Die Geschichte von Apple gilt als Inbegriff von freiem Unternehmertun. Ein Mann mit großem Erfindergeist sitzt mit viel Ausdauer in einer Garage und entwickelt geniale Geräte, die die Welt verändern. Diese Geschichte ist nicht falsch, doch verschweigt sie einen wesentlich stilleren Helden dahinter: den innovativen Staat. Der wird so nicht nur um seinen Ruhm, sondern auch um einen Großteil seiner Erträge gebracht, wie die Ökonomin Mariana Mazzucato zeigt.
Alle relevanten Technologien, die in unseren Smartphones stecken, haben ihren Ursprung im Staat. Ob Mobilfunk, Touchscreen, GPS-System oder Spracherkennung – sie alle wurden an staatlichen Universitäten oder im Rahmen von Forschungsprogrammen von Ministerien oder dem Militär entwickelt. Die eigentliche Leistung von Unternehmen wie Apple besteht darin, die einzelnen Technologien auf innovative Weise zu einem neuen Produkt zusammenzufügen. Das ist nicht wenig. Trotzdem ist wichtig zu sehen, dass die Grundlage von Apples Aufstieg nicht in jahrzehntelanger firmeneigener Forschung und Entwicklung liegt. Erst der Staat hat diesen ermöglicht und zwar durch die innovative Arbeit seiner Institutionen – inklusive äußerst risikoreicher öffentlicher Investitionen in beachtlichem Ausmaß.
Ähnliches gilt – so Mazzucato – auch für die Pharmaindustrie: Völlig neue Medikamente werden meist in staatlichen Laboren entwickelt, private Investitionen kommen erst bei der Weiterentwicklung bestehender Wirkstoffe ins Spiel. Mazzucato erklärt das so: Technologien lange vor der Marktreife mit großen Summen zu unterstützen, zahlt sich für private Investoren einfach nicht aus. Viel zu groß ist das Risiko, dass doch nichts daraus wird. Viel zu lange die Zeitspanne, bis Geld aus der Investition zurückfließen könnte.
Und was hat der Staat davon?
Anders beim Staat. Der hat einen langen Atem, auch weil er nicht auf den unmittelbaren Ertrag von neuen Technologien abzielt. Privates Risikokapital spielt bei den frühen Entwicklungsphasen von Innovationen keine große Rolle. Hier braucht es das Geld des Staates. Die öffentliche Hand trägt also die frühen Risiken, und die Gewinne gehen später an die Investoren. Dazu kommt der Treppenwitz, dass gerade jene Unternehmen, die über alle Maßen von der staatlichen Innovationskraft profitieren, für Steuersenkungen lobbyieren und alle Schlupflöcher nutzen, um Steuern zu umgehen. SteuerexpertInnen gehen etwa davon aus, dass Apple gerade mal 30 Prozent seiner Gewinne ordnungsgemäß meldet. Dem US-Staat entgehen dadurch jährlich Milliardenbeträge. Geld, das nicht nur für Soziales und Gesundheit fehlt, sondern auch wieder in die Entwicklung neuer Technologien fließen könnte.
Und in Österreich?
In Österreich ist es vor allem die verstaatlichte und staatsnahe Industrie, die Innovation entscheidend vorangetrieben hat. So wurde in der staatlichen VÖEST das sogenannte LD-Verfahren zur Stahlerzeugung entwickelt. Ein Verfahren, das die Stahlerzeugung revolutioniert hat und bis heute rund 70 Prozent der weltweiten Produktion umfasst. Die ÖBB wiederum hat dafür gesorgt, dass Österreich heute die fünftgrößte Bahn-Zulieferindustrie auf der ganzen Welt ist.
Dass Österreich das Schicksal vieler Stahl- und Industrieregionen Europas erspart geblieben ist, hängt ebenfalls mit der innovativen Kraft staatlicher Entscheidungen zusammen. So wurde etwa in Linz das erste Mechatronik-Vollstudium weltweit angeboten, als die Disziplin noch in ihren Kinderschuhen steckte. Heute wird am Mechatronic Center Linz Forschung und Entwicklung auf Weltniveau betrieben. Hunderte Unternehmen und zehntausende Arbeitsplätze in Österreich profitieren davon.
Weiterlesen:
Mariana Mazzucato: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum, erschienen 2014 bei Kunstmann
Interview mit Mariana Mazzucato: Privat versus Staat – mehr als Gut gegen Böse