen und MedienmacherInnen, die darüber aufklären, sehr schwierig. Eine ungarische Buchhandlungskette ist im Juli 2021 mit einer Geldstrafe belegt worden, weil sie ein Kinderbuch verkauft hat, das von einem Tag im Leben von Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern erzählt. Die Buchhandlungskette Líra Könyv soll 700 Euro zahlen, weil sie das Buch Micsoda Család! ohne “Warnhinweis” zum Verkauf angeboten hat. Gewarnt werden soll laut ungarischen Behörden davor, dass es sich nicht um ein “traditionelles Märchenbuch” handelt. Folglich agiere die Kette irreführend. Die Strafe gegen die Buchhandlungskette hat auch in anderen Ländern Wellen geschlagen – so auch in Österreich. Die Grazer Autorinnen_Autoren Versammlung (GAV) hat nun einen Brief an den Botschafter Ungarns in Wien geschickt. Darin fordert sie die Aufhebung der Strafe gegen Líra Könyv.