Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Investitionen und die Abkehr vom Spardogma in Europa gefordert. Nur so können Arbeitsplätze geschaffen und Wirtschaftswachstum gefördert werden, so der Kanzler. Gleich darauf hat die ÖVP klargemacht, dass sie keine Diskussion über eine Trendwende in der europäischen Wirtschaftspolitik führen will. Kern sei ein „linker Ideologieträger“, seine Thesen „widersprechen der Realität“, sagte etwa Finanzminister Schelling. Vizekanzler Mitterlehner fühlt sich gar an den „realen Sozialismus“ erinnert. So beginnt man eine Diskussion, die am besten gleich wieder enden soll. Doch was ist dran an der Behauptung, dass nur Sparen und ein möglichst schwacher Staat die Lösung sein können?
Hier ein Faktencheck:
Schelling behauptet: Öffentliche Investitionen führen nicht zu mehr Wachstum
Hier lohnt sich ein Blick auf Länder wie die USA oder Großbritannien: Beide haben nach 2008 viel Geld in die Hand genommen, um den Nachfragerückgang des privaten Sektors auszugleichen. Beide hatten Erfolg damit. Die Investitionen nahmen merklich zu und die Arbeitslosigkeit sank auf ein Niveau wie vor der Krise. Die Wachstumsraten liegen bei 2,3 (GB) bzw. 2,4 (USA) Prozent.
Währenddessen leidet Europa an einem niedrigen Investitionsniveau und anhaltend hoher Arbeitslosigkeit. Das Wachstum im Euroraum liegt bei bescheidenen 1,7 %. Besonders deutlich zeigen sich die Folgen fehlender Investitionen in den Ländern Südeuropas. Dort haben drastische Sparprogramme zu einer Jugendarbeitslosigkeit von 50-60 Prozent geführt. Doch selbst in EU-Ländern, die verhältnismäßig gut durch die Krise kamen, blieben die Investitionen eher mager.
Schelling behauptet: Nicht sparen verschärft die Krise, sondern Schulden
Der Zusammenhang ist eigentlich genau umgekehrt. Wie sehr staatliche Sparprogramme die ökonomischen Probleme verschärfen, sehen wir gerade in Südeuropa, wo unter der Troika massive Sparprogramme verordnet wurden. Dort ist das Wachstum am meisten eingebrochen. Selbst EZB-Chef Mario Draghi rät daher, die budgetären Spielräume zur Belebung des Wachstums stärker zu nutzen. „Seit 2010 leidet der Euroraum darunter, dass die Haushaltspolitik weniger effektiv ist, vor allem im Vergleich zu anderen großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Das liegt nicht so sehr an den Schuldenquoten, denn der öffentliche Schuldenstand ist insgesamt im Eurogebiet nicht höher als in den USA oder in Japan.“
Und auch der IWF, jahrzehntelang Flaggschiff des Neoliberalismus, hat kürzlich in einer Studie gezeigt, dass die Nachteile eines rigiden Sparkurses wesentlich größer sind, als die Vorteile eines niedrigen Schuldenstandes. Besonders klein sind die Vorteile für stabile Staaten wie Österreich, die ohnehin niedrige Zinsen auf den Finanzmärkten zahlen.
Schelling behauptet: Schulden müssen durch weniger öffentliche Ausgaben abgebaut werden.
Sinnvolle Investitionen über Schulden zu finanzieren, ist sowohl im öffentlichen wie im privaten Sektor eine vernünftige Vorgangsweise. Das sollte der Ex-Manager Schelling wissen. Ebenfalls sollte er wissen, dass wesentliche Summen zum Abbau staatlicher Defizite bei multinationalen Konzernen liegen, die trotz Milliardengewinnen keine gerechtfertigten Steuersätze zahlen. Eine Praxis, die dem Finanzminister aus seinen Tagen im Management der Möbelfirma XXXLutz einigermaßen vertraut sein dürfte. Mit einer Steuerkonstruktion, die an Offshore-Gebilde von Apple und Starbucks erinnert, konnte auch XXXLutz seinen effektiven Steuersatz in Österreich auf fünf Prozent drücken.
Es sind solche Fälle, durch die den Staaten in Europa jährlich 1.000 Mrd. Euro an Einnahmen durch legale und illegale Steuervermeidung entgehen. Geld, das dringend für strategische Investitionen in den europäischen Standort gebraucht wird.
Schelling behauptet: Je schwächer der Staat, umso stärker die Wirtschaft
Wirtschaftlich erfolgreiche Staaten wie die USA investieren laufend in zukunftsträchtige Bereiche (z.B. Forschung, Innovation, Bildung) und schützen strategisch wichtige Branchen etwa durch Zollbeschränkungen. Damit schützen diese Staaten auch heimische Produktion, Arbeitsplätze und die Qualität der Produkte.
Aktive Staaten sorgen außerdem für gesellschaftlichen Ausgleich, der für die Zufriedenheit und Stabilität einer Gesellschaft ebenso wichtig ist wie für den ökonomischen Erfolg einer Volkswirtschaft. Es ist wieder der IWF, der zeigt, wie sich die Ungleichheit der letzten Jahre durch staatliches Nichteingreifen verschärft hat. Diese Ungleichheit wiederum hat die wirtschaftliche Entwicklung geschwächt.
So sinkt das BIP-Wachstum etwa um 0,08%, wenn sich der Vermögensanteil des reichsten Fünftels einer Gesellschaft um 1 Prozent erhöht. Umgekehrt wächst das BIP um 0,38%, wenn sich das Vermögen des untersten Fünftels im selben Ausmaß erhöht.
Außerdem konnten wir bei der Wirtschafts- und Finanzkrise sehen, was passiert, wenn Banken risikoreiche und dubiose Geschäfte jenseits staatlicher Eingriffsmöglichkeiten machen. Schließlich blieb der – jahrelang vehement zurückgedrängte – Staat der einzige handlungsfähige Akteur, der durch milliardenschwere Bankenrettungen ein Austrocknen der Finanzmärkte verhindert hat. Die gleichen Akteure, die zuvor den Rückzug des Staates forderten, waren dann froh, als die öffentliche Hand viel Geld in Hand nahm, um den Finanzsektor zu stützen.