Mehr als drei Milliarden Euro Krisenprofite für die Erdölkonzerne hat das Forschungs- und Beratungsbüro EnergyComment im Auftrag von Greenpeace errechnet. Das sind 107 Millionen Euro pro Tag zusätzlich für die Erdölindustrie , weil die Preise an den Tankstellen deutlich stärker gestiegen sind als die Rohöl-Preise. Warum sind die Preise für Benzin und Diesel so gestiegen? Welche Rolle spielen Steuern und welche die Spekulation am Finanzmarkt? Darüber haben wir mit Dr. Steffen Bukold, Politikwissenschaftler und Leiter von EnergyComment gesprochen.
Sie haben die schnell wachsenden Gewinnmargen zwischen dem Rohölpreis und dem Treibstoffpreis an den Tankstellen untersucht. Steigen die Preise an den Zapfsäulen schneller als die Produktionskosten für den Treibstoff?
Bukold: Wir haben in der Studie eine wachsende Differenz zwischen dem Rohölpreis und dem Verkaufspreis an der Tankstelle festgestellt. Da sich die Kosten für die Ölwirtschaft im Untersuchungszeitraum kaum verändert haben, der Abstand zwischen Rohöl- und Tankstellenpreis aber gestiegen ist, kann man daraus schließen, dass die Gewinne der Mineralölkonzerne parallel dazu gestiegen sind. Solche Übertreibungen gibt es immer wieder in Krisensituationen.
Und an den Kosten für die Ölwirtschaft hat sich nichts verändert?
Bukold: Das Rohöl wird mit dem Tanker oder per Pipeline zu den Raffinerien transportiert. Die Fracht-Raten für Tanker haben sich in den wenigen Wochen des Untersuchungszeitraums kaum verändert und spielen ohnehin keine große Rolle.
In der Raffinerie wird das Rohöl zu Diesel und Benzin verarbeitet, das braucht Erdgas, das ist seit Jahresbeginn etwas teurer geworden. Andere Dinge sind im Preis gefalllen, zum Beispiel gibt es starke Rabatte auf russisches Rohöl.
Die Löhne an den Tankstellen und in der Ölwirtschaft insgesamt sind nicht gestiegen, also wo sollen die Kosten so stark zugelegt haben? Das wird von den Mineralölkonzernen gerne behauptet, aber belegen können sie es nicht.
Fangen wir am Anfang der Lieferkette an: In welchem Zusammenhang stehen eigentlich der Rohölpreis und die Produktionskosten für Rohöl?
Bukold: Was wir in den Medien als Ölpreis bezeichnen, ist meistens der börsengehandelte Ölpreis für europäische Brent-Rohöl oder amerikanisches WTI-Rohöl. Das hat mit den Förderkosten der Ölwirtschaft wenig zu tun, da sind die Kosten sehr unterschiedlich.
Ein Beispiel: Wenn in Nigeria Öl für 30 Dollar je Barrel (Fass) gefördert wird, gehen 60-70 Dollar an den nigerianischen Staat und der Rest von 10-15 Dollar an die Ölkonzerne und Tankergesellschaften – der Endpreis liegt dann z.B. bei 110 Dollar. Die sehen wir als Börsenpreis in den Medien
Neben dem Börsenpreis, der in Europa an die Preise für Nordseeöl gekoppelt ist, aber auch auf Impulse von den Finanzmarktakteuren reagiert, gibt es noch eine Vielzahl von Preisen für die unterschiedlichen Rohölsorten in der Welt, also neben der Nordsee auch in Russland, vor Westafrika, in den USA oder Brasilien.
Die Ölbörsenpreise und diese physischen Ölpreise sind aneinander gekoppelt und können sich immer nur für kurze Zeit voneinander entfernen. Das konnte man auch in den letzten Wochen sehen. Als der Ukrainekrieg Ende Februar begann, schoss zuerst der Börsenölpreis spekulationsgetrieben nach oben. Dann lagen die physischen Ölpreise in der Nordsee vorn, da eine Verknappung befürchtet wurde, während sich die Ölbörsen wieder beruhigt hatten. Die spekulationsfreudigen Hedgefonds müssen in volatilen Zeiten größere finanzielle Sicherheiten bei den Börsen hinterlegen, also eine Art Pfand, wenn sie ihre Ölpreiswetten abschließen wollen. Das bremst sie im Moment aus. Insgesamt spielten die Spekulation und die Finanzmärkte beim Ölpreisanstieg in diesem Jahr keine große Rolle.
Was treibt den Preis dann in die Höhe?
Bukold: Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 brach die Ölnachfrage weltweit ein. Damals hatte das OPEC+ Kartell beschlossen, fast 10 Prozent des Weltölangebotes vom Markt zu nehmen. Das hatte es in dieser Größenordnung noch nie gegeben. Daraufhin stiegen die Preise. Auch die Nachfrage zog wieder an, als die Lockdowns endeten, aber das Opec+ Kartell hat dennoch nur sehr zögerlich zusätzliches Öl in den Markt gegeben. Ab Herbst 2020 war der Markt unterversorgt. Dadurch fielen weltweit die Lagerbestände, Öl wurde immer knapper und der Preis ist immer weiter gestiegen. Das erklärt den Anstieg der Rohölpreise bis heute. Der Ukraine-Krieg hat daran noch gar nicht so viel geändert. Der Ölverbrauch steigt weiter und nähert sich in diesem Jahr einem neuen Allzeithoch.
Und dann wird es am Weg zur Tankstelle nochmal deutlich teurer. Was kann man dagegen tun?
Bukold: Da gegenzusteuern, ist eigentlich gar nicht so schwer, weil die Zahl der Akteure überschaubar ist – etwa im Vergleich zu Nahrungsmitteln, die über einen komplexen Groß- und Einzelhandel vertrieben werden. Im Rohölhandel oder bei den Raffinerien gibt es nur wenige Ansprechpartner. Das Kartellamt sollte dafür sorgen, dass ihm zeitnah alle relevanten Preisdaten vorliegen. Dann kann es frühzeitig auffällige Preisbewegungen erkennen und reagieren.
In der aktuellen Lage wäre es auch wichtig, dass in der Strom-, Gas- und Ölbranche keine unverhältnismäßigen Krisengewinne oder Extraprofite auf Kosten der Allgemeinheit entstehen, nur weil die Märkte in Kriegszeiten nicht mehr richtig funktionieren.
Falls die Aufsichtsbehörden zu spät reagieren, dann könnte man immer noch nachträglich mit Sondersteuern überhöhte Gewinne abschöpfen. Allerdings braucht man auch dafür eine gute Datengrundlage.
Dr. Steffen Bukold ist ein deutscher Politologe mit den Schwerpunkten Öl, Gas, Wärme und Energiepreise. 2008 gründete er in Hamburg EnergyComment, ein Forschungs- und Beratungsbüro, welches sich interdisziplinär und international mit vergleichenden Analysen zu Öl, Gas und Energiepreisentwicklung beschäftigt.
Die Rekordgewinne der Ölindustrie |
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Erdölindustrie in der EU mit dem Verkauf von Diesel und Benzin Krisengewinne von mindestens 3 Milliarden Euro erzielt. Hochgerechnet auf den gesamten Monat März sind das durchschnittlich 107 Millionen Euro pro Tag ans zusätzlichen Einnahmen – 94 Millionen Euro aus dem Verkauf von Diesel und 13 Millionen Euro aus dem Verkauf von Benzin. Laut der Studie “Oil Profits in Times of War” sind die Gewinne der Ölkonzerne in Deutschland und Österreich am stärksten in Europa gestiegen. Im Schnitt erzielte die Erdölindustrie im März in Österreich täglich 4,3 Millionen Euro Zusatzgewinn (aus dem Verkauf von Diesel: 3,7 Millionen Euro; aus dem Verkauf von Benzin: 0,6 Millionen Euro). Alleine im März macht das 133,3 Millionen Euro an Übergewinnen aus. |