Der Energieexperte Marc Hall hängt keinen Illusionen nach, wenn es um die Wende in der Energie- und Klimapolitik geht. Österreichs Abhängigkeit von Russland in Sachen Erdgas und Co. ist größer als wir denken – weil wir den Energie-Import nicht auf mehrere Schienen gestellt haben. Die großen, teuren Investitionen in erneuerbare Energien bleiben derzeit aus. Die Kosten für konkrete Versuche einer Energiewende zahlen unterdessen die einfachen Verbraucher. Wir haben uns mit dem Energie-Experten Hall über Spritpreise, den Krieg in der Ukraine und populistische Klima-Versprechen unterhalten.
Kontrast.at: Derzeit zahlt man für einen Liter Benzin oder Diesel zwei Euro. So hoch wie jetzt war der Spritpreis schon lange nicht mehr. Wie kommt das?
Marc Hall: In der Marktwirtschaft steigen Preise, wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot. Soweit die Theorie. Auf der Angebotsseite ist noch kaum etwas passiert, es gibt bisher nur Absichtserklärungen. Inflationsbereinigt hatten wir schon höhere Rohöl- und Treibstoffpreise. Wenn man die Steuern wegnimmt, hatten wir in den letzten fünfzehn Jahren sogar sehr günstige Preise. 2008 hatten wir einen Rekordpreis beim Rohöl. Damals stand der Preis für einige Tage über 140 Dollar pro Barrel – da gab es eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Jetzt liegt der Preis bei etwa 120 Dollar. Es ist zum einen die Nachfrage aus der Konjunkturentwicklung, aber man darf nicht vergessen, dass Spekulationen eine wichtige Rolle bei der Preisbildung spielen. Wenn mächtige Fonds stark auf Rohstoffe und Treibstoffe setzen, dann steigen die Preise. Wenn sie ihre Mittel aus dem Segment wieder herausziehen, sinken die Preise. Den Einfluss der Finanzwirtschaft darf man nicht außer Acht lassen.
Kontrast.at: Und jetzt kommt – neben Konjunktur und Spekulation – auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu.
Marc Hall: Jetzt könnten Produzenten in Russland am Markt ausfallen. Das verknappt das Angebot, der Preis steigt und viele andere Preise ziehen mit. Auch der Preis für Holz-Pellets oder Hackschnitzel wird steigen. Denn warum sollten Pellet-Hersteller ihre Produkte günstiger hergeben, als der Markt bereit ist für Energie zu zahlen? Es gibt Austauschbeziehungen am Energiemarkt. Das gilt für alle Energieträger.
Die größten Investitionen fließen immer noch in fossile Energien
Kontrast.at: Der Energieanalyst Johannes Benigni hat anklingen lassen, dass auch die Klima-Trendwende die Energiepreise teurer macht. Weil – so die These – Energiefirmen in den Umstieg hin zu mehr nachhaltigeren Energiequellen investieren und weniger in die Gewinnung von Öl und Gas. Und eben das würde auch das Angebot bei fossiler Energie verknappen. Können Sie dieser These etwas abgewinnen?
Marc Hall: Ich schätze Herrn Benigni sehr, aber dieser Einschätzung muss ich widersprechen. Ich sehe keine Investitions-Verknappung bei konventionellen Energien, bzw. dass jetzt alle Investitionen nur noch in die erneuerbare Energien gehen. Es werden nach wie vor immense Investitionen in fossile Energien getätigt, um den weltweiten Bedarf zu decken. Den gleichen Widerspruch sehe ich, wenn viele Expert:innen versprechen, dass wir sehr bald aus allen fossilen Energieträgern aussteigen werden. Die Internationale Energieagentur (IEA) betreibt diesen „double speak“ perfekt. Auf der einen Seite zeigt sie Szenarien, in denen die Welt in wenigen Jahren zu 100 Prozent klimaneutral sein wird, und der Bedarf nur noch aus emissionsfreien Energien gedeckt wird. Gleichzeitig veröffentlicht die Agentur ihren jährlichen Outlook, der zeigt, dass derzeit 83 Prozent des gesamten Energiebedarfs der Weltbevölkerung durch fossile Energien – Kohle, Öl, Gas – gedeckt wird und dieser Anteil bis 2040 bestenfalls auf 75 Prozent absinkt.
Kontrast.at: Das klingt danach, als müsste man wirklich riesige Sprünge machen. Nur wie und wo genau? Österreichs Energiesektor ist sehr stark von Erdgas abhängig. Was heißt das in dieser Krise und für die Zukunft unseres Energiesektors?
Marc Hall: Österreich bezieht etwa 80 Prozent seines Erdgases aus Russland für die Industrie und die Wärme- und die Stromerzeugung. Österreich importiert seit Jahrzehnten – auf dem Papier – Erdgas auch aus Norwegen. Es ist nur noch nie ein norwegisches Erdgasmolekül in Österreich angekommen.
Kontrast.at: Wie das?
Marc Hall: Österreich kauft zwar norwegisches Gas, aber gleichzeitig fließt viel mehr russisches Gas durch Österreich hindurch, zum Beispiel nach Frankreich und Italien. Das wird dann abgetauscht. Wir nehmen in Österreich aus dem russischen Gas-Strom das Gas heraus und das norwegische Gas geht direkt nach Frankreich. Wenn es also um die echte physische Quelle geht, sind wir noch viel stärker abhängig, weil wir ein wichtiges Transitland sind.
Was wichtig wäre: eine Diversifizierung bei Energie-Quellen und ihren Zulieferern
Kontrast.at: Wie kann man das nun einordnen, wenn Bundeskanzler Nehammer mit den Ministerinnen Köstinger und Gewessler nach Abu Dhabi reist, um dort ein Wasserstoff-Abkommen zu unterzeichnen? Soll und kann das Österreich aus seiner Abhängigkeitssituation lösen?
Marc Hall: Was dort unterzeichnet wurde, war eine Absichtserklärung einer möglichen Kooperation. Ich glaube, dass sehr lange kein Wasserstoff – schon gar kein Bio-Wasserstoff – aus Abu Dhabi nach Österreich kommen wird. Abu Dhabi hat ein ambitioniertes Programm für Erdgas, um seinen steigenden Inlandsverbrauch zu fördern. Wasserstoff wird dort ausschließlich aus Erdgas hergestellt. Biologischer oder elektrolytischer Wasserstoff steckt in den Kinderschuhen. Die Mengen, die weltweit produziert werden, passen in ein paar Badewannen. Das ist noch keine echte Alternative zum Erdgas.
Es ist gut, wenn sich Österreich um die Diversifizierung von Energiequellen bemüht. Wenn wir zum Beispiel verflüssigtes Erdgas aus Katar kaufen, wird es teurer sein und es muss auch noch zu uns kommen. Transportiert wird es mit großen Tankern, zum Beispiel nach Rotterdam. Dort wird es in das europäische Erdgasnetz eingespeist. Real wird das Erdgas bis Deutschland kommen und wieder abgetauscht werden. Österreich bleibt dann weiterhin physisch beim russischen Gas.
Kontrast.at: Man merkt, das ist sehr kompliziert organisiert.
Marc Hall: Das ist Physik. Wenn Sie in Bayern neben einem Kernkraftwerk wohnen und Windstrom aus der Nordsee kaufen, kommt ihre Elektrizität trotzdem aus dem AKW.
In Europa gibt es Länder, bei denen ist die Abhängigkeit von russischem Gas, Öl und Kohle noch stärker. Am größten ist die Abhängigkeit in der Ukraine. Die günstige Dünger-Produktion für die ukrainische Landwirtschaft hängt vollständig am billigeren russischen Erdgas.
Und es gilt nicht nur für Erdgas. Auch bei Erdöl und Kohle – stammen jeweils 40 Prozent des Bedarfs in Westeuropa aus Russland. Dasselbe gilt für Uran-Brennstäbe. Alles in der Tendenz steigend, denn die Produktionen in Westeuropa gehen zurück. Als vor zwei Wochen der Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt wurde, flog trotzdem ein Flugzeug aus Russland, über Polen und Tschechien, in die Slowakei, um Uran-Brennstäbe für die Kernkraftwerke zu liefern – mit allen vereinbart.
Kontrast.at: Sie haben das Thema Diversifizierung angesprochen – also: sich um mehrere Energiequellen bemühen, um z.B. nicht nur aus einer Hand Erdgas zu beziehen. Wie sieht das aus?
Marc Hall: Überlegungen, auch beträchtliche Investitionen zur Diversifizierung, gab es in Österreich immer wieder. Der Bau eines LNG-Terminals für verflüssigtes Erdgas aus Algerien in Kroatien oder der Bau der Nabucco-Pipeline in den Süden wurden jahrelang verfolgt. Ziel war das Land, das über große Erdgas-Reserven verfügt, der Iran. Schlussendlich wurde Nabucco lange geplant und umgeplant, aber nie gebaut. Sie ist am amerikanischen Widerstand gescheitert. Im Unterschied zu Nordstream 2 bereits vor dem Bau.
Von einer Energie-Autarkie Österreichs fehlt derzeit jede Spur, sagt Marc Hall
Kontrast.at: Kann Österreich dann überhaupt jemals energieautark werden –also: Können wir in Österreich den Energiebedarf, den wir haben, irgendwann selbst decken?
Marc Hall: Das scheint mir kurzfristig nicht machbar zu sein. Österreichs Importquote bei Energie liegt derzeit bei etwa 80 Prozent. Wir sind recht gut aufgestellt, was die Eigenproduktion von Strom anbelangt, aber auch dort nimmt der Import zu. Wir brauchen keine Kohle, wir brauchen kein Uran, aber weiterhin Öl und Gas, auch biogene Brennstoffe. Von einer Energieautarkie entfernen wir uns eher.
Kontrast.at: Eine negative Entwicklung?
Marc Hall: Nicht unbedingt. Wir sind eine starke Export-Nation. Darauf beruht der Wohlstand Österreichs. Daher sehe ich kein Problem, manche Güter auch zu importieren. Bei Bananen oder Handys müssen wir ja auch alles importieren, um unsere Nachfrage zu decken. Wir sollten uns bei der Energie nur auf mehrere Gleise aufstellen und emissionsfreie Energien bevorzugen.
Es herrscht die Vorstellung, mehr Energie-Autarkie ginge vollständig einher mit mehr Nachhaltigkeit. Dem ist nicht immer so. Wir können nachhaltige Energien auch importieren. In anderen Bereichen sind wir selbstversorgend, aber nicht nachhaltig und nicht emissionsfrei. Es ist eine Illusion, dass wir in wenigen Jahren sowohl klimaneutral als auch autark werden. Immer mehr Strom, den wir importieren, wird weiterhin mit Kohle oder Atomkraft hergestellt.
Kontrast.at: Aber es gibt ja Bemühungen auf Bundesländer-Ebene, die wegweisend scheinen. Das Burgenland ist beim Strom zum Beispiel energieautark und produziert diesen aus Windkraftanlagen.
Marc Hall: Diese Autarkie ist relativ, weil wir den Strom nicht speichern können. Wenn der Wind stark weht und zu viel Strom produziert wird, müssen wir ihn aus dem Burgenland raus exportieren. Und wenn der Wind hier nicht weht, müssen wir Strom aus Nordeuropa über den ganzen Kontinent herankarren. Vermutlich sind es gerade einmal einige Dutzend Tage von 365, an denen das Burgenland wirklich, zu jeder Minute, 24 Stunden lang, seinen eigenen Strombedarf selbst deckt. Nachhaltig geht das nicht, denn 40 Prozent des Stroms wird weltweit aus Kohle erzeugt. Energieautark ist es schon gar nicht, denn der Anteil von Strom am gesamten Endenergieverbrauch des Burgenlandes beträgt nur 20 Prozent.
Marc Hall: “90 Prozent der Energie auf der ganzen Welt wird durch Verbrennung erzeugt”
Kontrast.at: Es wirkt nun alles wie eine Pattsituation. Wir sind abhängig von Energiequellen, müssen viel importieren – die Quellen sind dann aber nicht nachhaltig. Aber mit nachhaltigen Quellen können wir den Bedarf so gar nicht decken, schon gar nicht ganz alleine. Wie kommt man da raus?
Marc Hall: Für eine nachhaltige Klimapolitik müssen wir weltweit die CO2-Emissionen sehr rasch reduzieren. Die aktuelle Situation ist die: 90 Prozent der Energie auf der ganzen Welt wird durch Verbrennung erzeugt. Bei den nicht emittierenden Energien ist die größte Quelle die Kernkraft mit 4 Prozent. Überlegen wir, was damit für Risiken und Debatten einhergehen – und dann gewinnen wir gerade einmal 4 Prozent unserer Energie daraus.
Die nächstgrößte Quelle ist die Wasserkraft. Da sind wir in Österreich gut aufgestellt. Die Wasserkraft bauen wir seit 120 Jahren aus. In China mussten beim Bau des letzten großen Kraftwerks eine Million Menschen umgesiedelt werden, weil man ihren Lebensraum für das Staubecken brauchte. Insgesamt erzeugt die Wasserkraft weltweit gerade einmal zwei Prozent der weltweiten Energie.
Wenn wir also 90 Prozent der Energiegewinnung verändern möchten, und das müssen wir, so ist das eine gewaltige Aufgabe. Und es ist eine globale Aufgabe. Wenn jemand sagt „2030 werden wir klimaneutral beim Strom sein“, dann ist das mit Vorsicht zu genießen. Es ist nur ein sehr punktuelles Ziel und wird ziemlich sicher nicht erreicht, sondern nur rechnerisch anderswohin verschoben.
Selbst wenn Wien, Österreich oder die EU 2040 oder 2055 klimaneutral wären, und sie werden es nicht sein, wird das den globalen Klimawandel nicht beenden.
Wenn wir ökologischer sein wollen, ist die Antwort nicht einfach, jetzt irgendeinen Energieschalter abzudrehen. Wir müssen enorm effizienter im Umgang mit Energie werden – und mächtig viel neu einschalten. Nämlich jene Energieträger, die wenig oder nicht emittieren. Und da geht es um riesige Investitionen. Notwendige, sehr teure Investitionen. Und das passiert derzeit nicht in dem Ausmaß, dass wir 2030, 2040 oder 2055 klimaneutral sein werden.
Kontrast.at: Wie beurteilen Sie dann die jüngsten Maßnahmen der Regierung, Stichwort CO2-Steuer?
Marc Hall: Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass allein die kleinen Leute die Rechnung für die Energiewende zahlen und marktwirtschaftliche Lösungen versagen.
Die Förderungen für die erneuerbaren Energien werden von den Haushalten bezahlt, nicht von der Industrie, nicht aus dem Staatsbudget.
Die Einführung von börsengehandelten CO2-Zertikikaten 2005 für rund die Hälfte der Emissionen in der EU hat nichts bewirkt. Große Emittenten, wie die Braunkohle-Verstromung, wurden damit am Leben gehalten.
Die neue CO2-Steuer für Endverbraucher in Österreich ist asozial und viel zu gering, um tatsächlich irgendetwas zu steuern. Nachdem die Preisentwicklung der Energie jetzt sogar viel stärker zugeschlagen hat, müsste man sie abblasen. Das ist nur für die Grünen schwierig, weil damit ihre wichtigste Duftnote aus der Regierungsbeteiligung verschwindet. Daran festzuhalten, ist aber unlogisch.
Was wir brauchen, sind massive private und öffentliche Investitionen in konkrete Emissionssenkungen, Energieeffizienz und alternative Systemlösungen, wie den Ausbau des Schienenverkehrs.
Marc Hall
Der gebürtige Brite arbeitet als Autor und Berater in Wien. Er war Topmanager in Deutschland, Tschechien und Österreich. Hall hat unter anderem für die OMV AG, RWE AG, Transgas, Bayerngas und Wiener Stadtwerke AG gearbeitet. Er ist Vorstandsmitglied im deutschen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und Chairman in der International Gas Union (IGU). Im Leykam-Verlag erschien 2021 sein Buch “Mutig, aber realistisch gegen die Klimakatastrophe“.
Wie wäre es, statt in Infrastruktur für NLG in die erneuerbaren zu investieren?? Mir scheint Herr Hall doch ein zu großer Fan von Öhl und Gas zu sein. Außerdem auch wenn ich Ökostrom bezahle, kommt der Strom als Mix aus der Steckdose, aber das Geld fließt zu den richtigen Firmen, die Ökostrom ausbauen.