Wie das Finanzministerium mit Beinschab, sollen drei ÖVP-Ministerien parteipolitische Inhalte abgefragt haben. Unterlagen aus dem Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Verteidigungsministerium geben Hinweise auf Studien und ÖVP-Umfragen, die zwar aus Steuergeld bezahlt, aber für die ÖVP genutzt worden sein dürften. Die Vorwürfe kamen bereits im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss ans Licht. Jetzt ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in dieser Causa wegen Verdacht der Untreue, des Betrugs und der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen. Es gilt die Unschuldsvermutung und die Beteiligten bestreiten die Vorwürfe.
329.000 Euro sind zwischen 2018 und 2020 aus drei ÖVP-geführten Ministerien an das ÖVP-nahe Umfrageinstitut „Demox“ geflossen. Viel Steuergeld, um herauszufinden, wie beliebt ein Minister und seine Vorhaben sind. Doch das ist nicht alles: In den Umfragen, die Demox für das Landwirtschafts-, das Wirtschafts- und das Verteidigungsministerium durchgeführt hat, finden sich regelmäßig Fragen, die nichts mit der Arbeit der Ministerien zu tun haben. Sie klingen, als wären sie direkt von der ÖVP beauftragt – verpackt in Studien für das Ministerium.
Das vermutete Jan Krainer bereits im U-Ausschuss vergangenes Jahr: “Die Daten wurden zwar im Ministerium bezahlt, aber wanderten zur ÖVP weiter”, so Krainers Verdacht. Er sprach von einem “Unterhuber-ÖVP-Tool”, in Anlehnung an das berüchtigte Beinschab-Österreich-Tool, das Bundeskanzler Kurz zum Rücktritt zwang.
Gab es ein “Beinschab-Tool” auch in anderen Ministerien?
Nur Beinschab heißt diesmal Paul Unterhuber, Geschäftsführer von Demox. Er war Direktor des Wiener Bauernbunds und in der ÖVP Hietzing aktiv. Bevor Unterhuber sein Umfrageinstitut gründete, war er bei GfK tätig gewesen. Eine Aufstellung zeigt, dass die regelmäßigen Aufträge an GfK ausgerechnet dann endeten, als Demox ins Spiel kommt. Im Kuratorium von Demox saß jahrelang auch der Meinungsforscher Franz Sommer, bis vor Kurzem schien er ganz offen auf der Webseite von Demox als Kuratoriumsmitglied auf, seit Herbst 2021 ist sein Eintrag dort aber plötzlich gelöscht. Laut WKStA ist Sommer der “Umfragelieferant der ÖVP”:
„Zusammenfassend ist nach derzeitigem Kenntnisstand Dr. Sommer parallel zum Beinschab-Österreich-Tool beauftragt worden und (er) dürfte der ‚offizielle Umfragenlieferant‘ der ÖVP sein“, steht in ihrem Bericht.
Auch die APA schrieb über Sommer 2018: “Alle paar Wochen ist Franz Sommer, Chef des Meinungsforschungsinstituts Demox Research, für die ÖVP im Feld, alle relevanten Themen und Stimmungen werden abgefragt.”
ÖVP-Umfragen: U-Ausschuss brachte Vorwürfe erstmals ans Licht
Doch im Fall der Umfragen, die dem U-Ausschuss vorlagen, ist der Auftraggeber nicht die ÖVP, es sind ÖVP-geführte Ministerien. Und sie sind es auch, die dafür bezahlen, wenn Unterhuber Fragen abtestet, die kaum mit der Ministeriums-Arbeit in Zusammenhang gebracht werden können. Ein Beispiel:
“Wenn Hans-Peter Doskozil als Spitzenkandidat der SPÖ antreten würde. Wem würden Sie Ihre Stimme geben?”, fragte eine Demox-Umfrage für das Wirtschaftsministerium im April 2020 (die ganze Umfrage gibt es hier zum Download, die das Ausmaß parteipolitischer Fragen aufzeigt). Die gleiche Frage wurde im Juni 2020 an eine Demox-Studie für das Verteidigungsministerium gehängt.
Auch die Sonntagsfrage wurde in der Umfrage des Verteidigungsministeriums gestellt. Paul Unterhuber erklärte das im U-Ausschuss damit, dass es sich um eine sogenannte Omnibus-Umfrage gehandelt habe, also dass aus Preisgründen mehrere Auftraggeber beteiligt gewesen wären. Dabei sei die Sonntagsfrage Standard, die bei der Qualitätssicherung helfe, so die Auskunftsperson. Wenn nämlich die Personen aus der Stichprobe an das Wahlergebnis herankommen, wisse man, dass die Gruppe in Ordnung sei, erklärt Unterhuber. Wer Auftraggeber dieser Frage war, das könne er nicht mehr sagen, aber er könne ausschließen, dass das Verteidigungsministerium die Frage bezahlt habe.
Auch das Wirtschaftsministerium hat die Sonntagsfrage stellen lassen. Unterhuber konnte die Umfrage allerdings nicht verifizieren und deshalb nicht sagen, wer die Frage in Auftrag gegeben hat.
Gegenüber der APA hieß es damals vonseiten der ÖVP, dass ihr Parlamentsklub die Fragen zu den Beliebtheitswerten von Politikerinnen und Politikern bezahlt habe. Entsprechende Belege lagen dem U-Ausschuss nicht vor.
Hier die Studie des Wirtschaftsministeriums als PDF herunterladenHier Auszüge aus der Studie des Verteidigungsministeriums als PDF herunterladen
In seiner Befragung vor dem U-Ausschuss hielt Unterhuber fest, dass die Bezeichnung oben auf der Umfrage (BMLV_0620_TO) – die auf das Bundesministerium für Landesverteidigung schließen lässt – willkürlich sei und es sich lediglich um eine interne Bezeichnung handle.
Überhaupt beauftragten die Ministerien auffallend viele Umfragen bei Unterhuber vor der Wienwahl 2020. In jenem Jahr flossen 230.000 Euro Steuergeld an Demox – den Großteil davon zahlte das Wirtschaftsministerium. Insgesamt 10 Studien wurden in den Monaten vor der Wienwahl durchgeführt, im Jahr zuvor lediglich eine. Zum Vergleich: Das grün geführte Gesundheitsministerium, das im Pandemiejahr 2020 im Zentrum des politischen Geschehens stand, hat offenbar keine zusätzlichen Umfragen beauftragt.
Mehr zur Wienwahl als zum Wirtschaftsministerium passt dann auch die Frage: “Wenn am kommenden Sonntag Wien-Wahlen wären. Wen würden Sie wählen?” Abgefragt wurde sie in einer Studie des Wirtschaftsministeriums, auch bezahlt von diesem. Unterhuber konnte das in seiner Befragung nicht bestätigen.
Auch die ehemalige Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bestritt in ihrer Befragung im Juni 2022 alle Vorwürfe zur Causa der ÖVP-Umfragen.
WKStA ermittelt wegen Verdacht auf Untreue, Betrug und Absprachen
Am 23. August 2023 wurde schließlich bekannt, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Causa der ÖVP-Umfragen Ermittlungen gegen fünf namentlich bekannte und eine unbekannte Person aufgenommen hat – sowohl auf Auftraggeber- als auch Auftragnehmerseite. Es geht um den Verdacht der Untreue, des Betrugs und der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen “durch die Beauftragung von Ministeriumsumfragen mangels sachlicher Notwendigkeit”, wie die Behörde in einer Pressemitteilung schreibt.
“Es besteht der Verdacht, dass im Namen der Bundesministerien zumindest in den Jahren 2020 und 2021 eine Reihe von Umfragen beauftragt wurde, für die keine oder nur teilweise sachliche Notwendigkeit bestand. Gleichzeitig hatten die Umfragen auch ministeriumsfremde Fragen zum Inhalt, die zumindest zum Teil anderen Zwecken gedient haben dürften. Damit wäre der „Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ der staatlichen Verwaltung verletzt, und dem Bund mit ihrer Bezahlung ein finanzieller Schaden entstanden, dessen genaue Höhe noch Gegenstand von Ermittlungen ist”, heißt es vonseiten der WKStA.
Es gilt die Unschuldsvermutung.
[Der Artikel wurde am 30.6.2022 veröffentlicht und am 23.8.2023 um die Ermittlungen ergänzt.]