Die ÖVP stellte 30 Jahre lang den Umweltminister. Umwelt- und Klimaschutz wurden dabei weitgehend ignoriert. Im Wahlkampf entdeckt Kurz das Thema für sich und fordert Maßnahmen wie mehr Wasserstoff-Autos, die Umwelt-Organisationen überaus kritisch sehen.
Im ORF-Sommergespräch fordert Kurz umweltpolitisch vor allem eines: Den Umstieg auf Wasserstoff – 500 Mio. Euro will er in die Forschung investieren.
“Kurz setzt mit Wasserstoff aufs falsche Pferd”
Wird Sebastian Kurz auf das Thema Klimaschutz angesprochen, verliert er schnell an Souveränität. Er beruft sich vor allem auf eine einzelne Maßnahme: die Investition in Wasserstoff. Das wird von Experten und Umwelt-NGOs massiv kritisiert.
Bereits vor dem offiziellen Wahlkampf-Start kündigte Kurz an, 500 Mio. Euro in die Forschung im Bereich Wasserstoff als Fahrzeug-Antrieb investieren zu wollen. Elektro-Autos auf der anderen Seite sollen nicht stärker gefördert werden.
Wasserstoff ist allerdings nicht per se nachhaltig. Derzeit werden rund 96% des Wasserstoffes aus fossilen Brennstoffen hergestellt, nur 4% sind wirklich „grün“. Die Herstellung von Wasserstoff ist außerdem extrem energieintensiv; sie braucht von außen zugeführte elektrische oder thermische Energie. Alles in allem braucht ein Wasserstoff-Auto viel mehr Energie als ein Elektro-Auto.
Langfristig in neue Technologien zu investieren ist wichtig, doch um die Klimaziele 2030 zu erreichen, bringt die Wasserstoff-Forschung wenig. In der Klima- und Energiestrategie der vorigen Regierung heißt es dazu: “vor 2030 ist mit keinem nennenswerten Beitrag (!) zum Klimaschutz zu rechnen”. Das halten auch NGOs wie Greenpeace fest und erteilen dem Kurz-Plan eine klare Absage:
„Wir müssen bis 2030 die Treibhausgase im Verkehr halbieren. Die ÖVP setzt dabei mit Wasserstoff aufs falsche Pferd: Diese Technologie ist teurer, braucht wesentlich mehr Energie als E-Autos und kann derzeit noch nicht flächendeckend ausgerollt werden.”
Umweltorganisationen dagegen, Industrielle dafür
Außerdem hat der Wasserstoff-Antrieb auch für die Verbraucher einige Nachteile: extrem hohe Anschaffungskosten und kaum vorhandene Infrastruktur sind die beiden wesentlichen Punkte, die aus Verbrauchersicht dagegen sprechen. Derzeit gibt es in ganz Österreich fünf öffentliche Wasserstofftankstellen, derzeit sind 32 Wasserstoff-Autos zugelassen.
“Wasserstofftechnologie mag im Bereich der Speichertechnologie oder Prozesswärme zukunftsträchtig sein, nicht aber in Form des Wasserstoffautos, das viel ineffizienter als das E-Auto und nicht konkurrenzfähig ist – hier ist der Zug in eine andere Richtung abgefahren,” kritisiert Wolfgang Rehm, Sprecher der Umweltorganisation VIRUS.
Ganz anders reagierte die Industriellenvereinigung. Deren Generalsekretär Christoph Neumayer begrüßt den ÖVP-Schwerpunkt auf Wasserstoff-Antrieb.
Die ÖVP lässt sich das Umweltprogramm anscheinend von Energie- und Ölkonzernen schreiben. pic.twitter.com/q7lfyi6RTD
— David (@davsow) 1. Juli 2019
Für PKW ist also die Elektromobilität die energieeffizientere Option. Elektro-Autos scheinen allerdings für Kurz keiner weiteren Förderung wert, obwohl andere europäische Staaten ihre Klima-Werte damit aufwerten konnten.
Stillstand in der Regierung, Versprechen im Wahlkampf
Als ÖVP und FPÖ noch in der Regierung waren, zeigten sie keine Ambitionen beim Klimaschutz. Das kommt Österreich teuer: 6,6 Mrd. Euro Strafzahlungen für zu viel CO2-Ausstoß fallen laut Umweltministerium an. Andere Experten rechnen sogar mit bis zu 10 Mrd. Euro an Strafzahlungen, die Österreich in Form von sogenannten Emissionszertifikaten kaufen muss.
Was grüne Energie angeht, führt die ÖVP überhaupt ein doppeltes Spiel: Während die ehemalige Umweltministerin Köstinger im Wahlkampf fordert, Österreich vollkommen frei von Kohlekraft zu machen, machte sie im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft den Vorschlag, die Subventionen für Kohle-, Gas- und Atomkraft bis zum Jahr 2035 zu verlängern.
“Die ÖVP führt seit 30 Jahren das Umweltministerium. Die ganze Zeit lang hat sie fast nichts für den Klimaschutz getan, auch in der letzten Regierungsperiode nicht. Im Gegenteil: Schwarz-Blau hat den Klimaschutz finanziell ausgehungert, verabsäumt, eine ökosoziale Steuerreform zu beschließen und Milliarden an umweltschädlichen Subventionen beibehalten”, so Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit.
Regierung Kurz: Industrie vor Umwelt
Überhaupt hat sich die schwarz-blaue Regierung nicht durch Umweltschutz hervorgetan: So ließ die ÖVP die Prüfung der Umweltverträglichkeit bei Großprojekten durch das Standortgesetz aufweichen. „Wir müssen bestimmte Projekte durchboxen können,“ sagt der Chef der Industriellenvereinigung Georg Kapsch ganz offen über das Standortgesetz im Standard-Interview – notfalls auch gegen den Umwelt- und Tierschutz. Großprojekte sollten künftig auch ohne Umweltprüfung genehmigt werden können, wenn die Bundesregierung das will.
Überhaupt waren der Regierung Umweltschutz-Organisationen ein Dorn im Auge: Sie müssen künftig Name und Adresse ihrer Mitglieder an die Regierung melden, wenn sie an Verfahren zur Umweltverträglichkeit teilnehmen wollen. Das setzt die Vereine stark unter Druck.
Dazu stell sich die ÖVP seit Jahren gegen ein Totalverbot des Umweltgifts Glyphosat. Obwohl das Pestizid im Verdacht steht, krebserregend zu sein und negative Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere hat, stellt sich die ÖVP auf allen Ebenen gegen ein Verbot – ganz im Sinne der Agrarindustrie.
EU: Klimastrategie unzureichend
Den nationalen Energie- und Klimaplan der Regierung bewertete die EU-Kommission als weitgehend unzureichend: Es gebe keine konkreten Maßnahmen und die Finanzierung sei nicht gedeckt.
Nicht nur das Pariser Abkommen, auch die selbstauferlegten Ziele hat die Regierung Kurz nicht eingehalten. Bis Juni hätte die Bundesregierung der EU eine Liste jener Subventionen vorlegen müssen, die zur Klimakrise beitragen und dem Erreichen der Reduktionsziele entgegenstehen. Das geht aus der Klimastrategie der Bundesregierung hervor – ist aber nicht passiert, wie die Umweltorganisation Greenpeace kritisiert.
Förderungen für erneubare Energien: Gesetz säumig
Ein weiteres Versäumnis der Kurz-Regierung ist das Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Das versprochene Gesetz sollte die Förderung aller erneuerbaren Energie auf neue Beine stellen und an das aktuelle EU-Beihilfenrecht anpassen. Der Entwurf dazu sollte eigentlich schon längst fertig sein. Passiert ist bisher nichts.
Die SPÖ forderte die Übergangs-Umweltministerin Maria Patek auf, den bisherigen Planungsstand vorzulegen und den Vorschlag in den Nationalrat zu bringen. So kann es einen fundierten Konsultationsprozess und damit einen raschen Beschluss in der ersten Sitzung im September geben. Denn dieses Förder-Gesetz bestimmt, wieviel und wie effizient Österreich Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt – es gibt keine Zeit zu verlieren.