Die Stadt Wien will mit einer Strafe auf leerstehende Wohnungen verhindern, dass Wohnungen aus Spekulationsgründen nicht vermietet werden – gerade in Zeiten stark steigender Mietpreise. Der Stadt- und Wohnungsforscher Justin Kadi erklärt wie eine Leerstandsabgabe aussehen könnte und dass der administrative Aufwand für die Einhebung den Nutzen nicht übersteigen darf. Im Interview spricht er über Probleme mit der Wohnspekulation, Wiens starken gemeinnützigen Wohnbau und das Auseinanderdriften von Mietpreisen und Löhnen.
Wien fordert eine Strafe für leerstehende Wohnungen. Worauf zielt das ab?
Justin Kadi: Man muss unterschiedliche Motive für leerstehende Wohnungen unterscheiden. Die Leerstandsabgabe zielt auf eine bestimmte Form des Leerstands bei Wohnungen, nämlich den sogenannten „investiven Leerstand“. Das heißt: Wenn Investoren Wohnungen kaufen und nicht vermieten, weil sie primär darauf warten, die Wohnung in ein paar Jahren teurer weiterzuverkaufen. Denen ist das Vermieten zu aufwändig. Sie sind an der Wertsteigerung des Objekts interessiert. Das gibt es zum Beispiel in bestimmten Segmenten des Neubaus.
Will man das verhindern, muss die Leerstandsabgabe so hoch sein, dass es nicht mehr attraktiv ist, eine Wohnung leer stehen zu lassen, um ohne Aufwand Spekulationsgewinne beim Weiterverkauf zu erzielen. Im radikalsten Fall schöpft man die Wertsteigerung ab, damit sich das nicht mehr auszahlt.
Es gibt aber auch andere Formen des Leerstands, zum Beispiel, wenn Wohnungen bezogen auf die Bausubstanz in zu schlechtem Zustand sind und saniert werden müssten, bevor man sie wieder vermieten kann. Hier spricht man von “marktinaktivem Leerstand”. Noch eine andere Form ist die Mobilitätsreserve. Diesen Leerstand braucht es in jedem Wohnungsmarkt, da Menschen umziehen und dafür Wohnungen bereitstehen müssen. In der Forschung gilt eine Mobilitätsreserve von drei bis vier Prozent der Wohnungen als notwendig.
In Zürich gibt es eine Leerstandsabgabe
Wie viele Wohnungen stehen derzeit leer in Wien?
Justin Kadi: Es gibt dazu keine differenzierten aktuellen Zahlen. Eine Erhebung ist methodisch auch herausfordernd. Eine Möglichkeit ist die Auswertung von Stromzählerdaten. Wenn man weiß, wie viel in einer bewohnten Wohnung durchschnittlich verbraucht wird, kann man über die Stromdaten feststellen, ob in einer Wohnung tatsächlich jemand wohnt oder nicht. Voraussetzung dafür ist aber der Zugang zu detaillierten Stromzählerdaten auf Haushaltsebene. Diese Daten stehen oft nicht zur Verfügung.
Eine andere Methode basiert auf einem Abgleich von Wohnungen mit den Meldestatistiken. Wohnungen, in denen es keine Meldung gibt, sind demnach leer. Diese Methode hat auch Lücken, da nicht alle Personen immer korrekt gemeldet sind, aber es ermöglicht eine solide Annäherung an den Umfang des Leerstands.
Wenn man das politisch will, könnte man auch eine verpflichtende Meldung für Wohnungseigentümer einführen. Die müssten dann einmal pro Jahr melden, wer in ihrer Wohnung wohnt. Wenn sie nicht nachweisen können, dass ihre Wohnung bewohnt ist, fällt die Leerstandsabgabe an.
Ist das machbar?
Justin Kadi: Es ist mit Sicherheit ein administrativer Aufwand, aber es gibt Städte wie Zürich, wo es solche Abgaben gibt. Auch in Wien hat es bis 1985 eine Leerstandsabgabe gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hat die aber aufgehoben, weil befunden wurde, dass Wien keine Kompetenz für eine derartige Regelung hat. Die Frage ist aber in der Tat immer, inwiefern der Nutzen so einer Abgabe den administrativen Aufwand für die Einhebung übersteigt.
Hat Wien ein Problem mit der Wohnspekulation?
Justin Kadi: Die Möglichkeit, dass sich private Investoren in den Wiener Wohnungsmarkt einkaufen und dort schnelles Geld machen, ist sehr eingeschränkt. Etwa, weil ein großer Teil des Wiener Wohnungsmarkts im nicht-profitorientierten Bereich ist. 44 Prozent aller Wohnungen werden aktuell von der Stadt Wien und gemeinnützigen Trägern bewirtschaftet. Das schränkt die Möglichkeiten privater Investoren stark ein. Gleichzeitig gab es bis Anfang der 1990er Jahre ein sehr rigides Mietrecht, das die Profitabilität von Investitionen im privaten Mietwohnungsmarkt reduziert hat.
Nur ein Drittel der Wohnungen in Wien sind private Mietwohnungen. Dieser Anteil ist über die letzten 20 Jahre relativ stabil geblieben. Der private Bereich ist allerdings der Teil des Wohnungsmarktes, wo wir die größten Mietsteigerungen sehen.
Das hat auch mit der Änderung des Mietrechts 1994 zu tun. Damals wurde es für Vermieter erleichtert, die Mieten zu erhöhen und höhere Renditen zu erzielen. Außerdem gab es viel Kapital in Folge der Finanzkrise, das profitable Anlagemöglichkeiten abseits der Aktienmärkte suchte – und das ist unter anderem in den privaten Mietwohnungsmarkt geflossen. Die Investitionsdynamik in dem Sektor war entsprechend hoch in den letzten 10 Jahren.
Das Mietrecht wurde mit den Jahren immer Mieter-unfreundlicher
Was hat sich 1994 im Mietrecht genau verändert?
Justin Kadi: Bis 1994 war es so, dass die Miete klar festgelegt war durch die Ausstattungskategorien der Wohnung, in Kategorie A, B, C oder D. In bestehenden Mietverträgen konnte man die Miete abseits der Inflation kaum erhöhen und unbefristete Mietverträge waren der Normalfall. Vermieter hatten kaum Möglichkeiten, den Mieter aus dem Vertrag zu bekommen und die Wohnung teurer zu vermieten. Seit 1994 kann man Wohnungen befristet vermieten – auf drei, fünf oder zehn Jahre.
In Wien sind heute zwei Drittel aller neuen Mietverträge befristet. Das hat wesentliche Nachteile für die Mieter gebracht, da die Verträge regelmäßig auslaufen und oft mit dem neuen Vertrag die Miete erhöht wird.
Auch die Festsetzung des Mietzinses wurde vermieterfreundlicher: Im neuen System gibt es eine Basismiete, definiert durch den sogenannten Richtwert. Zusätzlich können Zu- bzw. Abschläge verlangt werde. Unter anderem für die Lage einer Wohnung. Bis 1994 hat für die Miete ausschließlich die Ausstattung der Wohnung gezählt. Mit den Lagezuschlägen wurde nun auch relevant, was um die Wohnung herum passiert. In der Praxis orientiert sich der Mietpreis im regulierten Bereich seither viel stärker an der Entwicklung der Bodenpreise. Dadurch steigen die Mieten mit der Preissteigerung am Bodenmarkt mit. Zusammen mit der befristeten Vermietung können Vermieter die Mieten somit sehr viel einfacher regelmäßig erhöhen.
Wie hoch sind diese Lagezuschläge?
Kadi: In Wien gibt es Empfehlungen für Lagezuschläge auf Basis einer Lagezuschlagskarte, die von der Stadt aufgelegt wird. Es gibt 7 Kategorien. 1994 war der Top-Lagezuschlag rund 4 Euro pro Quadratmeter, mittlerweile liegt er bei über 12 Euro. Für eine 100 Quadratmeter Wohnung zahlt man in diesen Gegenden der Stadt bei einem neuen Mietvertrag heute also 800 Euro mehr als im Jahr 1994. Lediglich für die Lage. Relevant ist auch: Die Lagezuschläge sind am stärksten dort gestiegen, wo sie schon hoch waren – also im innerstädtischen Bereich – und am wenigsten dort, wo sie schon niedrig waren. Das führt dazu, dass Gebiete in besseren Lagen für Leute mit wenig Geld immer weniger leistbar werden.
Was war der Grund für diese Änderungen im Mietrecht zum Vorteil der Vermieter?
Justin Kadi: Die Änderung des Mietrechts fand österreichweit statt, das fällt nicht in den Kompetenzbereich der Stadt. Rückblickend lässt sich sagen, dass sich offensichtlich die Vertreter der Vermieterinteressen gegen die Vertreter der Mieterinteressen durchgesetzt haben. Es gab aber noch einen anderen Grund für die Reform. Die Problematik war damals – auch in Wien – dass der private Mietwohnungsmarkt baulich in einem relativ schlechten Zustand war, dafür aber relativ leicht zugänglich und preiswert. Private Vermieter wollten oft nicht investieren, weil man mit der Vermietung nicht viel verdienen konnte. Die Änderungen im Mietrecht waren auch der Versuch, das private Kapital zum Sanieren der Wohnungen zu bringen – mit angemessener Rendite im Anschluss. Seit der Finanzkrise ist allerdings sehr viel Kapital in den Sektor geflossen und die neuen Eigentümer haben in vielen Fällen die Mieten deutlich erhöht.
Mieten sind binnen weniger Jahren um über 50 Prozent gestiegen
Wie stark sind die Mieten gestiegen?
Justin Kadi: Wir haben auf der TU in Kooperation mit dem Standard den Mietmonitor entwickelt.
Zwischen 2008 und 2016 sind die Mieten im privaten Mietwohnungsmarkt um 53% gestiegen. Das ist wesentlich mehr als die Einkommen gestiegen sind.
Die Realeinkommen der Haushalte im ersten Einkommens-Quartil, also der 25%, die am wenigsten verdienen, sind in der Zeit sogar stagniert. Die Einkommen der Besserverdiener sind stärker gestiegen, im Durchschnitt sind es 22% in allen Einkommensgruppen. Das ist deutlich weniger als die Mietsteigerungen.
Das führt dazu, dass sich viele Menschen mit einem Durchschnittseinkommen private Mietwohnungen in vielen Gegenden der Stadt schwieriger leisten können. Der Anteil an leistbaren Wohnungen ist am privaten Markt merklich geschrumpft. Als „leistbar“ gelten in unserer Studie 30% des Einkommens, die man für Wohnkosten ausgeben kann. Das ist ein Standardwert in der internationalen Forschung.
Das Problem ist, dass die Leute trotzdem wohnen müssen, auch wenn sie mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssen. Im Gegenzug müssen sie dann bei Ausgaben für andere Lebensbereiche, wie etwa Essen, Urlaube oder Kinobesuche, reduzieren. Und das passiert auch: Immer mehr Haushalte wenden immer größere Teile ihres Einkommens für eine Wohnung auf.
Und wie kann man da gegensteuern, damit Wohnen auch im privaten Sektor wieder leistbar wird?
Justin Kadi: Wien hat an verschiedenen Schrauben gedreht. Die Stadt hat zum Beispiel die Lagezuschlagskarte reformiert. Dadurch sind die empfohlenen Lagezuschläge in einigen Teilen der Stadt gesunken. Wien hat auch eine neue Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ eingeführt. Alle neu gewidmeten größeren Bauflächen sind zu zwei Drittel für den geförderten Wohnbau reserviert, damit will man diesen Sektor ankurbeln und so mehr Alternativen zum privaten Markt schaffen.
Das Mietrecht müsste auf Bundesebene reformiert werden. Von vielen Koalitionen wurde so eine Reform bereits angekündigt. Eine umfangreiche Reform, die die Situation von Mietern, insbesondere im privaten Sektor, merklich verbessert, ist aktuell aber nicht in Sicht.