Die Privatisierung der britischen Bahn (British Rail) steht sinnbildlich für das Erbe des radikalen Neoliberalismus unter Premierministerin Margaret Thatcher: verkauft, zersplittert, teuer, ineffizient und so marode, dass die sozialdemokratische Labour Regierung beschlossen hat, den Bahnbetrieb wieder zu verstaatlichen. Nach der Zerschlagung von British Rail in den 1990er Jahren schütteten sich die privaten Betreiber hohe Dividenden aus, während die Wartung und Instandhaltung der Infrastruktur vernachlässigt wurden. Es folgten Zugunglücke, explodierende Kosten für die Schieneninfrastruktur und Milliarden an öffentlichen Subventionen, um das System überhaupt am Laufen zu halten. Heute gilt die Bahn in Großbritannien als eine der teuersten und unzuverlässigsten Europas. Bis 2027 sollen nun wieder alle Strecken von der neuen staatlichen Eisenbahngesellschaft Great British Railways betrieben werden.
Margaret Thatcher: Politik der Privatisierung und Zerschlagung des Sozialstaates
Was wirtschaftspolitische Trends angeht, war Großbritannien seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert immer wieder ein unrühmlicher Vorreiter. So auch während der konservativen Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren. Diese installiert mit härtesten Maßnahmen eine neue Wirtschaftspolitik: den Neoliberalismus. Mit unglaublicher Brutalität wurden Gewerkschaften zerschlagen, Staatsbetriebe verkauft und soziale Netze durchlöchert. Der Staat sollte sich aus möglichst allen Lebensbereichen der Menschen zurückziehen – mit Ausnahme des Sicherheitsapparates, der Polizei und des Militärs natürlich.

Thatcher definierte Freiheit neu – als frei von Abhängigkeit. Nur wer auf eigenen Füßen steht und mit dem eigenen Besitz das Auskommen der eigenen Familie sichert, ist wirklich ein freier Bürger. Das ist der Kern des „Thatcherismus“. Die Minderheit, die nicht auf eigenen Füßen steht, hat keine Ansprüche zu stellen.
Als Thatcher 2013 starb, feierten und tanzten deshalb gerade die Menschen in den ehemaligen Bergarbeiter- und Industriestädten, die besonders unter der Zerschlagung des Sozialstaates und der Gewerkschaften zu leiden hatten. So tief hatte sich das Trauma des „Thatcherismus“ mittlerweile in die britische Gesellschaft eingeschrieben.
Die Privatisierung von British Rail – ein langjähriges Fiasko
Thatcher hat in ihrer Zeit als Premierministerin fast alle Staatsbetriebe verkauft, mit Ausnahme von British Rail. Die Zerschlagung und Privatisierung der staatlichen Eisenbahngesellschaft setzte schließlich ihr Nachfolger, Premierminister John Major, um. Dabei wurde British Rail aufgespalten: das Schienennetz – wie Gleise, Bahnhöfe und Brücken – ging an die Firma Railtrack deren Aktien auch an der Börse gehandelt wurden. Der Betrieb des Zugverkehrs wurde auf verschiedene private Unternehmen verteilt. Das Ergebnis war ein hochkomplexes System mit unklarer Zuständigkeit, geringer Transparenz und enormen Betriebskosten.
Insgesamt gibt es derzeit 28 Bahnunternehmen im Vereinigten Königreich, die in der Regel vorrangig eine bestimmte Region bedienen.
Die Folge: häufige Verspätungen, ausgefallene Verbindungen, veraltetes Wagenmaterial und Fahrpreise, die zu den höchsten Europas zählen.

Zugunglücke nach Privatisierung und explodierende Kosten für Schieneninstandsetzung
Schon kurz nach der Privatisierung und dem Verkauf an gewinnorientierte Unternehmen kam es zu Zugunglücken mit Todesopfern. Die Unternehmen schütteten nämlich die Gewinne an ihre Eigentümer aus, anstatt zu investieren. Dadurch wurde die Eisenbahn-Infrastruktur immer maroder. Nach dem Zugunglück von Hatfield im Jahr 2000 mit vier Toten – verursacht durch schadhafte Gleise – mussten große Teile des Schienennetzes überprüft werden. Zudem wurde bekannt, dass Railtrack massiv bei der Wartung des Schienennetzes sowie bei Personal und Material gekürzt hatte.
Weil die Kosten für die notwendige Instandsetzung der Bahn-Infrastruktur explodierten, suchte das Unternehmen um staatliche Subventionen an. Gleichzeitig wurden aber noch im Jahr 2001 Dividenden in der Höhe von 137 Millionen Pfund an Aktionär:innen ausgeschüttet. Daraufhin wurde das Schienennetz wieder verstaatlicht und wird seither vom öffentlichen Unternehmen Network Rail nicht mehr gewinnorientiert betrieben. Zudem müssen nun Überschüsse wieder in die Infrastruktur investiert werden. Network Rail soll nun auch in die neue, staatliche Eisenbahngesellschaft Great British Railways überführt werden.
Enorme Kosten durch Privatisierung – Zugverkehr soll wieder verstaatlicht werden

Oft wird von Befürwortern einer Privatisierung öffentlicher Güter behauptet, dass private Unternehmen effizienter arbeiten, den Staat finanziell entlasten, besseren Service bieten, mehr investieren und flexibler sowie schneller auf Veränderungen reagieren können. Am Beispiel von British Rail zeigt sich, dass genau das Gegenteil der Fall ist:
Lagen vor der Privatisierung die Zuschüsse des britischen Staates bei maximal 2,2 Milliarden Pfund, ist dieser Betrag ab den frühen 2000ern explodiert und schwankte bis 2020 zwischen 4 und 8 Milliarden Pfund. 2021 mussten im Zuge der Coronavirus-Pandemie sogar 20 Milliarden Pfund an öffentlichen Geldern zugeschossen werden. Bis 2024 sank dieser Betrag wieder auf 12,5 Milliarden Pfund.
In den letzten Jahren verloren zahlreiche private Verkehrsbetriebe ihre Lizenzen. Etwa, weil sie vertragliche Leistungen nicht erbracht haben oder wirtschaftlich scheiterten. Die Regierung lässt die Verträge mit privaten Zugbetreibern jetzt auslaufen oder kündigt sie, wenn es große Probleme gibt. Vor kurzem wurde das erste dieser 28 Bahnunternehmen wieder verstaatlicht. Ziel ist es, dass bis 2027 die staatliche Eisenbahngesellschaft Great British Railways wieder selbst alle Strecken betreibt.
Bald Verspätungen wie in Deutschland? Die EU-Kommission will den Bahnverkehr liberalisieren