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Hält unsere Wirtschaft eine Arbeitszeitverkürzung überhaupt aus?

Quelle: Screenshot Pexels.com/ Mikhail Nilov

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Kathrin Glösel Kathrin Glösel
in 4-Tage-Woche
Lesezeit:5 Minuten
30. Januar 2023
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Nur 4 Tage pro Woche arbeiten oder 32 Stunden – bei vollem Lohn, das wird für viele Menschen immer attraktiver. Betriebe versuchen mit solchen Angeboten Fachkräfte zu bekommen, Länder wie Island und Großbritannien testen in großen Projekten die verkürzte Vollzeit aus. Das häufigste Gegenargument lautet: Die Wirtschaft könne sich das nicht leisten. Aber das stimmt so nicht: Arbeitskräfte sind heute deutlich produktiver, kürzere Arbeitszeiten steigern diese Produktivität weiter. Außerdem sind kürzere Arbeitszeiten auch ein wichtiger Motor für Innovation – wie die Geschichte zeigt. 

Inhalt
Einbrüche bei der Produktivität?
Steigende Personalkosten?
Leidet die Wettbewerbsfähigkeit?

Es gibt viele Vorteile einer Arbeitszeitverkürzung – bei vollem Lohnausgleich, es gibt erfolgreiche Feldversuche in anderen Ländern, auch in Österreich.

Gleichzeitig hält die andere Seite, die Interessensvertretung von Industrie und Wirtschaft, hartnäckig an ihren Vorbehalten fest. Der „Kurier“ fasst sie wie folgt zusammen.

“Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung erhöht die Personalkosten und würde sich negativ auf Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft auswirken.“ (Kurier, 28.1.2023)

Das mit der Arbeitszeitverkürzung kann man also vergessen – oder? Tatsächlich lohnt es sich, diese drei angeblichen Gefahrenbereiche genauer anzusehen. Dann stellt man fest, dass es diese Eindeutigkeit und Einseitigkeit nicht gibt. Und sich eine Arbeitszeitverkürzung sogar positiv auf sie auswirkt.

Einbrüche bei der Produktivität?

Die Arbeitnehmer:innen sind im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer produktiver geworden – und das hat den Unternehmen Gewinnsteigerungen ermöglicht. Die Unternehmen haben mit den Gewinnen in neue Technologie und Innovation investiert, Arbeitsprozesse haben sich weiter verbessert. Das Ende der Fahnenstange ist damit aber freilich nicht erreicht. Was wir jetzt an Produktivität und „Normalarbeitszeit“ haben, ist kein Naturgesetz, sondern ein aktueller Zwischenstand der Entwicklungen.

In den letzten zwanzig Jahren wurde laut OECD eine Arbeitsstunde um fast 30 Prozent produktiver. Das bedeutet: Eine Beschäftigte schafft heute in einer Stunde wesentlich mehr Wert als noch vor zwanzig Jahren.

Die größten Produktivitätssteigerungen gab es laut Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer, in den 1960er bis 1980er Jahren. Mit dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft haben die Zuwächse etwas abgenommen, erklärt er im Gespräch mit Kontrast.at. Dennoch sei es immer noch so, dass Arbeitnehmer:innen jedes Jahr produktiver sind als im Jahr zuvor. Auch im personenbezogenen Dienstleistungsbereich lässt sich das nachzeichnen.

In den letzten 20 Jahren ist die Produktivität der Beschäftigten in Österreich um fast 30 % gestiegen. (Quelle: OECD)

Und internationale Versuche zeigen, dass es der Produktivität nicht schadet, kürzer zu arbeiten, im Gegenteil. In Japan führte ein Microsoft-Standort die 4-Tage-Woche ein: Die Arbeitszeit wurde also um 20 Prozent verkürzt – die Produktivität nahm hingegen um 40 Prozent zu. Als Andrew Barnes in seinem Unternehmen (Perpetual Guardian) die 4-Tage-Woche testete, sah auch er: die Produktivität blieb hoch – und es traten zusätzliche positive Nebeneffekte auf: zufriedenere Mitarbeiter:innen, mehr Bewerbungen auf freie Stellen, gesunkene Stress-Levels und weniger Krankenstandstage. Dasselbe zeigten große Feldversuche in Island und Großbritannien. Die Produktivität blieb auf hohem Niveau oder stieg sogar noch.

Arbeitszeit und Produktivität sind eng miteinander verknüpft – allerdings nicht so, wie uns manche Wirtschaftsverterter:innen glauben machen wollen. Juliet Schor ist Soziologin am Boston College in Massachusetts und erklärt gegenüber Kontrast:

“Wir wissen, dass kürzere Arbeitszeiten durch ein hohes Produktivitätswachstum ermöglicht werden. Das heißt, wenn man ein schnelles Produktivitätswachstum hat, ist es viel einfacher, die Arbeitszeit zu reduzieren. Aber: Kürzere Arbeitszeiten erhöhen auch die Produktivität. Wir wissen, dass Produktivität und Arbeitszeit wechselseitig abhängig sind.” (Juliet Schor)

Das heißt: Gerade, wenn sich Unternehmen Gedanken über die Produktivität ihrer Mitarbeiter:innen machen, sollten sie über eine Arbeitszeitverkürzung nachdenken. Denn dann überdenkt man Prozesse, Raumverteilungen, Energieverbrauch und vieles mehr – und sorgt mitunter dafür, dass die Produktivität steigt.

Weiters: Es ist bei weitem nicht so, dass jetzt alle Beschäftigten acht Stunden am Tag, 40 Stunden die Woche arbeiten. Jede zweite Frau ist Teilzeit beschäftigt – mit großen Gehaltseinbußen.

Unsere Volkswirtschaft fußt bereits auf weit verbreiteter Teilzeitbeschäftigung – gerade in Bereichen, die als besonders wichtig gelten: in der Pflege, im Bildungsbereich, im Sozialbereich. Jetzt würde es also darum gehen, es allen zu ermöglichen kürzer zu arbeiten und gleichzeitig die Gehälter nach oben anzupassen. Es ist also – so scheint es – keine Produktivitätsfrage, sondern eine Geldfrage: Wie viel sind Arbeitgeber:innen bereit, ihren Beschäftigten zu zahlen? In Zeiten, wo viele „händeringend“, wie es heißt, nach Fachkräften suchen, wäre es naheliegend, über Arbeitszeiten und Gehälter nachzudenken.

Steigende Personalkosten?

Kürzer arbeiten bei vollem Lohn? Das muss doch ungleich mehr kosten? Nicht unbedingt, das zeigen Beispiele aus der Praxis. Wir haben Betriebe besucht, die die 4-Tage-Woche umgesetzt haben und dort nach gestiegenen Ausgaben gefragt. Auch bei jenen, die auf echte Verkürzung statt bloß Verdichtung der Arbeitszeit setzen, sind die Personalkosten nicht gestiegen. Man hat Leerläufe eingespart, Meeting-Zeiten begrenzt – und über den konkreten „Output“, also das Ergebnis der Arbeit und die Ziele gesprochen. Die Arbeitszeiten wurden entsprechend angepasst.

Auch weiter zurückliegende Versuche kürzerer Arbeitszeiten, beispielsweise in Göteborg, zeigen, dass sogar Kosten gespart werden: Beispielsweise weil Beschäftigte weniger häufig in Krankenstand müssen. Sie sind erholter und arbeiten besser.

Wo mehr Kosten entstehen, ist bei Firmen und Einrichtungen, die jetzt von Teilzeit-Beschäftigen am Laufen gehalten werden. Denn echte Arbeitsverkürzung für alle bedeutet: Was heute Teilzeit ist, wäre morgen Vollzeit – mit entsprechendem Gehalt. Gerade in systemerhaltenden Berufen steigen viele Menschen wegen Überlastung und Frust aus. Wir erleben Pflegenotstand, Engpässe in der Elementarbildung oder auch Lehrer:innenmangel. Seit Jahren redet man über Anpassung bei den Gehältern und kürzere Arbeitszeiten, um die Berufe zu attraktivieren, die unsere Gesellschaft dringend besetzt braucht. Warum nicht verknüpfen? Das wäre der direkteste und wirksamste Weg.

Laut Markus Marterbauer ist die Produktivität in den letzten Jahren immer gestiegen – branchenübergreifend. Und steigt weiter. (Foto: Kontrast.at)

Leidet die Wettbewerbsfähigkeit?

Es ist die Schreckenserzählung der Konservativen: Wenn wir die 4-Tage-Woche einführen, dann wirft uns das im internationalen Wettbewerb zurück – dann gehen die Betriebe ein und wir haben eine Krise, die alle trifft.

Aber vielleicht ist es sogar umgekehrt:

Real arbeiten Beschäftigte in Branchen, die exportorientiert sind bzw. in internationalem Wettbewerb stehen, schon jetzt kürzer. Beispiel VOEST Alpine: Als Auswirkung der Stahlkrise im Dezember 2008 hat sich für über 1.000 Mitarbeiter:innen der VOEST in Linz dauerhaft die Arbeitszeit verändert. Sie wechselten das Schicht-Modell und arbeiten seit dem nur noch 34,4 Stunden in der Woche. Die Lohneinbußen waren moderat – sie bekamen 3,58 Prozent weniger Brutto. Es war ein gefördertes Umstiegsmodell: Für die ersten zwei Jahre wird die Hälfte des Verdienstentgangs vom Arbeitsmarktservice ersetzt, dann springt der Konzern so lange ein, bis das Entgelt durch die alljährlichen Kollektivvertragserhöhungen wieder den ursprünglichen Wert erreicht“, erklärt Manfred Hippold, Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrates dem Kurier das VOEST-Modell.

Betriebe stehen auch jetzt schon im Wettbewerb – und passen Prozesse, Lieferketten, Technologien an. Warum nicht auch die Arbeitszeit? Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sind kürzere Arbeitszeiten – bei vollem Lohn – ein Anreiz, sich für einen Betrieb bzw. Arbeitgeber zu entscheiden. Gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter:innen sind ein klarer Wettbewerbsvorteil.

Und generell gesprochen: Die Arbeitswelt ist im Umbruch, schon jetzt. Kürzere Arbeitszeiten sind auf dem Vormarsch. Wenn Österreich als Standort diese Entwicklung verschläft, droht ein „Brain Drain“: Fachkräfte werden in anderen Ländern Jobs annehmen, wenn diese zu besseren Bedingungen angeboten werden. Das verschärft den Fachkräftemangel und schwächt uns dann erst recht im internationalen Wettbewerb.

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4 Comments
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Ätna
Ätna
22. August 2024 15:51

Hält unsere Wirtschaft eine Arbeitszeitverkürzung überhaupt aus?
Alles Erfundene lässt sich ändern!

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Hans-Peter H.
Hans-Peter H.
5. Juli 2024 16:59

Hält die Welt unsere Wirtschaft überhaupt aus?

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Vesuv
Vesuv
Reply to  Hans-Peter H.
22. August 2024 15:52

Das ist hier die Frage.

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Peter Michael Breite
Peter Michael Breite
1. Februar 2023 06:57

Letztendlich muss die Steuerlast von der Arbeit entkoppelt werden und die „Finanzwirtschaft“ muss Verantwortung für die Steuern übernehmen. Wenn 80% der bezahlten Steuern von Arbeit und Konsum kommen, da stimmt was nicht!

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Privatstiftungen sollten ursprünglich einem gemeinnützigen Zweck dienen, etwa in den Bereichen Soziales, Bildung oder Kultur. Doch heute sind sie vor allem ein beliebtes Werkzeug, um Vermögen zu sichern und Steuern zu vermeiden. Sie sind besonders beliebt bei den Reichsten der Reichen – auch weil sie kaum von den Steuerbehörden kontrolliert werden. Zitat: Privatstiftungen sind eine Rechtsform, die beinahe ausschließlich von den Reichsten der Reichen genutzt wird. 40 Prozent aller Privatstiftungen befinden sich im unmittelbaren Umfeld der 60 reichsten Familien. Sie werden von Superreichen benutzt, um ihr Vermögen vor Steuerbehörden zu verschleiern. Auch deshalb weil drei Viertel aller Privatstiftungen überhaupt noch nie von den Steuerbehörden kontrolliert worden sind. Stephan Pühringer

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